Der Berner Prozess 1933–1937 und die «antisemitische Internationale»
1933 erhoben der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Israelitische Kultusgemeinde Bern vor dem Berner Amtsgericht Klage gegen die Verbreiter der «Protokolle der Weisen von Zion». In dem weltweit beachteten Verfahren suchten die Kläger die Entstehung des Textes lückenlos zu rekonstruieren und damit das einflussreichste Dokument des modernen Antisemitismus als Fälschung zu entlarven. Die antisemitischen Beklagten wollten hingegen die «Echtheit» der «Protokolle» nachweisen. Dabei konnten sie auf ein weit verzweigtes Netzwerk zurückgreifen, dessen Verbindungen von Berlin, Paris und Wien bis nach Los Angeles und ins mandschurische Harbin reichten.
Beide Seiten trugen eine Vielzahl von Dokumenten und Zeugenaussagen zusammen, die sich heute in über 30 Archiven auf drei Kontinenten befinden. Der Autor hat diese Materialien erstmals zusammengeführt und ausführlich kommentiert. Der Band wirft Licht auf die bislang kaum erforschte «antisemitische Internationale» der Zwischenkriegszeit und zeichnet ein differenziertes Bild der Vorgeschichte, des Verlaufs und der Hintergründe des Berner Prozesses. Dadurch wird die vorherrschende Sicht auf die Herkunft und Frühgeschichte der «Protokolle» grundlegend revidiert, wobei die Frage der Urheberschaft sich wieder als offen erweist.
Dank
Vorwort
Editorische Notiz
Abkürzungen und Archivsiglen
I. Forschungsgeschichte
II. Quellenlage
III. Einleitung: Die Protokolle der Weisen von Zion, die «antisemitische Internationale» und der Berner Prozess 1. Die Protokolle der Weisen von Zion: Inhalt, frühe Verbreitung und Rezeption
2. Die «antisemitische Internationale» in der Zwischenkriegszeit
3. Der Berner Prozess 1933–1937
IV. Chroniken 1. Chronik Berner Prozess
2. Chronik Basler Prozess
V. Dokumente
VI. Kurzbiografien
VII. Quellen und Literatur 1. Unveröffentlichte Quellen
2. Veröffentlichte Quellen und Literatur
Personenregister
«Das vorliegende Buch muss als Standardwerk zur Geschichte der ‹Protokolle der Weisen von Zion› und zum Berner Prozess gegen die ‹Protokolle› gelten. Der Autor trägt darin sein fast enzyklopädisches Wissen über den Gegenstand zusammen. In Kombination mit den abgedruckten Akten, den Kurzbiographien und dem bibliographischen Anhang ist die Studie zudem als Nachschlagewerk für zukünftige Forscherinnen und Forscher zu verstehen. Der etwas spröde Schreibstil und die chronikhafte und dadurch doch sehr kleinteilige Darstellung im Hauptteil führt zwar nicht zu einem flüssigen Leseerlebnis, schmälert den Wert der Arbeit jedoch nicht, vielmehr wird dadurch das Ziel des Werkes erreicht: die kritische Darstellung der Frühgeschichte der ‹Protokolle› anhand der Quellen und das Aufzeigen der verfälschenden Darstellung der Urheberschaft im Berner Prozess anhand der lückenlosen Chronik.»
«Die Monografie dokumentiert die historischen Ereignisse anhand einer Fülle bislang überwiegend unedierter Quellen. [...] Der Arbeit zugrunde liegen langjährige aufwändige Recherchen, die den Verfasser in rund 40 Archive in aller Welt geführt haben. Das Ergebnis ist nichts weniger als beeindruckend. [...] Gegen die Fallstudie als Form wissenschaftlicher Untersuchung werden immer wieder Einwände vorgebracht. Als Aussageform sei sie ‹zu holistisch› , als Erhebungsmethode ‹zu subjektiv› , als Deutung ‹zu unbegrifflich› , als Theoriebildung ‹zu beschränkt› . Auch im rechtshistorischen Diskurs, gerade in Deutschland, hat man die Beschäftigung mit Fällen allzu lange als etwas von weit geringerem wissenschaftlichem Wert taxiert als die juristische Geistes- oder Dogmatikgeschichte. Hagemeisters Studie liefert gute Argumente gegen eine derart fachjuristisch verengte Sichtweise, indem sie zunächst einmal die zentrale Bedeutung des Archivs für die (rechts-)historische Forschung vor Augen führt. Im Archivkontext präsentiert sich der Fall alles andere als ‹individualisierend› oder ‹idiographisch› (Franz Wieacker), sondern gibt den Blick frei auf die Pathologien einer ganzen Epoche. Die archivgestützte Rekonstruktion leistet aber noch mehr: Erst sie macht die performative Dimension des Prozesses sichtbar.»
