Durchsicht, Einsicht, Vorsicht

Eine Geschichte der Röntgenstrahlen 1896–1963

Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Band 5
Broschur
2003. 447 Seiten
ISBN 978-3-0340-0587-6
CHF 44.00 / EUR 36.00 
Vergriffen
E-Book (pdf)
2022. 447 Seiten
ISBN 978-3-0340-5587-1
CHF 34.00 / EUR 26.00 
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  • In den Medien
  • Buchreihe

Der deutsche Physiker W. C. Röntgen beschreibt 1895 erstmals die Wirkung von geheimnisvollen Kathodenstrahlen, die es ermöglichen, das Innere des menschlichen Körpers sichtbar zu machen. Damit wurden über die Medizin hinaus neue Sehmöglichkeiten und Wahrnehmungspotentiale erschlossen. Die Neuigkeit von Röntgens Entdeckung verbreitet sich rasch über alle Landesgrenzen hinweg.
Die Untersuchung von Monika Dommann setzt 1896, am Anfang dieser fulminanten Diffusionsgeschichte, ein. Indem eine science-in-action-Perspektive eingenommen wird, wird die Erfolgsgeschichte der Röntgenstrahlen dekonstruiert und erscheint als eine Geschichte von Interessenverschiebungen, Allianzbindungen, Übersetzungen und Übertragungen von einem Kontext in den nächsten.
Interferierten in einer Experimentierphase magische Effekte und wissenschaftliche Praxis noch vielfältig, so setzte in den darauffolgenden Jahrzehnten ein Popularisierungs-, Routinisierungs- und Professionalisierungsprozess ein, der dieser «découverte capitale» ihre Aussergewöhnlichkeit nahm und sie in der ärztlichen Praxis und im Krankenhaus zu einer diagnostischen Standardtechnik werden liess. In den 1920er Jahren kam es zu ersten breiteren Diskussionen über die Gefährlichkeit dieser Strahlen (die grundsätzlich schon 1905 erkannt war). Die vielfältige Anwendbarkeit und die diagnostische Potenz der Röntgentechnik hatte allerdings zunächst die Fortsetzung einer Erfolgsstory und den Beginn der modernen Apparatemedizin zur Folge. Die auf einen «Volksröngtenkataster» zulaufenden Massenuntersuchungen der 40er Jahre fielen allerdings bereits in eine Zeit, in der ­ insbesondere durch den Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ­ eine steigende Sensibilität für Strahlengefahren in der Öffentlichkeit festgestellt werden konnte. Die Utopie eines «strahlenden Zeitalters» verblasste nun angesichts einer neuen Risikoperzeption; die x-rays mutierten von Kristallisationskernen für futuristische Zukunftshoffnungen zum Gegenstand einer staatlichen Regulation, die auf den Schutz der Bevölkerung vor einer generell steigenden Strahlenbelastung hin angelegt waren. In der Schweiz wurde auf den 1. Mai 1963 eine auf dem 1957 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassungsartikel über die Atomenergie beruhenden Strahlenschutzgesetzgebung in Kraft gesetzt, die es dem Bund ermöglichte, Vorschriften zum Schutz vor ionisierenden Strahlen zu erlassen. Dieses Datum stellt den zeitlichen Schlusspunkt der Untersuchung dar.

ist Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Sie forscht und lehrt zur Geschichte der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Technik, der Medien und des Rechts.
Email: monika.dommann@hist.uzh.ch


