Erzählende Bilder
Das Gesicht der sozialistischen
Arbeiterjugend in der Zwischenkriegszeit
Musizierende Jugendliche unterwegs in der Wanderkluft, Einladung zur unterhaltsamen Abendveranstaltung gegen das Knabenschiessen und den Krieg, lachende junge Frauen und Männer halb nackt beim Volkstanz in einem gemischtgeschlechtlichen Zeltlager irgendwo am Waldrand, uniformierte, in geschlossener Formation marschierende, fahnenschwenkende Jünglinge mit grimmig-entschlossenen Blicken an einer sozialistischen Kundgebung: Diese sowie zahlreiche weitere Photographien, Plakate und andere Dokumente zur Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Zürich von 1926 bis 1940 sind in einem gediegen gestalteten Bildband verewigt, mit dem das Schweizerische Sozialarchiv seine reichen Bestände an Kulturgut einer weiteren Öffentlichkeit bekannt machen möchte. Die Bilder geben als Zeitzeugnisse Einblicke in das gesellschaftliche und politisch-aktivistische Leben der organisierten linken Jugend in einer Zeit von Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit, Antimilitarismus, Auseinandersetzungen mit dem Bürgertum, Bedrohung durch Krieg und Faschismus.
Vor den Augen des heutigen Betrachters zieht kaleidoskopartig eine für ihn ambivalente Welt vorüber. Eine ferne und fremde Epoche zeigt sich beim Anblick von Aufmärschen gestiefelter Manifestanten in Uniform oder von Jugendlichen in Knickerbockerhosen. Heiteres Lagerleben, Skiwochenende, Badeplausch oder Liebespärchen wirken vertrauter - bereits Eltern und Grosseltern suchten also das Leben auszukosten und ihre Jugend auszuleben. Die immer wiederkehrenden Personen- und Gruppenporträts sowie die Bilder von Kundgebungen lassen beim Blättern mit der Zeit einen Déjà-vu-Effekt aufkommen.
Persönliche Erinnerungen ehemaliger Aktivistinnen und Aktivisten untermalen die ausdrucksvollen Aufnahmen, von denen viele der Hobbyphotograph Röbi Risler geknipst hat. Die einführenden Texte zu den nach Themen - wie Bildung und Freizeit, Geschlechterfrage, Antimilitarismus, Internationalismus und Antifaschismus - gruppierten Bildern sind kurz und etwas knapp gehalten. Wer mehr Einblicke in das Leben der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung gewinnen möchte, kann auf Andreas Petersens Darstellung zurückgreifen (vgl. NZZ 27. 9. 01).
Ernst Baumeler
Urs Kälin: Leben heisst kämpfen. Bilder zur Geschichte der sozialistischen Arbeiterjugend Zürich, 1926-1940. Chronos- Verlag, Zürich 2001. 176 S., Fr. 48.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR Donnerstag, 31.01.2002 Nr.25 18
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