Kein Buchumschlag vorhanden
Zwischen Ökonomie und Ideologie
Arbeit im Lebenszusammenhang von Frauen im Kanton Basel-Stadt 1870–1910
Broschur
1997. 336 Seiten
ISBN 978-3-905312-27-0
CHF 48.00 / EUR 27.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • In den Medien
Die Arbeit zeigt den Zusammenhang zwischen struktureller Entwicklung der Frauenlohnarbeit und der Gestaltung der gesellschaftlichen Normen auf. Einleitend wird nachgezeichnet, wie das Fragen nach den Frauen in der Geschichte für die Schweiz begann, welche wissenschaftlichen, forschungspolitischen und gesellschaftlichen Ziele gesetzt wurden und wo die Schwerpunkte der Forschung liegen.
Die hier gebotene Analyse von Frauenarbeit fusst auf dem in der geschlechtergeschichtlichen Forschung verankerten Verständnis von Arbeit als einer Gesamtheit von verschiedenen Tätigkeiten, im Zentrum steht indes die Lohnarbeit. Erforscht werden die ökonomischen und strukturellen Bedingungen von Frauenlohnarbeit, ihre Bedeutung bei der Gestaltung des sozialen Gefüges, den Wandel der Arbeitsbedingungen, die Bewertung der Frauenarbeit und ihr Einfluss auf die Gesetzgebung sowie die Bedeutung dieser Arbeit einerseits für die Frauen selber, anderseits für ihre ökonomische, gesellschaftliche und innerfamiliäre Stellung. Insbesondere dem Wert, den Lohnarbeit für Frauen in der Krisensituation einer Ehescheidung hat, wird vertiefte Beachtung geschenkt.
Der weitsichtige und quellenkritische Umgang mit Statistiken zeigt, dass vermeintlich objektives Zahlenmaterial nur bedingt über reale Verhältnisse von Frauen Auskunft gibt.
Dass Erwerbstätigkeit auch stets ein Machtfaktor darstellt, zeigt sich in der Übertragung des dualistischen Geschlechterkonzepts auf die Arbeitswelt.

Regina Wecker ist emeritierte Professorin für Frauen- und Geschlechter­geschichte am Historischen Seminar der Universität Basel.


Bücher im Chronos Verlag


Aufsätze im Chronos Verlag

Besprechungen
Sonderkategorie Frau rox. Inwiefern das Entstehen einer «Sonderkategorie Frau» auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt das Produkt eines gewollten und gesteuerten Zusammenwirkens von Familienpolitik und Wirtschaftspolitik ist, ist das Thema von Regina Weckers Basler Habilitationsschrift. Ausführlich wird die Entwicklung der Frauenarbeit im Kanton Basel-Stadt anhand von «Thatsachen» der Volkszählungsstatistik zwischen 1870 und 1910 dargestellt. Dabei zeigt sich, dass im Verlauf der Industrialisierung gerade die Frauen - und unter ihnen die verheirateten - wieder vermehrt in den häuslichen Bereich zurückgebunden wurden; der Arbeitsmarkt trug also nicht zu einer Egalisierung der Geschlechter bei, sondern wertete männliche und weibliche Lohnarbeit unterschiedlich. Die Kommentare zu Volkszählungen zeigen überdies, dass die Vorstellung von «selbständig» tätigen Frauen sowohl bei der männlichen Arbeiterschaft wie auch beim Gesetzgeber Ängste und Vorbehalte hervorrief. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dieser neu-alte Bewertungsprozess der weiblichen Industriearbeit abgeschlossen: Alle gesellschaftlichen Kräfte stimmten nun (wieder) darin überein, dass es der Familie «schade», ja dass es zu ihrer Auflösung führen könne, wenn (verheiratete) Frauen ausserhalb des Hauses tätig seien und sich von ihrer «eigentlichen» Arbeit entfremdeten. Die betroffenen Frauen allerdings - speziell die Geschiedenen - sahen in der ausserhäuslichen Lohnarbeit einen eindeutigen Zuwachs ihrer wirtschaftlichen und sozialen Position. Regina Wecker: Zwischen Ökonomie und Ideologie. Arbeit im Lebenszusammenhang von Frauen im Kanton Basel-Stadt 1870-1910. Chronos-Verlag, Zürich 1997. 335 S., Fr. 48.-. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ. Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 28.03.1998 Nr. 73 48

