Die mittelalterlichen Wandmalereien an der Brunngasse und ihr Kontext
Vor einigen Jahren sind im Haus an der Brunngasse 8 in Zürich Wandmalereien von einzigartiger Bedeutung zum Vorschein gekommen. Sie entstanden um 1330 und schmückten einen grossen, repräsentativen Saal mit Motiven aus der höfischen Welt des Minnesangs. Auftraggeberin und Besitzerin des Hauses war Frau Minne, eine vornehme Zürcher Jüdin. Sie und ihre beiden Söhne Mosche und Mordechai ben Menachem waren im Geldleihgeschäft tätig, Mosche war zudem Rabbi und Autor einer bedeutenden Sammlung von Talmudkommentaren.
Im mittelalterlichen Europa waren die Juden zunehmend Verfolgungen ausgesetzt; so auch während der grossen Pestpandemie 1347–1353. In Zürich wurden am 23. Februar 1349 die männlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde ermordet, die Frauen und Kinder vertrieben. Zu den Opfern gehörte auch Rabbi Mosche ben Menachem.
Die in diesem Buch versammelten Beiträge von dreizehn Autorinnen und Autoren kreisen um die Malereien und ihren Kontext. Wie stehen diese zum biblischen Bilderverbot? Wie war die Stellung der jüdischen Frau in einer von Männern dominierten, christlichen Gesellschaft? Wie kam es zum Geldgeschäft als Gewerbe und zum Zerrbild des ‹geldgierigen Juden›? Stand ein wütender Mob hinter dem Pogrom von 1349 oder letztlich eine Oberschicht, welche vom Tod der jüdischen Gläubiger profitierte?
Mit dem Ziel, das Wissen über jüdische Kultur und das Verständnis jüdischen Lebens in der Schweiz zu fördern, gibt der SIG seit 1992 diese Schriftenreihe heraus.
«Die Entdeckung der Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert mit jüdischem Hintergrund im Haus an der Brunngasse 8 vor bald dreissig Jahren und deren wissenschaftliche Aufarbeitung haben internationales Aufsehen erregt. Die Eröffnung des kleinen Museums ‹Schauplatz Brunngasse› im Herbst 2020 gab Anlass zu einer, coronabedingt, virtuellen Vortragsreihe, die von den Verantwortlichen des Museums zusammen mit der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch in Zürich koordiniert wurde. [...] Die Beiträge sind nun in einem gewichtigen, reich illustrierten Band zusammengefasst, der einen vielfältigen Überblick über die jüdische Kultur im Mittelalter vermittelt und einen bisher wenig bekannten Aspekt zürcherischer Geschichte mit seinen Licht- und Schattenseiten detailliert zum Leben erweckt.»