«Den wichtigsten Ertrag des Verfahrens [um die ‹Protokolle der Weisen von Zion›] jedoch – eine Fülle an Dokumenten, Zeugenaussagen und Korrespondenzen – hat der Historiker Michael Hagemeister durch akribische Forschung und detektivische Suche nach relevanten Quellen in mehr als 30 Archiven in zehn Ländern erstmals in dieser Gesamtschau zusammengetragen, denn sowohl Kläger wie Beklagte hatten im Verlauf des Prozesses umfangreiche Recherchen betrieben. So machen eine über 300-seitige Chronik, bisher unbekannte Dokumente und Kurzbiografien aller direkt oder indirekt beteiligten Personen den Hauptteil dieses enzyklopädischen Werks aus. Dabei hat der Autor vor allem neue Einsichten in das weltweite Netzwerk der ‹antisemitischen Internationale› in der Zwischenkriegszeit gewonnen, die er in seiner spannenden Einleitung ausführlich präsentiert.»
Rezension der Publikation in der russischen Zeitschrift "Istoritscheskaja ekspertiza" (Historische Expertise), 3/2019, Igor Barinov
«Mit dem tödlichen Ernst von Verschwörungstheorien kennt sich Michael Hagemeister, der Bochumer Historiker, so gut aus wie sonst kaum jemand in der deutschen Forschungswelt. Seit Ende der 80er-Jahre forscht Hagemeister zu diesem Thema. 2017 hat er ein 648-Seiten-Buch über die ‹Protokolle der Weisen von Zion› veröffentlicht. Darin geht es um den sogenannten Berner Prozess – 1933 klagte unter anderem die Israelitische Kulturgemeinde Bern vor dem lokalen Amtsgericht gegen die Verbreiter der ‹Protokolle›. Längst gilt es zwar als gesichertes Wissen, dass es sich bei dem etwa 70-seitigen Text um ein Plagiat handelt, zum Großteil abgekupfert von einer 1864 anonym veröffentlichten Streitschrift gegen das autoritäre Regime von Napoleon III. Gleichwohl erfreut er sich derzeit wieder einer steigenden Zahl gläubiger Leser.»
«Der Historiker Michael Hagemeister, der schon mehrfach zur Entstehung und Verbreitung der ‹Protokolle› publiziert hat, legt nun eine umfangreiche Gesamtdarstellung vor, inklusive einer umfassenden Chronik des Berner Prozesses sowie einem Dokumentenanhang. [...] Aus diesem Prozess ist ein ungemein umfangreicher Aktenbestand hervorgegangen, der heute im Berner Staatsarchiv deponiert ist, und den Hagemeister minutiös aufgearbeitet hat. Darüber hinaus hat er eine große Zahl von weiteren Archiven in der Schweiz durchforstet. Über diese Quellenbestände hinaus ist er allen nur erdenklichen Querverweisen und archivalischen Bezügen nachgegangen. So hat er nicht nur umfangreiche Recherchen in der Alfred Wiener Sammlung der Universität Tel Aviv durchgeführt, sondern auch zahlreiche Archive in den USA, zumeist von russischen Emigranten angelegte Sammlungen, konsultiert. Schließlich hat er Archive in Deutschland, Großbritannien und Frankreich besucht sowie kleinere Bestände in Österreich, Dänemark und Südafrika durchgesehen. Zugute kamen dem in der Slavistik ausgewiesenen Hagemeister vor allem seine ausgezeichneten Russischkenntnisse, so dass er umfangreiches Material aus russischen Archiven - nicht zuletzt auch private Familiennachlässe - auswerten konnte. Aber damit nicht genug, Hagemeister ist zugleich auch allen Hinweisen über verschollene Archive und Nachlässe nachgegangen. Darüber informiert er ebenfalls in seinem einleitenden Kapitel zur Quellenlage. [...]
[...] Diese Ausführungen [machen] noch einmal deutlich, wie sehr die ‹Protokolle› für eine europäische histoire croisée des Antisemitismus stehen.»
