Von kranken Kämpfern
rox. In ihrer Ausgabe vom 11. März 1889 veröffentlichte die «Berliner
Klinische Wochenschrift» die ausführliche Darstellung eines Falles von
männlicher Hysterie. Das Besondere an dem Fall war, dass er sich in einer
Kaserne des badisch-preussischen Armeekorps ereignet hatte und folglich im
entsprechenden königlichen Garnisonslazarett behandelt worden war. Es ist
dieser erste dokumentierte Hysteriefall, mit dem der Zürcher Historiker
Martin Lengwiler seine Untersuchung über das Entstehen der
Militärpsychiatrie in Deutschland und der Schweiz einleitet. Im Mittelpunkt
der Arbeit steht die Zeit von 1870 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Schon einleitend wird auf die Zwangslage der in der Militärpsychiatrie
tätigen Ärzte hingewiesen: In Kriegszeiten gerieten sie ausnahmslos in einen
Interessenkonflikt zwischen dem Anliegen der Kranken, dem «Krankmacher»
Krieg endgültig zu entkommen, und dem staatlichen Interesse, die kranken
Soldaten nur kurz zu behandeln, um sie möglichst bald wieder an die Front zu
schicken. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen überdies auf, inwiefern die
Psychiatrie das Militär als Profilierungsfeld für ihre eigenen
wissenschaftlichen Legitimationsbedürfnisse benutzte.
Martin Lengwiler: Zwischen Klinik und Kaserne. Die Geschichte der
Militärpsychiatrie in Deutschland und der Schweiz 1870 bis 1914.
Chronos-Verlag, Zürich 2000. 432 S., Fr. 42.50.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 08.04.2000 Nr. 84 68