Gewinn und Gewissen
rox. Selten nur - etwa, wenn wir unsere Skikünste vor dem imposanten Jungfrau-Panorama zu verbessern suchen - denken wir an den Zürcher Oberländer Textilfabrikanten Adolf Guyer-Zeller (1839-1899). Er nämlich ist als «Schöpfer der Jungfraubahn» in die Geschichte eingegangen; ohne seine Pioniertat würden wir uns heute nicht auf bequemen Bänken und in Turnschuhen aufs Jungfraujoch schaukeln lassen können. Doch Guyer-Zellers Persönlichkeit kennt weitere Facetten. Als Unternehmer, Politiker und Eisenbahnkönig war er erfolgreich, aber nicht unbestritten. So sind denn auch die Urteile über Adolf Guyer-Zeller, wie der Autor der anzuzeigenden Studie einleitend einräumt, mehr als gespalten. Wo die einen den «nimmermüden Geist des Unternehmers» lobend herausstellen, kritisieren andere ihn als Wahlfälscher und rücksichtslosen Kapitalisten. Wie hat sich Adolf Guyer-Zeller selbst gesehen? Solche Fragen sind nur spekulativ zu beantworten. Die hier zugänglich gemachten Selbstzeugnisse, vornehmlich Auszüge aus Reisetagebüchern und Briefen Guyer-Zellers, mögen die Frage nach dem ethischen Profil des Unternehmers immerhin zu beantworten helfen. Dass ein Christenmensch aus dem Dilemma zwischen Gewinn und Gewissen nicht einfach aussteigen kann, zeigt der Autor etwa in seinem Schlusswort, wo er recht metaphorisch davon spricht, dass Guyer-Zeller andere Menschen «stets mit einem mitfühlenden und einem berechnenden Auge» gesehen habe.
Wolfgang Wahl-Guyer: Adolf Guyer-Zeller in Selbstzeugnissen. Sehen und Sehnen in Reisetagebüchern und Briefen. Chronos-Verlag, Zürich 2004. 280 S., Fr. 48.-.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 03.04.2004 Nr.79 48
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