Die östliche Schweiz in der Vormoderne
tmn. Breit angelegte Monographien über Regionen im Ancien Régime waren das
Markenzeichen der «Annales»-Schule in ihrer kilometrischen Phase ab etwa
1960. Das französische Modell stand geistig Pate, als am Lehrstuhl des
Zürcher Mediävisten Roger Sablonier vor über zwanzig Jahren mit der
systematischen Aufarbeitung bisher kaum beachteter nichturkundlicher
Wirtschafts- und Verwaltungsquellen der östlichen Schweiz begonnen wurde.
Ein Sammelband mit 23 Beiträgern gibt eine Vorstellung von den seither und
gegenwärtig betriebenen Forschungen zur Wirtschafts- und
Gesellschaftsgeschichte. Sie reichen von der Selbstversorgung im
Bauerngarten über die Normierung der Salzmasse oder die mikrogeschichtliche
Rekonstruktion der klösterlichen Güterverwaltung und Abgabenerhebung in
Basadingen bis hin zur multimedialen oder musealen Präsentation von
Geschichte. Machtstrategien der Grafen von Toggenburg werden ebenso
analysiert wie das mehr oder weniger konfliktuelle Aushandeln von
(Herrschafts-, Dorf- oder Parzellen-)Grenzen in einer Gesellschaft, in der
Kataster oft noch fehlen. Erfolgreiche dörfliche Widerspenstigkeit
zermürbte in Dachsen und Uhwiesen zwar die lokalen Gerichtsherren, die
Adligen von Fulach, in langen Streitigkeiten über Bussen und Abgaben; doch
trat in der Mitte des 16. Jahrhunderts der bisherige Schiedsrichter, die
Zürcher Landesherrschaft, an ihre Stelle und schränkte den Spielraum der
Dorfbewohner viel effizienter ein als die vormaligen Schlossherren auf
Laufen. Methodisch unterschiedlich, doch stets theoretisch reflektiert,
werden hier zahlreiche Einblicke in den Komplex «ländliche Gesellschaft»
ermöglicht.
Thomas Meier / Roger Sablonier (Hrsg.): Wirtschaft und Herrschaft. Beiträge
zur ländlichen Gesellschaft in der östlichen Schweiz (1200-1800). Chronos,
Zürich 1999. 468 S., Fr. 68.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 20.05.2000 Nr. 117 68