Der Schwyzer Schriftsteller Meinrad Inglin zählt neben Walser, Frisch, Dürrenmatt und Lötscher zu den bedeutendsten Schweizer Prosaisten des 20. Jahrhunderts. Sein panoramatischer Familienroman «Schweizerspiegel» gilt als eine herausfordernde und herausragende literarische Leistung zur Bewältigung der Krisen des liberalen Staatsmodells; viele Texte zeigen ein psychologisches Gespür für die inneren Entwicklungen der Figuren. Nach wie vor beeindruckt sein Erzählwerk mit komplexen Bezügen zu den Diskursen über Heimat, Natur, Menschennatur, zu Religion und staatsbürgerlicher Vernunft.
Inglins Werk steht trotz des zunehmenden Ringens um literarische Klassizität mitten in den Bewegungen seiner Zeit. Man kann in einigen Texten, etwa aus den 20er und frühen 30er Jahren, eine Verführbarkeit durch völkische Ideologeme erkennen, später steht er zuweilen als ein Vorläufer ökologischer Bewegungen da. Sein Verhältnis zur Natur ist intensiv, auch im Werk. Immer aber ist die menschliche Freiheit Zielhorizont. Die eigene schweizerische Position, das Bekenntnis zum liberalen Bundesstaat, zur Neutralität und genereller zur Zivilisation sind Überzeugungen, die in den Werken errungen werden: in einer Arbeit gegen die eigene Verführbarkeit durch die Ideologien des 20. Jahrhunderts, vor allem aber in einer Arbeit an der Sprache.
Der literarische Rang, die ernste Auseinandersetzung mit Zeitkontexten, die ästhetische Faktur der Texte – all dies hätte Inglin längst zu einem zentralen Gegenstand der Schweizer Germanistik werden lassen müssen. Dennoch ist die Aufmerksamkeit für Inglins Werk in Schule und Universität auch in der Schweiz eher begrenzt geblieben, und eine kontinuierliche Inglinforschung existiert bislang nicht. In fünfzehn Studien erkunden Germanistinnen und Germanisten aus dem In- und Ausland Meinrad Inglins Werk – auch um neue Aufmerksamkeit auf eine der wichtigsten Gestalten der Schweizer Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu lenken.