«Der Berner Prozess geriet bald in Vergessenheit. Umso verdienstvoller, dass der Historiker und Slawist Michael Hagemeister dieses ‹Denkmal des antifaschistischen und antirassistischen Widerstands in der Schweiz› der Vergessenheit entrissen hat. Er hat eine vorzügliche Dokumentation vorgelegt, die mit einem Überblick über Forschungsgeschichte und Quellenlage beginnt. Ihr schließt sich eine umfangreiche Einleitung an, die einen historischen Überblick über die Protokolle und den Prozess gibt. Den Hauptteil des Buches macht eine umfangreiche Chronik aus. [...] Beschlossen wird der eindrucksvolle Band durch einen Anhang mit Dokumenten sowie Kurzbiografien von mehr als 200 Personen, die im Kontext der Protokolle, bei ihrer Entstehung und Verbreitung oder aber bei dem Prozess eine Rolle gespielt haben.»
«Hagemeister's remarkable study, the result of decades of dedicated research, should be read by all those who have an at least reasonably good knowledge of German and are interested in National Socialism, international Communism, Russia, antisemitism, disinformation strategies and/or matters listed in the second pararaph above. It should be noted that even today there are well educated, if not very intelligent, Russian scholars (Iurii Begunov, Oleg Platonov, for example – see the name index) who take the Protocols deadly seriously. Antisemitism still has a future – and not only in Russia.»
«Michael Hagemeister, a German historian and Russianist at Bochum University, has dedicated nearly thirty years to clarifying the origins, diffusion, and reception of the Protocols of the Elders of Zion. […] The present book gives readers all they will need to arrive at an evidence-based appreciation of the history of the Protocols. [...] Having combed the often disorganized holdings of thirty archives in ten countries, Hagemeister presents virtually day-by-day entries regarding the public actors, the operatives in the murky background, the research carried out in the trial context, witness testimony, and extensive correspondence between major and minor actors. […] Hagemeister makes a strong case that the untangling of the many, many lies told about the Protocols, as well as the transmission of honest misconceptions about it, must deal with the great body of evidence produced by the Bern trial. […] In the era of ‹fake news› and ‹alternative facts›, there is much to be learned from a careful reading of this book. Serious students of the Protocols owe Michael Hagemeister a debt of gratitude.»
«Michael Hagemeister, durch zahlreiche, archivalisch bestens belegte bedeutende Arbeiten und Vorstudien in diesem Forschungsfeld ausgewiesen, widmet sich – nach der 2011 erschienenen verdienstvollen Studie Sibylle Hofers – auf breiterer Basis den Schweizer Gerichtsverfahren der 1930er Jahre. [...] Der Prozess wird in seiner Vorgeschichte, seinem Gesamtzusammenhang und seinem Verlauf detailliert einschließlich unbekannter Hintergründe, Prozess-Strategien, Recherchen, Gutachten und des Vorgehens der Prozessparteien erstmalig auf breitester Basis analysiert. [...] Die Arbeit ragt daher auch durch ihren unvergleichlich hohen Quellenwert über das meiste, was bisher zu diesen Problemfeldern an Forschung vorlag, weit hinaus. [...] Wer immer sich nach Hagemeisters eindrucksvoller historischer Kärrnerarbeit in punkto Quellenschürfung, Dokumentation und Kommentierung mit dem Thema befassen wird, kann an dieser Grundlage nicht vorbeigehen. [...] Die Ergebnisse, die personellen, wissenschaftlichen, prozessualen und persönlichen Netzwerke sind angesichts eines national wie international nicht abflauenden Antisemitismus von wesentlicher, nicht nur historischer oder kulturgeschichtlicher Bedeutung.»
«Die große Zahl der Akteure und ihre wechselseitigen Beziehungen werden schließlich in prägnanten Kurzbiografien präsentiert. [...] Hagemeister beschränkt sich nicht auf Vorgeschichte, Verlauf und Ende des letztlich mit milden Geldstrafen bzw. Freisprüchen beendeten Gerichtsverfahrens, sondern schlüsselt detailliert die Entstehungsgeschichte der ‹Protokolle› auf. [...] Kenntnisreich schildert Hagemeister, wie der bereits vor der Oktoberrevolution 1917 verschiedentlich veränderte Text im Kontext der Furcht vor einer internationalen Umsturzwelle leninistischer Prägung zu einer Art Deutungsmuster und Rechtfertigungsbibel für das eigene Handeln von Antisemiten in ganz Europa avancierte. [...] Gleichwohl handelt es sich bei dem vorliegenden Band um eine verdienstvolle und in sich geschlossene, logische Darstellung der Geschehnisse. Erstmals werden so alle Akteure hinter den ‹Protokollen› in ihren wechselseitigen Beziehungsverhältnissen sichtbar gemacht, und die unermüdlichen Aufklärer, die den Berner Prozess erst möglich gemacht haben, erhalten eine umfängliche historiografische Würdigung.»
