Kein Buchumschlag vorhanden
Etappen des Bundesstaates
Staats- und Nationsbildung in der Schweiz, 1848–1998
Broschur
1998. 248 Seiten
ISBN 978-3-905312-86-7
CHF 38.00 / EUR 23.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • Einblick
  • In den Medien
Wie konstituierte sich die staatliche, kulturelle und soziale Einheit der Schweiz seit 1848? Wer waren die gesellschaftlichen und politischen Akteure und wie positionierten sie sich? Welches waren die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Grundlagen, auf welchen die Schweizer Staatskonstruktion beruhte? Welche neuen sozialen Gruppen und politischen Kräfte wurden allmählich in die parlamentarische und vorparlamentarische Entscheidungsfindung integriert? Und, last but not least, über welche Strategien integrierte sich die Schweiz in ein sich wandelndes internationales Umfeld? Kurzum, wie konstruierte sich nach und nach das schweizerische Staatsgebilde zu einem einheitlichen Ganzen, das trotz sozio-kultureller, sprachlicher und politischer Fragmentierungen durch eine national eigenständige Kultur definiert wurde?

Brigitte Studer, Historikerin, Professorin für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern.
Forschungsschwerpunkte: Sozialgeschichte, Geschlechtergeschichte, Politische Geschichte, Kulturgeschichte


Bücher im Chronos Verlag


Aufsätze im Chronos Verlag

Inhalt
Carlo Moos: Dimensionen eines Bürgerkriegs. Für eine Neubewertung des Geschehens um den Sonderbund
Josef Mooser: Eine neue Ordnung für die Schweiz: Die Bundesverfassung von 1848
Albert Tanner: Ein Staat nur für die Hablichen? Demokratie und politische Eliten im frühen Bundesstaat
Marco Jorio: Zwischen Rückzug und Integration - Die Katholisch-Konservativen und der junge Bundesstaat
Rudolf Jaun: Armee, Nation, Staat und Krieg im Widerstreit der Militärdiskurse des 19. Jahrhunderts
Madeleine Herren: Internationalismus und aussenpolitische Integration
Bernard Degen: Wer darf mitregieren? Die Integration der Opposition als Gnadenakt
Brigitte Studer: Soziale Sicherheit für alle? Das Projekt Sozialstaat
Elisabeth Joris: Geschlechtshierarchische Arbeitsteilung und Integration der Frauen
Peter Hug: Innenansichten der Aussenpolitik - Akteure und Interessen
Jakob Tanner: Staat und Wirtschaft in der Schweiz: interventionistische Massnahmen und Politik als Ritual
Ulrich Zimmerli: Verfassungsrevision heute

