Werner Wüthrich begleitet anhand der Antigone eine Theaterproduktion vom Auftrag bis zur Uraufführung und ihrer Wirkung. Bertolt Brechts experimentelle Theaterarbeit und seine damals neue Aufgabenzuteilung kann Schritt für Schritt nachvollzogen werden. Brecht wurde unermüdlich unterstützt vom Zürcher Theaterproduzenten und Churer Direktor Hans Curjel, dem Bühnenbauer Caspar Neher und der Schauspielerin Helene Weigel.
Dargestellt werden der Auftrag an Brecht für eine Antigone-Neufassung, seine Wiederaufnahme früherer Theaterarbeiten aus der Zeit der Weimarer Republik, sein junges Ensemble und die aussergewöhnliche Produktion für das Stadttheater Chur wie auch für eine internationale Theatertournee. Von den ersten Vorbereitungen in Zürich über das Theaterlabor in Chur bis hin zur Uraufführung am 15. Februar 1948 und dem ersten Modellbuch, dem Churer Antigonemodell, nehmen wir an Brechts Arbeit teil. Werner Wüthrich berichtet von neuen Funden und Entdeckungen, die fraglos in die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts eingehen werden.
Einleitung
I Hans Curjels Antigone-Auftrag Wiedersehen in «triiben Zeiten»
Theaterproduzent Curjel erteilt den Antigone-Auftrag
Die «historische Mission» des Zürcher Schauspielhauses
Eine neue Organisationsform für Theater
Brecht und das Zürcher Schauspielhaus
II «Antigone» von Sophokles – ein Theaterstoff liegt in der Luft Antigone-Bearbeitung mit «Analogien zur Gegenwart»
Der Antigone-Mythos als changierende Grösse in der Weltliteratur
Zur Schweizer Rezeption der «Antigonä» von Friedrich Hölderlin seit 1918
Die Zürcher «Antigone»-Fassung von Emil Staiger als ästhetischer Massstab
Entscheidung für die hölderlinsche Nachdichtung
Brechts «Durchrationalisierung» des altgriechischen Theaterstoffes
Die interessengeleiteten Nachdichtungen von Hölderlin und Brecht
Brechts Antigone nur pure «Fleissarbeit»?
Curjels Plazet für die Uraufführung der Antigone des Sophokles
III Theaterfrühling in Chur mit Hans Curjel Wiederaufnahme der an der Krolloper begonnenen experimentellen Theaterarbeit
Zur Nachhaltigkeit der Berliner Theaterexperimente
Curjel als Oberspielleiter am neuen Corso-Theater
Vom «fröhlichen Theater» zur Gründung der Theater- und Tournée-Genossenschaft
Curjel wird selbstständiger Theaterimpresario
Die Theater- und Tournée-Genossenschaft übernimmt das Stadttheater Chur
«Meisterwerke der Theaterliteratur ausserhalb der Grossstädte»
Das «Theaterwunder von Chur» und seine Folgen
Curjels Konzept scheitert, aber auf hohem Niveau
Zur Formierung des Antigone-Ensembles für Brecht
IV Brechts und Nehers Zusammenarbeiten Wiederaufnahme eines Wort-Bild-Dialoges in Zürich
Antigone auf der Bühne – mit oder ohne griechische Säule?
Die zentrale Bedeutung des Bühnenraums bei Brecht und Neher
Das Vorspiel verbindet den antiken Stoff mit der Gegenwart
Lichtkonzept ohne Schatten und Stimmung
Die «sorgfältig möblierte Leere»
Ein Kolonialstuhl und die Requisiten
Die Kostüme als symbolisch aufgeladene Zeichen
Überhöhende Schminke und Stabmasken
Casting und Probenbeginn im Volkshaus Zürich
Ein ideales Regieteam
V Antigone-Proben – ein Theaterlabor auf Zeit Die Uraufführung als Highlight der Spielplanpräsentation in Chur
Die Stimmung in Chur bei Brechts Ankunft
Fortsetzung der Probenarbeit und Warten auf Kreon
Das «Tänzerische» und das «natürliche Gebärdenspiel»
Brückenverse schulen die Akteure
Das Ensemble als stimulierendes «Kraftfeld»
Tagesablauf und Probenalltag in Chur
Die Botin – Brechts Einzelprobe mit Valeria Steinmann
Klangkulisse oder Bühnenmusik?