Wer bei diesem Buch eine alltagsgeschichtliche Gesamtschau der Frauenarbeit im Basel der Jahrhundertwende erwartet, wird nicht auf seine Kosten kommen. Regina Wecker hat ein anderes Projekt vor Augen. Die Perspektive ihrer histoire totale geht von der Frage aus, warum und in welcher Weise Frauen im Prozess der Industrialisierung in die Rolle der Hausfrau oder bestenfalls der Zuverdienerin abgedrängt worden sind, ohne in gleicher Weise wie Männer am emanzipatorischen Potential eines auf Lohnarbeit basierenden Arbeitsmarktes teilzuhaben. Der Kanton Basel dient dabei lediglich als Fallbeispiel; er liefert die Rahmenbedingungen, in deren Spannungsfeld sich der Prozess der gesellschaftlichen und geschlechterpolitischen Umstrukturierung im Zuge der Industrialisierung zwischen 1870 und 1910 für die Schweiz am deutlichsten herausarbeiten lässt. Mit Bedacht und sehr ausführlich reflektiert Wecker zunächst den historiografischen, theoretischen und methodischen Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung der letzten 20 Jahre. Sie entwickelt dabei einen synthetischen Ansatz für ihre Studie, der sowohl explizit der «alten politischen» Frauengeschichte als auch der «neuen akademischen» Geschlechterforschung verpflichtet ist. Heraus kommt ein komplexes Vorhaben, das sich aus emphatischer Parteilichkeit und methodisch/theoretischer Raffinesse speist: Erstens sollen Frauen als historische Subjekte sichtbar werden, zweitens wird Geschlecht als zentrale Strukturkategorie von Gesellschaft untersucht und drittens als soziale Konstruktion verstanden. Frauen, die Beziehung von (Erwerbs-)Arbeit und Gesellschaftssystem sowie geschlechtsspezifische Wahrnehmungen und Zuschreibungen rücken damit gleichberechtigt in den Mittelpunkt der Analyse. Der Wandel der Frauenarbeit, so Weckers zentrale These, war nicht zwangsläufige Folge, sondern prägendes Element der Industrialisierung. Ihr Anliegen ist es zu zeigen, wie die für Frauen verhängnisvolle Umdeutung von «Arbeit» in «Hausarbeit» und «Erwerbsarbeit» mit der strukturellen Veränderung zur industriellen Arbeitswelt einherging und deren Entwicklung massgeblich beeinflusste. So rücken etwa bei ihrer quantitativen Betrachtung der Basler Erwerbsstatistik zunächst die Statistiker selbst ins Blickfeld, männliche Angehörige derjenigen bürgerlichen Schicht, in der die lohnabhängige Erwerbsarbeit von Frauen, zumal von verheirateten, zuallererst in den Geruch des Unschicklichen kam. Wecker zeigt eindrücklich, wie und mit welchen Konsequenzen sich die Bewertungen von Frauenarbeit in den Textanalysen der Basler Statistik zwischen 1870 und 1890 veränderten. In gleichem Masse, wie sich das Ideal der «bürgerlichen Normalfamilie» in den Köpfen der Statistiker festsetzte, nahm ihre Vorstellung vom «männlichen (Normal-)Arbeitsmarkt» normativen und exklusiven Charakter an. Die lohnabhängige Erwerbsarbeit von Frauen, um 1870 noch als normal und üblich angesehen, galt ihnen 20 Jahre später als - einzudämmendes - Novum der Industrialisierung. Ob Frauen, wie die Basler Volkszählungen ausweisen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts tatsächlich weniger häufig einem Erwerb nachgingen, ist demnach historisch kaum zu falsifizieren, sondern vermutlich in erster Linie den Statistikern zuzuschreiben, welche die Frauenerwerbsarbeit zunehmend marginalisierten und unsichtbar machten. Als entscheidendes Charakteristikum der sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Frauenerwerbsarbeit in Basel arbeitet Wecker im ersten Teil des Buches die Ausbildung einer sinnfälligen Ambivalenz in Privat- und Arbeitsrecht heraus, die der Veränderung der Wirtschaftsordnung durchaus entsprach und absichtsvoll darauf angelegt war, die Stellung von Frauen entsprechend umzudefinieren: So gab etwa die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft Frauen mehr wirtschaftliche und persönliche Handlungsspielräume, während arbeits- und fabrikrechtliche Sonderregelungen sie auf ihren «häuslichen Wirkungskreis» festlegten. Welche praktische, gesellschaftliche und persönliche Bedeutung die Erwerbsarbeit von Ehefrauen im späten 19. Jahrhundert hatte, ist Thema des zweiten, kürzeren Teils. Nun wird die Studie, was ihren empirischen Bezug zu Basel und seiner «Frauengeschichte» anbetrifft, am dichtesten. Wecker legt hier eine hoch aufschlussreiche Analyse der Akten des Basler Scheidungsgerichts vor, die sehr genaue Einblicke in innereheliche Aushandlungsprozesse über die Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit in unterschiedlichen Generationen und gesellschaftlichen Schichten zulässt. Sie zeigt einerseits, wie vielfältig und widersprüchlich die Bedeutung von Frauenlohnarbeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts jenseits normativer Diskurse noch war. Andererseits tritt klar zutage, dass auch die Frauen selbst die Auffassung noch nicht verinnerlicht hatten, vorrangig für die Familie zuständig zu sein. Im Basler Gericht gingen zwischen 1876 und 1910 etwa 1300 Scheidungsklagen ein, von denen 1048 tatsächlich geschieden wurden. In den überwiegenden Fällen riefen Frauen das Gericht an, und meist waren sie erwerbstätig. Hinterfragt wurde dies vor Gericht von keiner Seite, im Gegenteil: Die Erwerbsarbeit war vor allem relevant, weil sie eine Scheidungsklage ermöglichte und sie wirtschaftlich rechtfertigen und durchzusetzen half. Konnte etwa die Frau dem Mann eine gröbliche und dauerhafte Verletzung seiner Pflichten als Ernährer nachweisen und zukünftig ökonomisch auf eigenen Füssen stehen, war auf Zustimmung des Gerichts am ehesten zu rechnen. In der Zunahme der Scheidungsraten sieht Wecker ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Lohnarbeit Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts eine Erweiterung ihrer Handlungsspielräume bot, deren Nutzung allerdings mit gesellschaftlicher Stigmatisierung geahndet wurde. Ab und an hätte es sich angeboten, die analytische Perspektive über den Schweizer Raum hinaus auszudehnen, um die Fallstudie in eine Entwicklung einzuordnen, die - zumindest für Deutschland - inzwischen recht gründlich erforscht ist. Und es ist wohl auch weniger der Versuch, Frauengeschichte und Geschlechtergeschichte zu schreiben, der dieses Buch recht sperrig macht. Eher stellt sich der Eindruck ein, dass dies auf Weckers Anliegen zurückzuführen ist, methodisch sorgsam durchdachte Textanalysen zu präsentieren, die Basler Lokalgeschichte mit strukturellen Entwicklungen der Industrialisierung in eins zu setzen und gleichzeitig politische Aufklärungsarbeit darüber zu leisten, dass die heute zur Selbstverständlichkeit geronnene «Doppelrolle» von Frauen keineswegs eine historische Zwangsläufigkeit ist, sondern auf einer gesellschaftlich vereinbarten Arbeitsteilung der Geschlechter beruht. «Grosse» Fragen, generalisierende Antworten und methodische Reflexionen unterbrechen den Lesefluss immer wieder. So bietet das Buch insgesamt vielfache historiografische Anregungen, neue, hochinteressante Einblicke in die Schweizer Rechts- und Industrialisierungsgeschichte und äusserst Lesenswertes über die Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichte von Frauen zwischen Erwerbsarbeit und Familie, aber keine Narrative, welche alle Teile zu einem Ganzen fügt. Christine von Oertzen (Berlin) traverse - Zeitschrift für Geschichte - Revue d'historie 2000 / 01