Das Leben des jüdischen Flüchtlings Rolf Merzbacher zwischen Verfolgung, Psychiatrie und Wiedergutmachung
Die in Württemberg lebenden Eheleute Julius und Hilde Merzbacher bringen ihren dreizehnjährigen Sohn Rolf 1937 in die Schweiz. Während er und sein Bruder Werner die nationalsozialistische Judenverfolgung im Exil überleben, bleiben die Eltern in Deutschland zurück und werden in Lublin-Majdanek ermordet.
Rolf Merzbacher arbeitet ab 1940 in der Thurgauer Landwirtschaft und im Emigrantenlager. Der Jugendliche leidet unter Konzentrationsstörungen und beginnt 1942 eine Psychotherapie. 1944 tritt er in die Psychiatrische Klinik Münsterlingen ein. Von der Elektroschockbehandlung erhofft er sich die Heilung seines Leidens, dessen Ursache vorerst rätselhaft bleibt. Schliesslich diagnostiziert die Klinik Schizophrenie. Nach dem Krieg wollen die Thurgauer Behörden den unerwünschten Juden loswerden. Er wird in den Kanton Graubünden verlegt und bleibt bis zu seinem Tod 1983 in psychiatrischer Pflege. In den 1950er Jahren fragt sich sein ehemaliger Arbeitgeber, ob man sich nun Vorwürfe machen müsse. Und die deutschen Wiedergutmachungsbehörden haben in den 1960er Jahren zu beurteilen, ob es zwischen Merzbachers Krankheit und der Judenverfolgung einen Zusammenhang gebe.
Rolf Merzbachers Schicksal wird anhand von Selbstzeugnissen, von Akten der Psychiatrie, Polizei, Flüchtlingsfürsorge und der Wiedergutmachungsverfahren sowie aufgrund von Interviews mit Zeitzeugen dargestellt. Der Einzelfall wird in seinem historischen Zusammenhang untersucht und gibt Einblick in die schweizerische Flüchtlingspolitik, die Psychiatrie der 1940er Jahre und die Logiken der Wiedergutmachung.
Die Geschichte erzählen
Die Quellen
Biografie und Fallrekonstruktion
Daten und Schauplätze
1 Heimat und Vertreibung: Öhringen (1884–1938)
Vom Land in die Stadt
Dr. Julius Merzbacher
«Machtergreifung»
Gewalt in der Provinz
Die Vertreibung
2 Auf dem Weg ins Exil: Konstanz und Kreuzlingen (1938–1940)
Vorbereitung der Emigration
Kinderhilfe
Trennung von den Eltern
Gedanken zur Berufswahl
Der Onkel in Amerika
3 Deportation der Eltern: Gurs (1940–1942)
Ein Lager in Frankreich
Briefe der Hoffnung
Sorgen um die Kinder
4 Emigrantenleben: Kreuzlingen, Davesco, Tägerwilen (1940–1944)
Lebenswelt, Selbstzeugnisse, Krankenakten
Arbeit in der Landwirtschaft
Berufswunsch Laborant
Ersatzfamilien
Exkurs: Schweizerische Lager im Krieg
Davesco
Tägerwilen
Der Traum von den Kleidern
Entscheidung für die Klinik
5 Ärztliche Hilfe: Münsterlingen (1942–1945)
Psychiatrie in Münsterlingen
Psychotherapie
In der Klinik
Vom rätselhaften Patienten zum typischen Fall
Todesnähe
6 Ausweisung eines Unerwünschten: Frauenfeld (1945–1951)
Umstrittene Unterstützungspflichten
Thurgauer Vertreibungspolitik
Die Kostenfrage als Kaschierung der Prinzipienfrage
7 Wiedergutmachung: Freiburg, Karlsruhe, Zürich (1948–1973)
Vielfältige Entschädigungsfragen
Rückerstattung von Vermögenswerten
Das Todesdatum der Eltern
Wiedergutmachung psychischer Schäden
Ein verfolgungsbedingtes Leiden
8 Wege der Erinnerung
Münsterlingen
Frauenfeld
Öhringen
Den Fall verstehen
Emigrant im Thurgau
Patient in Münsterlingen
Opfer nationalsozialistischer Verfolgung
«Ein sehr bewegendes Buch, das man gern und mit Spannung liest.»
Martin Knoepfel, Thurgauer Zeitung
«Er [Rolf Merzbacher] gehört zu einer riesigen Schar von Leidensgenossen, die verstummt sind und deren Lebensspur sich verloren hat. Solchen Opfern seine Stimme zu leihen, kann auch eine wichtige Aufgabe für den Historiker sein. Spuhler hat diese Aufgabe auf überzeugende Art gemeistert.»
Urs Bitterli, NZZ Bücher am Sonntag
«Seine [Gregor Spuhler] umfassende Recherche besticht dadurch, dass sie der Gefahr vorschneller Schuldzuweisungen durch eine differenzierte und methodisch-kritische Analyse entgeht.»
Ralph Hug, St. Galler Tagblatt
«Mit ‹Gerettet – zerbrochen› leistet Gregor Spuhler einen eindrücklichen Beitrag zur Aufarbeitung der Schweizer Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs, der Psychiatrie der 1940er Jahre sowie der ‹Logik der Wiedergutmachung›.»
Schaffhauser AZ
«Der Historiker Gregor Spuhler hat nun in seinem Buch ‹Gerettet – zerbrochen› die Biografie des Flüchtlings ohne grosse Worte und Pathos, dafür aber behutsam und präzis rekonstruiert.»
Urs Hafner, NZZ
«Spuhlers Buch, faktengetreu und in einer unaufgeregten Sprache geschrieben, gibt Einblick in die schweizerische Flüchtlingspolitik, die Psychiatriegeschichte und die Wiedergutmachung. Darüber hinaus könnte es zum Nachdenken über heutige schweizerische Flüchtlingspolitik anregen.»
Richard Butz, Saiten
«Souverän spinnt [Gregor Spuhle] den biographischen Faden durch eine Vielzahl von oft verwirrenden Quellen, souverän beherrscht er den Forschungsstand zum Judentum in der Schweiz und zur unseligen Flüchtlingspolitik des vom Krieg verschont gebliebenen, neutralen Landes. Seine präzisen Ausführungen sind niemals pathetisch, umso anrührender wirkt das Schicksal des Flüchtlings, der in der Schweiz psychisch zerbrach, auf die Leserinnen und Leser.»
Fabian Brändle, DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift
«Das Leben Rudolf Merzbachers zu erzählen und in einem Buch einer breiteren Leserschaft bekannt zu machen, ist mehr als berechtigt. Gregor Spuhler ist es gelungen, dieses wahrlich schwierige Schicksal anhand einer breiten Quellenbasis zu rekonstruieren und zu problematisieren.»
Stefanie Mahrer, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte
«Gregor Spuhlers Studie eines Einzelschicksals ist sowohl methodisch wie auch inhaltlich beispielhaft für die Aufarbeitung und bietet erhellende Einblicke in die damaligen Mechanismen der Flüchtlingspolitik und Psychiatrie, die wiederum am biografischen Fall verdeutlichen, welche Wirkung von ihnen ausgegangen ist. Das Buch trägt deshalb auch wesentlich zur Aufarbeitung bei.»
Markus Furrer, Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte