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Dissonanzen der Moderne
Aspekte und Entwicklung der politischen Kulturen in der Schweiz der 1920er Jahre
Broschur
1994. 280 Seiten
ISBN 978-3-905311-48-8
CHF 48.00 / EUR 27.00 
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«Vom Landesstreik zum Landigeist» - eine scheinbar griffige Formel für die Schweiz der Zwischenkriegszeit. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich aber Unstimmigkeiten und Brüche, besonders wenn wir die 1920er Jahre betrachten. Die 20er Jahre zeichnen sich nicht nur durch eine verhärtete Konfrontation zwischen Arbeiterbewegung und Bürgertum aus, sondern auch durch ein Lavieren innerhalb des bürgerlichen Lagers zwischen integrativen und ausgrenzenden Strategien. Dabei zeigt sich, dass sich das Kräfteverhältnis bis anfangs der 30er Jahre nach rechts verlagert.
Diese Entwicklung einer rechtskonservativen Konsolidierung - so die von Brassel vertretene These - ist nicht nur auf politischer Ebene als Antwort auf die politische Polarisierung zu verstehen, sondern auf einer kulturellen auch als Antwort auf vielschichtige und vielstimmige Dissonanzen der Moderne. Deren Ursachen können in der Dynamik des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels ausgemacht werden, und sie drücken sich in unterschiedlichen Bewertungen der Auswirkungen dieses Wandels auf Alltag und Selbstverständnis der Betroffenen aus.

Historiker. Leiter Sekretariat SP Baselland.


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Pressestimmen
RUEDI BRASSEL-MOSER DISSONANZEN DER MODERNE ASPEKTE DER ENTWICKLUNG DER POLITISCHEN KULTUREN IN DER SCHWEIZ DER 1920ER JAHRE CHRONOS, ZÜRICH 1994, 270 S., FR. 48.- Ruedi Brassel-Moser beschreibt in seiner Dissertation, wie er selbst formuliert, «Bruchstücke» aus «vielschichtig fragmentierten politischen Kulturen». Mit politischer Kultur ist der Ort gemeint, wo sich die Gesellschaft öffentlich symbolisiert oder darstellt und dadurch eine «Späre des Politischen» schafft. Im Zentrum des Buches stehen die politischen Kulturen bzw. die «Diskursformationen» des Freisinns. Der Autor setzt bei der inzwischen breit abgestützten Feststellung an, dass die Zwischenkriegszeit in der Schweiz bisher zu stark unter dem Blickwinkel der Bedrohung von aussen und des Klassenkonflikts beschrieben wurde. Querliegende Fragestellungen kamen in der Tat zu kurz: So gilt es für die fragliche Periode nach den Ursachen von «ungewöhnlichen politischen Konstellationen» zu forschen oder zivilisations- und demokratiekritische Tendenzen zu erklären. Im ersten Bruchstück beschreibt Brassel - ausgehend von der bestehenden Sekundärliteratur - die sozioökonomischen Rahmenbedingungen, den politisch-institutionellen Wandel und die politische Entwicklung. Dieser Teil, der allein schon fast 70 Seiten umfasst, liest sich wie eine allgemeine sozialhistorische Einführung in die Schweiz der 20er Jahre und ist nützlich für Studierende, die sich in dieses Thema einarbeiten wollen. Die 20er Jahre kulminierten politisch in einer Stabilisierung des an sich sehr heterogenen Bürgerblocks. Der Kitt, der dieses Bündnis zusammenband, wurde aus vielfältigen antietatistischen Ideologieversatzstücken hergestellt. Jede rechtskonservative Strömung konnte sich so auf ihre Art in den Bürgerblock einreihen, ohne ihre eigene Identität aufgeben zu müssen. Diese Identitätsrepräsentation war nach der Meinung von Brassel denn auch die letzte Aufgabe, die den Parteien geblieben war, nachdem sie in der Sachpolitik bisweilen stark an Bedeutung verloren hatten (Verwirtschaftlichung der Demokratie, korporativistische Verfahren). Zu fragen wäre allenfalls, ob der Autor mit dieser These, nach der die Parteien zugespitzt nur noch zur Symbolisierung der Blockkonstellation dienten, nicht doch zu weit geht. Leisten die Parteien nicht trotz ihrem