Porträts von Betroffenen / Portraits de personnes concernées
Texte deutsch, französisch oder italienisch
Wer sind die Menschen, die eine administrative Versorgung erlebten? Was steht hinter diesem Begriff und was bedeutet er im Leben der Betroffenen? Diesen Fragen geht der Porträtband der UEK nach, indem er die Menschen ins Zentrum stellt, die Opfer administrativer Versorgung wurden. Er nähert sich ihnen auf zwei Arten: einmal, indem der Fotograf Jos Schmid sie in formal strengen Schwarz-Weiss-Porträts fotografiert, einmal, indem zwölf Autorinnen und Autoren sie aufgrund mündlicher oder schriftlicher Quellen in kurzen biografischen Texten beschreiben. Foto und Text zeichnen so mit unterschiedlichen Mitteln unterschiedliche Bilder von unterschiedlicher Wirkmacht – und ermöglichen dadurch ein vielschichtiges Bild der Betroffenen, aber auch einen Einblick in die Prozesse, die darüber bestimmen, was für Bilder wir uns von Menschen machen.
Mit Beiträgen von / Avec des contributions de / Contributi di
Beat Gnädinger, Ruth Ammann, Danielle Berthet, Claudio Conidi, Mirjam Häsler Kristmann, Kevin Heiniger, Thomas Huonker, Laurence Kohli, Daniel Lis, Marco Nardone, Lorraine Odier, Laura Schneider, Alfred Schwendener
Der Bundesrat beauftragte Ende 2014 eine unabhängige Expertenkommission (UEK) mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der administrativen Versorgungen in der Schweiz vor 1981. Dazu gehörten insbesondere die Auseinandersetzung mit der Perspektive von Betroffenen und Opfern sowie die Analyse staatlicher Interventionen und behördlichen Handelns. Die UEK sollte dabei auch die Bezüge zu allen anderen fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen berücksichtigen. Die Kommission veröffentlicht ihre Forschungserkenntnisse in neun Monografien sowie einem Synthesebericht zuhanden des Bundesrates.
Die UEK Administrative Versorgungen wurde interdisziplinär zusammengesetzt: Sie besteht aus neun Mitgliedern, hauptsächlich Historikerinnen und Historiker, aber auch aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialwissenschaften, der Psychiatriegeschichte/Psychiatrie und der Rechtswissenschaften.
«In der Einleitung des Bandes formulieren die Herausgeberin und die Herausgeber zwei Ziele der Publikation: Erstens sollen Menschen, die in der Vergangenheit fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ausgesetzt waren, heute gezeigt und beschrieben werden, um ‹ihnen im besten Fall das Menschsein zurückzugeben, dass ihnen frühere Bilder und Texte weggenommen hatten› (S. 11). Zweitens soll aus individuellen Geschichten ein möglichst vielschichtiges Bild administrativer Versorgungen und fürsorgerischer Zwangsmassnahmen gezeichnet werden. Beide Ziele erscheinen vollumfänglich erreicht - und der Start der Reihe mit diesem Band geglückt.»
Vollständige Rezension
«Nun ist er da, der erste Band einer zehnteiligen Reihe zur administrativen Versorgung in der Schweiz. Bis 1981 sperrten die Behörden Menschen ein, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen. ‹Arbeitsscheu›, ‹liederlicher Lebenswandel›, ‹Trunksucht›, ‹Vagantentum›, uneheliche Kinder oder Armut reichten für eine Einweisung in die geschlossene Anstalt. Die Unabhängige Expertenkommission, die dieses Willkürregime seit 2014 untersucht, gibt den Betroffenen in diesem Buch viel Raum. Über 60 ehemals Versorgte sind porträtiert, die meisten mit einer seitenfüllenden Schwarz-Weiss-Foto von Jos Schmid. Leineneinband, hochkarätige Grafik, goldbraune Vakatseiten: Hier will man Menschen Würde zurückgeben. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht einen dennoch. Ist das nicht alles zu schön? Nur zwischendurch blitzt etwas Wut auf. Man darf gespannt sein, was noch kommt.»
«‹Administrative Versorgung›: Der technische Begriff meint nichts anderes, als dass die Schweiz im letzten Jahrhundert Zehntausende von jungen und älteren Erwachsenen in geschlossene Anstalten steckte, also ihrer Freiheit beraubte, obschon diese weder eine Straftat verübt noch gerichtlich verurteilt worden waren. [...] Ausreichend war zum Beispiel, dass eine unverheiratete junge Frau Mutter wurde, ein junger erwerbsloser Mann wiederholt im Wirtshaus ein, zwei Bier trank oder ein verschuldetes Paar häufig den Wohnort wechselte oder getrennt lebte. [..] Bewusst startet die UEK ihren Abschluss nicht mit Forschungsresultaten, sondern mit der Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit und wohl auch einer Hommage an die Betroffenen, deren Hartnäckigkeit letztlich die vom Bundesrat eingesetzte UEK zu verdanken ist. [...] Das schlicht und schön gestaltete schwarz-weisse Fotobuch stellt über sechzig Frauen und Männer vor, die meisten mit einem Bild, die anderen mit Texten, wenige mit beidem. Die Aufnahmen der Gesichter vor weisser Leinwand sind bestechend.»
