Humanitäres Engagement, politisches Kalkül und individuelle Erfahrung
Sommer 1945, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die Dimensionen der europäischen Katastrophe werden fassbar. Gleichzeitig zeichnen sich die Konturen einer neuen weltpolitischen Ordnung ab. Die Schweiz beteiligt sich am Wiederaufbau, will aber ihre Unabhängigkeit bewahren und sich nicht dem Hilfswerk der Siegermächte (UNRRA) anschliessen. In dieser Situation bietet das vom Bundesrat initiierte Hilfswerk Schweizer Spende den Alliierten an, für ein halbes Jahr 2000 Kinder aus Konzentrationslagern zur Erholung aufzunehmen.
Die Autorin untersucht die Entstehung, Planung und Umsetzung der Hilfsaktion, die in der Tradition der humanitären Kinderhilfe stand. Dabei kam vieles anders als geplant. Es wurden nicht 2000 Kinder, sondern 370 junge Erwachsene aus dem Konzentrationslager Buchenwald aufgenommen. Die beteiligten Institutionen verfolgten unterschiedliche Ziele, was zu Konflikten, aber auch zu überraschenden Koalitionen führte. Nach einem Jahr stellte die Schweizer Spende ihr Engagement ein, obwohl sich die grosse Mehrheit der aufgenommenen Holocaustüberlebenden immer noch im Land befand.
Das Buch zeigt, wie sich das Verhältnis zwischen Betreuenden und Betreuten gestaltete, wie es den Geretteten gelang, ein neues Leben aufzubauen, und woran sich die damals Beteiligten sechzig Jahre später erinnern. So entsteht ein vielschichtiges Bild der Hilfsaktion. Darüber hinaus ergeben sich aufschlussreiche Einblicke in die von der Forschung bisher wenig beachtete humanitäre Politik der Schweiz in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
1. Einleitung
2. Organisation und Verlauf der Hilfsaktion
2.1 Beteiligte Organisationen
2.2 Vorbereitungsphase
2.3 Ankunft in der Schweiz
2.4 Übergabe der Betreuung an jüdische Organisationen
2.5 Ausstieg der Schweizer Spende
3. Die Menschen der Buchenwald-Gruppe
3.1 Vorgeschichte – Einzelschicksale
3.2 Zusammensetzung der Gruppe
3.3 Exkurs: Wissen um Konzentrationslager in der Schweiz
4. Unterbringung und Betreuung
4.1 Planung
4.2 Quarantänelager
4.3 Heime des Schweizerischen Roten Kreuzes, Kinderhilfe (SRK, Kh)
4.4 Alijah-Heime
4.5 Sanatorien für Tuberkulosekranke
4.6 Private Unterkünfte7
4.7 Psychologische Betreuung
5. Ausbildung, Arbeit und Freizeit
5.1 Grundlagen
5.2 Schulunterricht
5.3 Berufsausbildungen
5.4 Arbeitsplätze
5.5 Freizeit und Sozialleben
6. Ausreise
6.1 Transmigrationsprinzip und Ausreiseprämissen
6.2 Statistische Angaben
6.3 Organisatorisches
6.4 Wahlfreiheit und Widerstand
7. Synthese 413
«Madeleine Lerfs Studie ist analytisch genau, menschlich sensibel und argumentativ scharf, ohne anzuklagen.»
«Nach den subjektiven Erinnerungen der ZeitgenossInnen [...] liefert die Autorin die erste umfassende Darstellung der ‹Buchenwaldaktion›. [...] Mit ihrer Dissertation leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Entmythologisierung der humanitären Tradition der ‹offiziellen Schweiz› im 20. Jahrhundert.»
«‹Ohne Zorn und Eifer› (Tacitus) rekonstruiert sie in einfachen Worten, dicht der Chronologie der quellenässig verbürgten Ereignisse folgend, den Schweizer Aufenthalt der ‹Buchenwalder›.»
«Einfühlsam und differenziert beschreibt die Autorin den Alltag der Holocaustüberlebenden in der Schweiz.»
«‹Buchenwaldkinder› profitiert von dieser Kombination aus der Analyse politischer Intention und administrativer Praxis einerseits und der empirischen Nachzeichnung der Lebenswege der Migranten und ihrer Agenden andererseits. Das Buch ist […] angenehm zu lesen und bleibt selbst in vermeintlich ‹trockenen› Teilkapiteln zu administrativen Aspekten überaus spannend. Für die europäische Migrationsgeschichte der Nachkriegszeit ist ‹Buchenwaldkinder› über den engen Fokus auf die Überlebenden von Verfolgung und Vernichtung hinaus ein methodisch und inhaltlich wichtiger Beitrag.»