Besprechungen
Werden und Wandel des Bundesstaats Volksrechte, Verbände und Sozialstaat in der Schweiz tmn. Kaum hatte Anfang November 1847 der Sonderbundskrieg begonnen, da wurde in Mannheim die erste «Grussbotschaft» an die - freisinnige - Schweiz verfasst: «An den Erfolg des unvermeidlich gewordenen Kampfes knüpfen sich die Sympathien, die Befürchtungen und Hoffnungen der europäischen Gesellschaft.» Ähnliche Gefühle drückten bis zur letzten, erneut aus Mannheim stammenden «Adresse» vom Februar 1848 insgesamt 53 Botschaften mit über 5000 Unterschriften aus, die vor allem aus dem Südwesten Deutschlands, aber auch aus Paris und London stammten. Peter Huber und Josef Lang haben diese Dokumente neu herausgegeben, eingeleitet und zu vielen der oft illustren Unterzeichner von Michelet bis Marx biographische Angaben beigefügt. Atlantischer Kreislauf moderner Ideen Zwar sahen die Adressenschreiber in den «tapferen eidgenössischen Männern» die «Vorkämpfer für die grosse Sache» ganz Europas, doch nach den kurzen Hoffnungen des «Völkerfrühlings» fand sich die Eidgenossenschaft bald als einzige liberale Republik des Kontinents neu isoliert. Andauernde innere Stabilität bescherte ihr allerdings die Bundesverfassung von 1848, die Alfred Kölz in ihrer meist unterschätzten Abhängigkeit von ausländischen konstitutionellen Debatten einordnet. Die Revolutionen in den USA und vor allem in Frankreich waren es, die den «atlantischen Kreislauf moderner Staatsideen» inspirierten, indem sie nach konstitutionellen Wegen suchten, um die misstrauisch beobachtete Staatsmacht zu begrenzen. Kölz erwähnt nicht nur die Freiheitsrechte und die Gewaltenteilung mit einem sehr starken Parlament; auch Instrumente der direkten Demokratie dürften weniger durch die Tradition der Landsgemeinde als durch die Französische Revolution geprägt sein. Bereits Condorcet konzipierte im «extrem demokratischen» Gironde-Verfassungsentwurf von 1793 Gesetzes- und Verfassungsinitiative, und das Verfassungsreferendum wurde in Frankreich sogar Realität. Die modernen direktdemokratischen Instrumente, 1869 erstmals in der Zürcher Kantonalverfassung verwirklicht, haben als «errungene Volksrechte» gerade in der EU-Debatte eine auch emotional grosse Bedeutung. Kölz untersucht als deren Vorstufe das 1831 erstmals in St. Gallen eingeführte Veto, das auf das Vetorecht der römischen Volkstribunen zurückgeführt wurde, möglicherweise aber auch im jakobinischen «droit de réclamation» wurzelt. Weil die absolute Mehrheit der Stimm berechtigten damit parlamentarische Beschlüsse in restaurativem Sinn rückgängig machen konnte, erwies sich das Veto als allerdings schlecht funktionierendes Instrument der Konservativen, während die Liberalen es ablehnten. Gleichsam als Kompensation führte die radikale Berner Verfassung von 1846 erstmals das ebenfalls auf Condorcet zurückgehende «Abberufungsrecht» ein, das bis heute in sieben Kantonen existiert und als «recall» auch in fünfzehn nordamerikanischen Gliedstaaten übernommen wurde. Erfolgreich angewandt wurde es in der Schweiz allerdings erst in einem - peinlichen - Fall: Als der liberale Aargauer Grosse Rat den Juden 1862 das Bürgerrecht erteilte, wurde er durch eine Unterschriftensammlung und die anschliessende Abstimmung abberufen und durch ein konservativ beherrschtes Gremium ersetzt. Integration durch Expertenkommissionen Die Entwicklung des - mit Ulrich Zimmerlis Worten - «gar nicht so demokratischen» Bundesstaats von 1848 zum heutigen, insofern dem Ancien Régime verwandten «Korporationenstaat» (Alfred Kölz) analysieren die Beiträge in einem von Brigitte Studer herausgegebenen Sammelband. Josef Mooser erklärt die anfängliche politische Ausgrenzung von Frauen, Juden und - de facto - Unterschichten mit der liberalen Überzeugung, dass der Staatsbürger ein ortsansässiger, lokal stabiler, persönlich unabhängiger, mit Besitz und einer gewissen Bildung ausgestatteter, in die christliche Kultur eingebetteter Hausvater sei. Da aber die Freiheitsrechte, anders als die bürgerlichen, kaum eingeschränkt waren, eröffneten sie Gestaltungsräume, die langsam, aber folgerichtig auf breitere politische Partizipation hinsteuerten. So beschreibt zwar Albert Tanner die machterhaltenden Tricks der freisinnigen Männer im jungen Bundesstaat; deren Vormacht wurde aber durch die politische Integration der Katholiken (Marco Jorio), der Sozialdemokraten (Bernhard Degen) und der Frauen (Elisabeth Joris) fortlaufend reduziert. Diese widerwillig und erst nach langen Bemühungen gewährten «Gnadenakte» (Degen) wurden vorbereitet durch die Vertretung der Minderheiten in Expertenkommissionen, wo jeweils Konsens eingeübt wurde, als im Parlament noch heftige Polemiken vorherrschten. Derartige Kompromisslösungen begleiteten auch den schrittweisen Aufbau des Sozialstaats, der deshalb eine den jeweiligen Konjunkturen folgende Mischform liberaler, konservativer und sozialdemokratischer Elemente darstellt (Studer). Professionalisierte Aussenpolitik ab 1960 Ebensowenig wie der Sozialstaat ist der wirtschaftspolitische Interventionismus ein Reservat der Linken. Jakob Tanner zeigt, dass er ab dem späten 19. Jahrhundert und besonders in den Kriegs- und Krisenjahren des 20. wechselseitig mit der «Kolonialisierung der Politik durch organisierte Interessen und der Herausbildung parastaatlicher Strukturen» zusammenspielte. Gerade im Bereich des Aussenhandels wurde das Zepter schon ab den 1880er Jahren den interessierten Verbänden überlassen; Pilet-Golaz' souveräne Ignoranz gegenüber wirtschaftlichen Problemen war bezeichnend für diese Praxis, und so kam dem Vorort nicht nur im Zweiten Weltkrieg eine zentrale Funktion in der Aussen(wirtschafts)poli- tik zu. Vor allem in solchen Gremien wurden die Interessen der verschiedenen Branchen abgewogen und dann in bilateralen Abmachungen eingebracht, bis ab den späten 1950er Jahren der zunehmende Multilateralismus und zusehends komplexere, über wirtschaftliche Fragen weit hinausreichende Verhandlungspakete dieses Milizsystem der direkt Interessierten unzeitgemäss werden und im Politischen Departement (dem heutigen EDA) eine moderne Ministerialverwaltung entstehen liessen. Insofern sieht Peter Hug - wenigstens in der Aussenpolitik - den «pluralistischen Korporatismus» als nicht mehr dominant an, was allerdings das innenpolitische Konfliktpotential erhöhe, solange nicht (parlamentarische) Mitsprachemöglichkeiten für neue Interessenausgleiche sorgen können. Peter Huber / Josef Lang (Hrsg.): Solidarität mit der schweizerischen Revolution. Die deutsche «Adressen»-Bewegung 1847/48. Chronos-Verlag, Zürich 1998. 127 S., Fr. 28.-. Alfred Kölz: 1789-1798-1848-1998. Der Weg der Schweiz zum modernen Bundesstaat. Historische Abhandlungen. Verlag Rüegger, Chur/Zürich 1998. 231 S., Fr. 39.80. Brigitte Studer (Hrsg.): Etappen des Bundesstaats. Staats- und Nationsbildung der Schweiz, 1848-1998. Chronos-Verlag, Zürich 1998. 293 S., Abb., Fr. 34.-. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ. Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR 27.04.1999 Nr. 96 57