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Besprechungen

Eine Schweizer Geschichte
der Röntgenstrahlen

bt. Die Röntgenstrahlen haben nach ihrer Entdeckung durch Wilhelm Conrad Röntgen Ende 1895 in Windeseile die Welt erobert. Die Tatsache, dass die neu entdeckte Strahlenart lebende Personen bis auf ihr Skelett entkleiden konnte, hat nicht nur die Physiker interessiert und die Phantasie der Zeitgenossen angeregt, auch der grosse Nutzen dieser Entdeckung für die Medizin war evident. Von Europa bis Amerika wurde sofort von Lehrern, Physikern und Erfindern, aber auch von Ärzten mit den neuen Strahlen experimentiert.
Monika Dommann hat nun in ihrer Dissertation nachgezeichnet, wie sich die Technik der Röntgenaufnahmen und ihr Gebrauch in der Medizin auch in der Schweiz etablierten. In Davos zum Beispiel stellte der aus Polen eingewanderte Privatgelehrte Alexander Rzewuski bereits wenige Tage nachdem die Nachricht von den «X-Strahlen» ihre Reise um die Welt angetreten hatte, mit selbst gebauten Apparaten erste Bilder her, und schon im Februar erläuterte er in öffentlichen Vorträgen «Die neue Entdeckung Prof. Röntgens». Bald machte er auch für einen befreundeten Arzt erste Aufnahmen von inneren Verletzungen - ein durchaus typisches Beispiel für die rasche Verbreitung der neuen Technologie.
Die Autorin verfolgt in ihrer Arbeit, die David Gugerli im Rahmen von Studien zur Technikgeschichte herausgegeben hat, aber nicht nur detailliert in verschiedenen Regionen der Schweiz die Entwicklung und Verbreitung der Röntgenstrahlen. Sie richtet ihr Augenmerk vor allem auch auf Machtkämpfe und Hierarchisierungsprozesse - sei es zwischen den Physikern und Technikern einerseits, die die Apparate entwickeln und in den Anfängen anwenden, und den Medizinern anderseits, die die Erfolge in der Regel für sich reklamieren; oder zwischen den männlichen Ärzten (von denen sich manche bald als «Radiologen» abgrenzen) und dem (zunehmend weiblichen) Hilfspersonal, das die Bilder zu bearbeiten und bewirtschaften hat, den Röntgenschwestern.
Die Entwicklung der Technik schreitet stetig voran, und mit ihr verändert sich auch der Alltag in Spital und Labor. Die richtige Interpretation der Bilder muss erst gelernt sein, es entstehen Röntgenatlanten, Archive und neue Institutionen. Nicht nur im Krankheits- und Unfallwesen spielen Röntgenbilder eine immer grössere Rolle, Reihenuntersuchungen von Soldaten zur Tuberkuloseprävention und die Schirmbildkampagnen mit ihrer Breitenwirkung bringen neue Veränderungen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Rasch zwar sind auch gesundheitliche Gefahren sichtbar, doch erst nach den Atombombenexplosionen Mitte des Jahrhunderts werden gesetzliche Schutzbestimmungen erlassen. Das Inkrafttreten der Strahlenschutzverordnung hat Dommann denn auch als Endpunkt für ihre Geschichtsforschung gewählt. Das Buch ist zwar vor allem aus soziologischen Gesichtswinkeln geschrieben worden. Die Vielzahl von Fakten machen es aber auch für Mediziner, Physiker und viele Laien zu einer interessanten Lektüre.

Monika Dommann: Durchsicht, Einsicht, Vorsicht. Eine Geschichte der Röntgenstrahlen 1896-1963. Chronos, Zürich 2003. 447 S., Fr. 44.-.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung
Neue Zürcher Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 07.04.2004 Nr.82 69
(c) 1993-2004 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 2

Die in dieser Reihe erscheinenden Studien untersuchen technische und wissenschaftliche Entwicklungen in der Neuzeit. Sie fragen nach dem historischen Entstehungskontext und gehen der Frage nach, inwiefern verschiedene soziale Gruppen diese technischen Entwicklungen als Möglichkeit sozialen Wandels wahrgenommen, ausgehandelt und bisweilen genutzt oder vergessen haben. Der Ansatz erlaubt es, Innovationen als technisch und gesellschaftlich voraussetzungsreiche Prozesse zu verstehen und zu erklären.