Helene Weigel auf und hinter der Bühne
Theaterlabor kontra Stadttheaterbetrieb
Previewmodell und gestaffelte Premieren als Kompromiss
Curjels Motto und Plädoyer für Brechts Theater
Einführungsabend zu Brechts Antigone Brecht ist zufrieden mit der Premiere in Chur
Antigone als internationale Gastspielproduktion
VI Ein Modell auf der Bühne Zusätzliche öffentliche Proben vor der zweiten Antigone-Premiere
Brechts stiller Geburtstag
Das Antigonemodell 1948 als Resultat der Verlängerung des Churer Theaterlabors
Das Testpublikum lehnt Brechts Antigone ab
Heiss umstrittene Sondervorstellung für die Kantonsschule Chur
Die zweite Antigone-Premiere als offizielle Uraufführung
VII Die Antigone-Uraufführung im Spiegel der Presse Sophokles und Hölderlin kontra Brecht
Zur Deutungshoheit in Sachen Klassik und Antigone Wertkonservative wie wohlwollende Churer Zeitungen
Wie umgehen mit Brechts Antigone? Differenzierte Bewertungen der Konzeption
Ein «vermessen zu nennendes Bühnenexperiment»
VIII Vom Antigonemodell 1948 zur Gründung des Berliner Ensembles Der Antigone-Boykott und seine unmittelbaren Folgen in Chur
Das Gastspiel am Zürcher Schauspielhaus floppt
Zur Zürcher Resonanz auf die Antigone-Matinee
Die Folgen des Debakels für den Theaterproduzenten Hans Curjel
Die Zürcher Antigone-Produktion als Urzelle für das Berliner Theaterprojekt B. Das «Theaterwunder» und das «Experiment Brecht»
Antigone und Antigonemodell 1948 auch in der DDR unerwünscht
Vom Modell zur Neubewertung der Antigone des Sophokles
Anhang Dokumente zur «Antigone» von Sophokles
- Aufführungen in der Schweiz im 20. Jahrhundert
- Die «Antigone» von Sophokles im Textvergleich
Dokumente zur Uraufführung Die Antigone des Sophokles - Empfehlungsschreiben Oskar Wälterlins
- Das Bühnenbild. Impressionen von Caspar Neher
- Das Ensemble «Gastspiel Helene Weigel» 1948
- Bemerkungen zu den Abbildungen der Antigone des Sophokles und des Antigonemodells 1948 am Stadttheater Chur
- Aufführungen der Antigone des Sophokles in der Schweiz (1948–1998)
- Brecht-Aufführungen in Chur seit 1948
Diese Buchreihe fördert die Publikation von Texten zur Grundlagenforschung in der Theaterwissenschaft. In Aufsatzbänden bleibt bei einer Vielfalt der Gegenstände auch eine methodische Variationsbreite gewahrt. Sie bereiten als Sondierungen das Terrain für Monografien vor, für historische Längsschnitte, in denen eine Theaterform über einen längeren Zeitraum untersucht, und für historische Querschnitte, in denen das Nebeneinander, die Wechselwirkungen verschiedener Theaterformen in einem relativ kurzen Zeitraum erforscht werden
«Werner Wüthrich zeichnet in seiner reich dokumentierten Studie ebenso eingehend wie fesselnd den Weg von der Niederlage zum Neubeginn nach, denn letztlich erwies sich die ‹Antigone›-Produktion als Keimzelle für die spätere Gründung des Berliner Ensembles.»
Beatrice Eichmann-Leutenegger, Neue Zürcher Zeitung
«Wüthrich hat ein detailliertes Bild der ersten Produktion Brechts im deutschen Sprachraum nach dessen Exil in Amerika gezeichnet. […] Wüthrich hat Brechts Antigone ausgeleuchtet und gescannt. Dadurch ist auch ein erhellendes Gemälde über die späten Vierziger in Chur entstanden.»
Ursina Trautmann, Südostschweiz
«Wüthrich rückt nun […] diese experimentelle Theaterarbeit kenntnisreich und anschaulich in den Fokus; der Leser kann Schritt für Schritt an Brechts Inszenierungsarbeit teilnehmen.»
Alexander Sury, Tages-Anzeiger