Vorgänge individuellen und sozialen Lernens gehören zu den zentralen Themen sowohl der Geschichts- als auch der Wirtschaftswissenschaften. Freilich packen diese Disziplinen das Thema verschieden an. Die Geschichtswissenschaften neigen dazu, nicht bloss den Wandel soziokultureller, ökonomischer und politischer Strukturen in den Blick zu nehmen und seine Wirkungen auf menschliches Lernen zu untersuchen, sondern auch Veränderungen der Vorstellungswelten, in denen sich die Menschen bewegen. Für die Wirtschaftswissenschaften dagegen war und bleibt der Gedanke weithin wegleitend, man verstehe mit einer Analyse struktureller Faktoren auch schon die Entwicklung menschlicher Verhaltensweisen.
Die hier neu aufgelegten Aufsätze des Wirtschaftshistorikers Hansjörg Siegenthaler aus fünf Jahrzehnten zeigen, dass Menschen lernen, wenn ihnen neue Verhältnisse oder neue Institutionen Anpassungen abverlangen, aber auch dann, wenn sich Denkgewohnheiten ändern, also Regeln der Auswahl und der Interpretation von Informationen. Damit gewinnen sie – und zwar durchaus auch unabhängig von strukturellem Wandel und selbst gegenläufig zu ihm – neue Vorstellungen über Lebens- und Handlungschancen. Die Aufsätze beziehen sich auf historisch bedeutsame Lernvorgänge, die sich in unterschiedlichsten Bereichen menschlichen Handelns vollzogen haben. Sie berichten von innovativem Marketing, von Lernblockaden in regionalen Monokulturen, von Vorgängen sozialen Lernens in der Überwindung von Orientierungskrisen, von der Entstehung nationalistischer Überzeugungen oder vom notorischen Rückgriff auf traditionalistische Überzeugungen genau dann, wenn sich gewaltige Innovationsschübe abzuzeichnen beginnen.