Traditionellerweise herrscht die Vorstellung vor, die Generation, die den Zweiten Weltkrieg in der Schweiz miterlebt hat - die so genannte Aktivdienstgeneration - sei eine homogene Einheit gewesen: abwehrbereit und geschlossen. Doch war dies wirklich der Fall? Die vorliegende Studie zeigt durch eine Analyse von Interviews, Erinnerungsschriften, militärtheoretischer Literatur, Propagandatexten und Archivquellen, dass das traditionelle Bild der Aktivdienstgeneration im wesentlichen durch die Propaganda der geistigen Landesverteidigung geprägt war. Die gegen Ende der dreissiger Jahre zunehmend polarisierte Geschlechterordnung spielte dabei eine zentrale Rolle. Das Bild des Wehrmannes, der mit dem Karabiner in der Hand die daheim gebliebene Familie beschützt, sowie das Bild der Schweizerin als Hausfrau und selbstlose Unterstützerin ihres wehrpflichtigen Mannes wurden zu normativen Leitbildern.
Doch hinter diesen Propagandabildern verbarg sich ein höchst widersprüchlicher Alltag. Die Soldaten im militärischen Aktivdienst klagten über den andauernden Drill und verdächtigten ihre Offiziere, die von «wahrem Soldatentum» und totalem Gehorsam träumten, der Sympathie mit dem Nationalsozialismus. Im Offizierskorps entbrannte während des Krieges ein Machtkampf, bei dem es unter anderem um konkurrierende Vorstellungen der militärischen Ausbildung ging und in dem sich unterschiedliche Ansichten zur gesellschaftlichen Positionierung der Armee mit unterschiedlichen Männlichkeitskonzepten vermischten. Der Rückzug der Armee ins Alpenreduit schliesslich, nach dem Krieg das Sinnbild des schweizerischen Widerstandswillens, stellte während des Krieges die bis dahin bestehende identitätsstiftende Balance zwischen der schützenden Armee und der zu beschützenden Zivilbevölkerung auf den Kopf. Erstmals wird in dieser Studie deutlich, mit welchen diskursiven Mitteln die Armeeführung die Reduitstrategie sinnhaft machte, und erstmals wird gezeigt, dass der wahre Inhalt der Reduitstrategie bis gegen Ende des Krieges vor der Zivilbevölkerung geheim gehalten wurde.
Als eines der wenigen Länder war die Schweiz zwischen 1939 und 1945 von den Folgen der kriegerischen Gewalt weitgehend verschont geblieben. Die Propagandabilder der Kriegszeit, insbesondere die polarisierten Geschlechtervorstellungen blieben deshalb noch jahrzehntelang wirkungsmächtig. Dies war einer der Gründe, warum in der Schweiz die Frauen als letzte in Europa die politischen Rechte zugesprochen erhielten. Das traditionelle Geschichtsbild der Nachkriegszeit stabilisierte die bestehenden sozialen Machtverhältnisse und wirkte als Deckerinnerung für die disparaten Erfahrungen der Kriegszeit.