Ganzer Beitrag: Repression im Rechtsstaat
«Das Schicksal von Marianne Steiner ist eines von vielen, die der Porträtband über administrativ versorgte Menschen erzählt. Er zeichnet Biografien nach, die physische und psychische Schikanen erlebt hatten, die den Direktionen der Anstalten ausgeliefert waren und die monotone Zwangsarbeit ausführen mussten. [...] Die 16 Porträts von Frauen und Männern zeigen, wie gross der Handlungsspielraum für die Behörden war – und wie ohnmächtig die Opfer ihre Entscheide hinnehmen mussten. Dass dieses Buch der Auftakt zur UEK-Publikationsreihe bilde, sei kein Zufall, sagte gestern UEK-Präsident Markus Notter: ‹Wir wollen klarstellen, dass wir mit den Betroffenen auf Augenhöhe diese Forschung durchgeführt haben.› Denn die Expertenkommission habe einen doppelten Auftrag gehabt: die wissenschaftliche Aufarbeitung – und damit auch einen Beitrag zur Rehabilitierung der Opfer zu leisten.»
«Bis 1981 sperrten Schweizer Behörden Zehntausende in Anstalten ein, obwohl sie gegen kein Gesetz verstiessen. Sie wurden sogenannt ‹administrativ versorgt›. Willkürlich. Weil sie vielleicht unverheiratet zusammenlebten oder als ledige Frau schwanger waren. Dem Thema widmen sich nun ein Bildband und eine Wanderausstellung, die in zwölf Städten gastiert. Das Fotobuch porträtiert sechzig betroffene Männer und Frauen – die Missstände bekommen dadurch Gesichter.»
«Der erste Band der UEK-Veröffentlichungen liegt vor (angesagt sind vor dem abschliessenden ‹Synthesebericht» im September acht weitere Bände). ‹Gesichter der administrativen Versorgung. Porträts von Betroffenen› ist eine Sammlung von hervorragenden Schwarzweiss-Porträtfotogafien (Jos Schmid) und Textporträts von einem guten Dutzend AutorInnen – insgesamt begegnet man fünfzig Betroffenen. Das Buch besticht auch durch das, was es nicht beinhaltet: Hier produziert eine staatlich installierte ‹Expertenkommission› nicht fussnotenimprägnierten geisteswissenschaftlichen Schwurbel, sondern stellt sich demonstrativ in den Dienst jener, die Objekt ihrer Expertise sind. Wenn dies ein Signal ist auch für die Arbeitsweise in den weiteren UEK-Veröffentlichungen, darf man gespannt sein.»
Ganzer Beitrag: Administrativjustiz: Es ist Zeit, hinzuschauen
«Es geht um Menschen und nicht um Objekte. Nicht um Paragrafen und auch nicht um die Gesellschaft. Sondern um die Schicksale einzelner Menschen. Das zeigt das eindrückliche Schwarzweissbild des Fotografen Jos Schmid, das optisch über der Wanderausstellung ‹Ausgegrenzt & weggesperrt› steht. Es zeigt die Nahaufnahme des Gesichts eines von mehreren Zehntausend Menschen, die zwischen 1930 und 1981 in Anstalten weggesperrt wurden, ohne dass sie eine Straftat begangen hatten. Einfach weil ihr Leben nicht der damals gängigen Norm entsprach. [...] Neben der Wanderausstellung ist auch der erste von zehn Porträtbänden erschienen, der die Schicksale von 60 Betroffenen beschreibt. In berührenden Texten und Bildern.»
Von den Behörden weggesperrt - Einblick in dunkle Zeiten. (Videopräsentation, 1 Minute und Text).
Tausende Personen wurden bis in die 1980er-Jahre in der Schweiz «versorgt». Nun wird das dunkle Kapitel aufgearbeitet.
«Die Gesellschaft darf nicht wegschauen…» (Beitrag 13.19 Minuten)
Endlich hat die offizielle Schweiz angefangen, die Geschichte der «administrativen Versorgungen» aufzuarbeiten.
TeleBärn (2.44 Minuten)
Vorstellung der Forschungsarbeit und des Porträtbandes.
Zwangsverwahrungen in der Schweiz - der Bericht
SRF Echo der Zeit «Portraitband für administrativ Verwahrte»
SRF Nouvo auf Facebook (Videobeitrag 4.51 Minuten)
Beitrag RTS 1: Pauvre mais pas fou, le scandale des internés de force
« L’histoire de Nelly et de Walter nous plonge dans la Suisse des années 50-60, lorsqu’une clinique psychiatrique pouvait compter un tiers de ‹ malades sociaux ›, comme cela fut le cas à Marsens. Il s’agissait souvent d’anciens enfants placés et maltraités en institution, considérés ensuite inaptes à une vie autonome. Ne sachant que faire de la colère de leurs pupilles, les tuteurs appelaient alors parfois la psychiatrie à la rescousse. A la clef, des années d’internement à Marsens pour Nelly et des molécules chimiques jamais homologuées pour le jeune Walter ».
«Man staunt, ja erschrickt, wenn man die Internetseite der unabhängigen Expertenkommission, Link öffnet in einem neuen Fenster (UEK) anschaut. Man sieht eine Übersicht für das Jahr 1933. Sie zeigt alle Anstalten der Schweiz, in denen Menschen versorgt worden sein könnten. Der Aargau ist von Nord bis Süd und von Ost bis West mit Punkten vollgestellt. Jeder Punkt steht für eine Anstalt. Es hat gegen 100. Im Kanton Zürich sind es viel weniger, nur etwa 60. Heisst das, dass es im Aargau besonders schlimm war mit dem Versorgen von unbequemen Erwachsenen?»
Ganzer Hörbeitrag Administrative Versorgungen - Gab es im Aargau besonders viele Anstalten? (3.36 Minuten und Text)
«Unter administrativer Versorgung verstehen die Forschenden Massnahmen, die zu einem Freiheitsentzug in einer geschlossenen Anstalt führten. Die Menschen wurden nämlich nicht interniert, weil sie eine Straftat begangen hatten, sondern weil ihr Handeln und ihr Lebensstil aus Sicht der Behörden nicht den damaligen gesellschaftlichen Normen entsprachen. Die Ergebnisse [der Forschungsarbeiten zur Adminstrativen Versorgung] werden nun in zehn Publikationen zwischen März und September 2019 veröffentlicht. Den Auftakt macht ein Porträtband. Er zeigt in schwarz-weiss Fotos 60 Menschen, die eine administrative Versorgung erlebten. Texte verdeutlichen die einschneidenden individuellen Folgen dieser Zwangsmassnahmen.»
Ganzer Beitrag: Expertenkommission will Fristverlängerung
«Die UEK beginnt die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse mit dem Porträtband ‹Gesichter der administrativen Versorgung. Porträts von Betroffenen›. Im Zentrum dieser ersten von insgesamt zehn Publikationen stehen die Menschen, die von administrativen Versorgungen betroffen waren. Über 60 betroffene Personen sind porträtiert: Einerseits in Form von Schwarz-weiss-Porträts des Fotografen Jos Schmid, andererseits in kurzen biografischen Texten, welche die Autorinnen und Autoren der UEK aufgrund mündlicher oder schriftlicher Quellen verfassten. Die biografische Annäherung zeigt, wer die Menschen sind, die von administrativen Versorgungen betroffen waren. Gleichzeitig verdeutlichen die konkreten Erfahrungen der Porträtierten das Wesen dieser Zwangsmassnahmen und deren einschneidende Wirkung auf ihr Leben. In diesem Sinne verweist der Porträtband zudem auf die weiteren wissenschaftlichen Publikationen der UEK, in denen der Perspektive der betroffenen Personen stets ein grosser Stellenwert beigemessen wird.»
Weitere Pressestimmen aus der französisch- und italienischsprachigen Schweiz:
La Liberté
Le Matin
RSI, Telegiornale
RTS Info
RTS Info, Le 19h30
20 Minutes
20 Minuti
24 heures
Beitrag auf dem Internetportal der römisch-katholischen Kirche im Kanton Bern
Buchhinweis und dem Hinweis auf die Wanderausstellung.
Administrative Versorgung: Mehrere zehntausend Betroffene (Videobeitrag, 2.30 Minuten)
Die Unabhängige Expertenkommission (UEK), die die Geschichte der administrativen Versorgungen vor 1981 wissenschaftlich untersucht hat, hat am Montag den ersten von zehn Berichten vorgelegt. Mit einer Wanderausstellung und Veranstaltungen soll die Öffentlichkeit zusätzlich über das Schicksal Betroffener informiert werden.
Un’orrenda vicenda: gli "internamenti amministrativi" (8 Minuten)