Gesandte, Schreiber, Akten
Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter
Broschur
2004. 368 Seiten
ISBN 978-3-0340-0683-5
CHF 58.00 / EUR 38.80 
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Die eidgenössische Tagsatzung, welche Ende des 14. Jahrhunderts entstand, ist für die spätmittelalterliche Eidgenossenschaft einziges überregionales Forum zur Konfliktregelung und zur Lösung von zwischenörtlichen Problemen. Für die ältere Forschung galt die Tagsatzung als staatliche Institution und demokratische Vorform heutiger Parlamente. Nach einer eingehende Diskussion dieser Mythenbildung des 19. Jahrhunderts, bedingt durch die nationale Geschichtsschreibung und durch die Edition der eidgenössischen Abschiede, werden in diesem Buch Gesandte, Boten und Stadtschreiber erstmals unter kommunikationshistorischen Aspekten als politische Akteure beschrieben, welche die Tagsatzungen immer wieder neu und oft ad hoc konstituierten. Die Studie benennt die einzelnen Aktionsfelder der diplomatischen, politischen und lokalen Kommunikation, zeigt Auswertungsmöglichkeiten auf und untersucht die Funktion der Schriftlichkeit in der kommunikativen Praxis anhand einzelner Fälle und in der längeren Entwicklung des Spätmittelalters. Auf den Tagsatzungen entstand im Verlauf des 15. Jahrhunderts immer mehr Schriftlichkeit in Form von Urkunden, Abschieden und Briefen. Steigende Bedürfnisse nach Verbreitung und Benutzung von politischer Information, der Wandel von Herrschafts- und Verfahrenswissen, der zunehmende Gebrauch von Schriftlichkeit und neue Verhandlungsthemen bzw. neue politische «Agenden» veränderten das politische System wie auch die Schriftproduktion wechselseitig und ständig. Der Autor hebt hervor, dass das politische Handeln neben der zunehmend wichtigen Schriftlichkeit durch Körpersprache, Rituale und Kleidung in einem plurimedialen Umfeld stattfand.

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Besprechungen
Politische Kommunikation csc. Im August 1475, mitten in den Burgunderkriegen, trafen sich die eidgenössischen Gesandten in Bern zu einer Tagsatzung. In dem Tagsatzungsprotokoll, dem sogenannten Abschied, hielt der Berner Schreiber einen langen Katalog kriegsvorbereitender Massnahmen fest und schloss mit der Bemerkung, ein jeder Gesandte könne das Verschriftlichte seinen Obrigkeiten gegenüber dann noch genauer erläutern. Michael Jucker geht in seiner Dissertation zur politischen Kommunikation auf Tagsatzungen des Spätmittelalters solchem Ineinandergreifen von mündlicher Beratung und schriftlicher Aufzeichnung nach. Entschieden wendet er sich einleitend gegen die nachwirkende «Mythenbildung» des 19. Jahrhunderts, die namentlich durch die «Amtliche Sammlung der ältern Eidgenössischen Abschiede» geprägt worden sei und in der Tagsatzung eine Regierungsbehörde und eine demokratische Vorform des modernen Parlaments gesucht habe. Jucker kritisiert die Edition der Abschiede ausführlich; insbesondere den ersten, 1245 einsetzenden Band hält er für eine wilde «Sammlung verschiedenster Dokumente zur schweizerischen Verfassungsgeschichte». Der Autor stützt sich daher auf archivalisches Schriftgut, wenn er nach den Rollen der Gesandten und Schreiber fragt, den Funktionen von Abschieden, Kredenzbriefen, Vollmachten, Instruktionen und Ratsprotokollen sowie nach deren Verschränkung mit mündlichen wie auch gestischen Formen der Kommunikation. Seine Befunde zum «medialen Wandel» werfen ein neues Licht auf die spätmittelalterliche Tagsatzung: Erst ab etwa 1390 sei «tagsatzungsrelevantes» Schriftgut und erst um 1450 die Form des Abschieds entstanden, die Abschiede seien eher «Pendenzenprotokolle» als verbindliche Beschlüsse und ihre steigende Zahl ab etwa 1470 kein Zeichen gezielter staatlicher Verdichtung, sondern Resultat einer konfliktgeladenen Lage, in der auch auswärtige Mächte mitredeten. Michael Jucker: Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter. Chronos-Verlag, Zürich 2004. 367 S., Fr. 58.-. Publiziert mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung. Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 08.01.2005 Nr.6 48 (c) 1993-2005 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1