Ein Schweizer in Pernambuco
Hermann Kummlers Reisebericht
Im März des Jahres 1888 traf der junge Aarauer Hermann Kummler in Pernambuco (Recife) ein, um eine Stelle als Commis bei der Schweizer Handelsfirma Cramer, Frey & Co. anzutreten. Drei Jahre lang hielt er sich in Brasilien auf und arbeitete im Importgeschäft mit, das Stoffe und Konfektionswaren aus Europa bezog und an Kundschaft in der Stadt und im Hinterland verkaufte. Während dieses Aufenthaltes sandte Kummler zahlreiche Briefe an seine Mutter und verfasste nach seiner Rückkehr, auf diese Korrespondenz gestützt, einen Bericht. Dieser liegt nun, kundig eingeführt, kommentiert und mit einer Kurzbiographie versehen, erstmals im Druck vor.
Kummler ist ein nüchterner, genauer Beobachter und an der tropischen Flora und Fauna besonders interessiert. Sein Bericht befasst sich eingehend mit Nutzpflanzen wie Kaffee, Kakao und Baumwolle; auch die Verarbeitung von Zuckerrohr und Kautschuk oder das Verfahren der Brandrodung werden anschaulich geschildert. Das Interesse an der Fauna verbindet sich bei ihm mit einer für das 19. Jahrhundert typischen naturwissenschaftlichen Sammelwut; und wenn er über einen neugierigen Dilettantismus nicht hinauskommt, so liegt dies am Fehlen von Fachliteratur und am noch bescheidenen Forschungsstand.
Geschäftsbeziehungen, aber auch wiederholte Fieberanfälle, die «Luftveränderungen» nötig machen, führen Kummler nach Rio, Petrópolis und Bahia, wo er überall auf gastfreundliche Landsleute trifft. Die Aufzeichnungen vermitteln einen guten, zuweilen auch humorvollen Einblick in das Leben der weissen Einwanderergesellschaft, die sich von der farbigen Bevölkerung deutlich abgrenzt und ein reges Eigenleben führt. Da es an kulturellen Anlässen fehlt, spielen kirchliche Feiertage eine grosse Rolle, und man nimmt jede sich bietende Gelegenheit wahr, ein Fest zu feiern, sei dies nun das Jubiläum der Schlacht von Näfels oder die Wahl eines neuen Bundesrates. Bemerkungen zur politischen Situation oder zu den gesellschaftlichen Verhältnissen finden sich im Bericht selten, obwohl sich der Schweizer zum historisch bedeutsamen Zeitpunkt der Abschaffung von Monarchie und Sklavenwirtschaft in Brasilien aufhält.
Kummler ist kein «voyageur philosophe». Nur einmal dringt die Zivilisationskritik der Aufklärer bei ihm durch, wenn er schreibt: «Warum senden wir Europäer unsere Missionäre in die fremden wilden Länder, wenn die Menschen dort doch viel glücklicher sind als wir, die wir oft nur dem schnöden Mammon huldigen und Neid und Eifersucht zeigen gegen Bessergestellte. Wir täten besser, unsere Unzufriedenen in jene Länder zu senden, sie würden dann vielleicht bekehrt.»
Dem Bericht Kummlers sind Photographien von hohem dokumentarischem und oft auch ästhetischem Wert beigegeben, die zum grossen Teil von ihm selbst stammen. Der Schweizer gehörte im damaligen Brasilien zu den Pionieren auf diesem Gebiet, und wenn er mit Fotoapparat und Stativ ausrückte, so umringten ihn die Schaulustigen. Seine ausgeprägte technische Begabung erlaubte es Hermann Kummler nach seiner Rückkehr, eine zweite Laufbahn zu beginnen: Er beteiligte sich an der Elektrifizierung der Stadt Aarau und brachte es in der Elektrotechnik und im Leitungsbau zu internationalem Ansehen.
Urs Bitterli
Béatrice Ziegler, Beat Kleiner (Hrsg.): Als Kaufmann in Pernambuco 1888-1891. Ein Reisebericht mit Bildern aus Brasilien von Hermann Kummler. Chronos-Verlag, Zürich 2001. 172 S., Fr. 58.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Dienstag, 28.05.2002 Nr.120 59