Bedeutungsverlust einen wichtigen Beitrag zur Formierung der Gesellschaft? Das zweite Bruchstück, überschrieben mit «Reflexe und Reflexionen der Moderne», geht auf das zentrale Thema ein, auf das auch der Buchtitel verweist. Es versammelt die zeitgenössischen Diagnosen über den Modernisierungsprozess zu einem Bild der allgemeinen Befindlichkeit der schweizerischen Eliten. Ziel dieser Darstellung ist, deren «outillage mental», ihre begrifflichen «Muster und Wahrnehmungsweisen», herauszuarbeiten. Dies gelingt dem Autor in eindrücklicher Weise, indem er aufzeigt, wie sich im Freisinn - und darüber hinaus - trotz dem abrupten Bruch nach dem Ersten Weltkrieg weiterhin der Wunsch hielt, «eine Sprache der Vermittlung zu finden, in der sich die Gesellschaft wieder als Ganze symbolisieren lasse». Das dabei benutzte «outillage mental», welches gewissermassen das soziale Kapital der gesellschaftlichen Akteure darstellte, war, wie Brassel richtig darstellt, auch Bestandteil einer «habitualisierten, unbewussten Distinktionsstrategie». Diese Feststellung führt den Autor zur Kritik von Hansjörg Siegenthalers Krisentheorie. Anschliessend an Jürgen Habermas geht letzterer davon aus, dass Momente fundamentaler Unsicherheit nur über verständigungsorientiertes, nicht-strategisches bzw. vorurteilsfreies Handeln überwunden werden können. Brassel zeigt hingegen auf, dass absolute Vorurteilsfreiheit eine «Fiktion» ist. Einen zentralen Bestandteil der beschriebenen «Dissonanzen der Moderne» bilden schliesslich die zivilisationskritischen Diskurse, die sich um Begriffe wie «Geschwindigkeit», «Motorisierung» und «Rationalisierung» entfalteten. In allen Varianten wurden neue Orientierungen gesucht. Ein «Hunger nach Ganzheit» (Peter Gay) erfüllte diese Suchenden, die die zerbrochene, mythische Einheit wieder herzustellen wünschten. Eine Konsequenz davon war der Ruf nach «Führung» und der Rückgriff auf traditionale Identitätskonstruktionen. In dieser Hinsicht ist das Buch auch für die Gegenwartsdiagnose sehr instruktiv. Das letzte Haupt-Bruchstück ist der Hegemoniekrise des Freisinns gewidmet. Es enthält am Beispiel des Staatsrechtlers Carl Hilty eine Darstellung der Majorzdoktrin, der Krise des freisinnigen Selbstverständnisses und der Diskursstrategien, mit denen die Partei ihre Verunsicherung zu überwinden trachtete. In der Majorzdoktrin, so Brassel, wurde «die Einheit durch den politischen Ethos ideell aufgeladen, was es ermöglichte, die dissentierenden, zentrifugalen Kräfte als Ðmaterialistischð, Ðinteressegebundenð oder aber Ðvon aussen gesteuertð zu diskreditieren und ihren legitimen Vertretungsanspruch einzuschränken». Dieser Mechanismus funktionierte in den 20er Jahren weiter. Was Brassel aber vielleicht übersieht, ist, dass gerade der freisinnige Mythos der Einheit mithalf, die totale Ausgrenzung der Linken zu verhindern. Die Integration in der Einheit war vielen Freisinnigen am Ende doch wichtiger. Der Majorz, dem viele der alten politischen Würdenträger noch nachtrauerten, hatte in den 20er Jahren eben doch an Bedeutung verloren. Man lernte rasch mit dem Proporz zu leben. Vielleicht erklärt dies auch, warum Hansjörg Siegenthaler verständigungsorientiertes Handeln weiterhin für möglich hält, während Ruedi Brassel diesbezüglich skeptischer ist. Zu fragen wäre allenfalls, ob diese sicher berechtigte Skepsis durch die Schwerpunktsetzung auf die Majorzdoktrin nicht zusätzlich gefördert wurde. Insgesamt ist «Dissonanzen der Moderne» ein sehr interessantes Buch. Ein bisschen schade ist, dass es nur schlecht (oder überhaupt nicht?) lektoriert wurde. Die einzelnen Bruchstücke hätten dann vielleicht besser miteinander in bezug gebracht und die vielen kleinen Fehler etwas dezimiert werden können. An Lesbarkeit hätte das Buch damit auf jeden Fall gewonnen. Franz Horvath (Zürich) Traverse 1995/3 (169-171)