Unter dem Gesichtspunkt eines klassischen Kosten-Nutzen-Kalküls scheint es für Arbeitgeber wenig profitabel, Arbeitskräfte mit Leistungseinschränkungen zu beschäftigen. Weshalb tun sie es trotzdem? Die Studie geht dieser Frage nach und beleuchtet die Entwicklung der Arbeitsintegration von Menschen mit Behinderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz mit besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Invalidenversicherung und Arbeitgeber. Das Buch gibt einen Einblick in die Geschichte der beruflichen Eingliederung aus wohlfahrts-, wirtschafts- und unternehmenshistorischer Perspektive.
In der historischen und soziologischen Forschung wird die Arbeitsintegration von Menschen mit Behinderung vornehmlich aus der Perspektive des Sozialstaats und der Betroffenen untersucht. Die Rolle der Arbeitgeber bleibt häufig unterbelichtet. Diese Studie schliesst eine Forschungslücke und analysiert die berufliche Eingliederung auf zwei Ebenen: Zum einen werden Debatten um die Eingliederungspolitik der Invalidenversicherung (IV) beleuchtet, insbesondere die Aushandlungsprozesse zwischen der staatlichen IV und den Arbeitgeberorganisationen. Zum anderen werden auf der Mikroebene Haltung und Praktiken einzelner Unternehmen betrachtet. Die Ökonomie der Konventionen, die von einer Vielfalt ökonomischer Rationalitäten ausgeht, dient als Theorie- und Analyserahmen. Aufgrund welcher Kalküle sind Arbeitgeber bereit, Arbeitskräfte mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit zu beschäftigen, und auf welche Rechtfertigungsmuster rekurrierte die IV, um Menschen mit Behinderung als wertvolle Transaktionsobjekte an die Unternehmen zu «verkaufen»?
«Pläne für eine schweizerische Invalidenversicherung bestanden schon bei der Gründung der AHV nach dem Zweiten Weltkrieg, doch die IV wurde erst 1961 in Kraft gesetzt. In seinem Buch untersucht der Historiker Alan Canonica vor allem die Rolle der Arbeitgeber dabei – am Beispiel von privaten Unternehmen sowie den öffentlichen Betrieben PTT (Post-, Telefon und Telegrafenbetriebe) und SBB.»
«Mit seiner Dissertation ‹Beeinträchtigte Arbeitskraft› [...] legt Alan Canonica einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der beruflichen Eingliederungspolitik in der Schweiz vor und erweitert die Sozialstaatsforschung um wichtige Aspekte. Alan Canonicas Untersuchung beschäftigt sich mit den Rollen der Invalidenversicherung und der Wirtschaft bei der Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt seit dem Zweiten Weltkrieg [...] Eine breitgefächerte Quellenauswahl aus Behörden-, Verbands- und Unternehmensarchiven sowie die Ansätze der Ökonomie der Konventionen erlauben es Alan Canonica, Handlungsorientierungen differenziert zu analysieren. [...] Dominierten aufseiten der Unternehmen lange eher familienweltliche und soziale Überlegungen, so pries die Invalidenversicherung Menschen mit Behinderungen bereits früh als ökonomisch attraktive ‹Ressource› an. Erst in den letzten Jahrzehnten näherten sich die Perspektiven an. [...] Eine weitere Qualität der Arbeit von Alan Canonica besteht darin, dass sie grundlegende Einsichten und Anknüpfungspunkte für weitere Forschungsarbeiten bietet.»
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