Das kollektive Gedächtnis ist seit einiger Zeit zu einem bevorzugten Thema der Fachhistorie geworden. Insbesondere die von Pierre Nora initiierten «lieux de mémoire» haben die Forschung angeregt. In jüngerer Zeit wurde das Konzept allerdings vermehrt kritisch hinterfragt, da das Bewusstsein zusehends an Gewicht gewann, dass diese Erinnerungsorte über weite Strecken von der Fachhistorie definiert und konstruiert, jedoch nicht empirisch erhoben worden waren. Erinnern sich die Franzosen oder die Deutschen tatsächlich an das, woran sie sich nach dem Dafürhalten der Historiker eigentlich erinnern sollten? Leben diese Erinnerungsorte überhaupt in der kollektiven Erinnerung? Diese Fragen wurden in einem historisch-soziologischen Forschungspraktikum an der Universität Luzern gestellt, deren Einzugsgebiet als eine Region mit einem kompakten Geschichtsbewusstsein angesehen wird. Die Studierenden machten in der Stadt Luzern durch Befragungen von Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Bevölkerungssegmente die Probe aufs Exempel. Dabei erwies es sich, dass «bedeutende Einheiten», die von der Fachhistorie als Erinnerungsorte angesprochen würden, im Bildungswissen wohl vorhanden sind und memoriert werden können, dass aber die eigentlichen Erinnerungsorte, die für die Identität Luzerns als wichtig erachtet werden, anders heissen: Tram, Milchmann, Mississippidampfer, Stadt am See im Kranz der Berge, Fastnacht und immer wieder Musik - von Toscanini und Gigli über die Glocken der Hofkirche bis zur Ländlerkapelle im Gotthardloch ...