«Der Prozess von Bern war nicht vergebens, sondern ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Antisemitismus, der nun umfassend dokumentiert vorliegt.»
«En tant que slaviste spécialiste de la pensée d’extrême droite en Russie, Hagemeister montre notamment de manière très convaincante le rôle que les Russes exilés au lendemain de la Révolution jouèrent dans la diffusion des thèses antisémites dans le monde occidental, que ce soit à New York, Paris, Berlin ou encore Rome. Ces hommes et ces femmes trouvaient dans les Protocoles une explication plausible aux événements qui avaient bouleversé leur pays. [...] Le procès de Berne, de même que l’appel qui suivit, ne conduisit à aucune décision de justice significative. Surtout, le tribunal s’estima incompétent pour déclarer si le document était authentique. Mais, comme le souligne Hagemeister, les années de procédure ne furent pas vaines, car la somme des témoignages collectés par les deux parties est considérable, ce qui ne peut, à terme, que servir le travail de l’historien.»
«One lifelong scholar of the Protocols and related works is the German historian Michael Hagemeister, who has […] edited and published a huge new collection of documents under the title Die “Protokolle der Weisen von Zion” vor Gericht (“The Protocols of the Elders of Zion before the Court”). The book deals with trials that took place in Berne, Switzerland between 1933 and 1936 as a result of legal action brought by local Jewish communities against the publisher of the work’s Swiss edition. In addition to the text of the proceedings themselves—the lawsuit was based on the contention that publication of the Protocols violated a constitutional ban on incitement to hatred—the volume includes a variety of other relevant documents as well as extensive annotations, commentaries, and a long introduction by Hagemeister himself.»
«Michael Hagemeister, Historiker und Slawist an der Universität Bochum, hat den Berner Prozess, die Vorgänge vor und hinter den Kulissen, die Taktiken und internen Differenzen, die Beziehungsgeflechte, die Belege, Zeugnisse, Vermutungen, Behauptungen, Phantasien und Lügen gründlich untersucht.»
«Der Band enthält neben der solide recherchierten Einleitung von Michael Hagemeister als Hauptteil eine Chronik des Berner sowie des Basler Prozesses (S. 135 - 447), die auch zahlreiche wertvolle Auszüge aus Quellen bietet, darunter auch Briefe der Beteiligten, die in ihrer Gesamtheit ein faszinierendes Bild zeichnen. [...] Dieses Buch ist eine gerade aufgrund seiner nüchternen und dokumentarischen Note spannende Lektüre und sollte das Interesse all jener finden, denen an einer entsprechenden Aufklärung über die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion gelegen ist. Eine wichtige Studie also auch für die Antisemitismus-Forschung, weshalb das Werk auch in zeitgeschichtlich orientierten Bibliotheken vertreten sein sollte. Der Umstand, daß das Buch sich im wesentlichen auf einen Prozeß in der Schweiz bzw. in Bern (denn nur dort hatte die Klage aufgrund der rechtlichen Situation so erhoben werden können) bezieht, sollte nicht zu dem Trugschluß verführen, es handele sich dabei nur um ein lokal- oder regional-geschichtliches Thema. Vielmehr ist durch den internationalen Zuschnitt der Prozeßbeteiligten sowie der damit einhergehenden Bemühungen um Aufhellung der Entstehung der Protokolle ein mindestens gesamteuropäisches Interesse gegeben.»
«Hagemeisters Erkenntnisse führen letztendlich dazu, dass die Frage der Urheberschaft wieder offen ist. Beachtenswert sind darüber hinaus die Ausführungen zur ‹antisemitischen Internationale›, kooperierten Judenfeinde doch schon zur damaligen Zeit länderübergreifend miteinander – und zwar nicht nur bei der Werbung für die ‹Protokolle›».