Mit dem Fremden politisieren

Rechtspopulismus und Migrationspolitik in der Schweiz seit den 1960er Jahren

Gebunden
2008. 292 Seiten
ISBN 978-3-0340-0913-3
CHF 58.00 / EUR 47.50 
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Das Thema Migration bildet einen Schwerpunkt der politischen Kampagnen rechtspopulistischer Parteien. Deren Strategie ist es, Migration als gesellschaftlichen Konfliktbereich darzustellen sowie mit sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit und Kriminalität oder mit der Krise des Wohlfahrtsstaates zu verknüpfen. Sie liefern Deutungen zu Phänomenen der Migration, die sich auf angebliche kulturelle Unterschiede zwischen Migrationsgruppen und der einheimischen Bevölkerung beziehen. Die Studie zeigt auf, dass die rechtspopulistischen Parteien in der Schweiz eine Vorläuferrolle in Europa einnehmen. Seit den 1960er Jahren sind sie im schweizerischen Parteiensystem verankert und stellen das «Fremde» ins Zentrum ihrer Agenda und Politik. Insgesamt schafften sieben rechtspopulistische Parteien den Einzug ins nationale Parlament, mehr als in jedem anderen europäischen Land. Von den 1960er Jahren bis anfangs der 1990er Jahre handelte es sich um Splitterparteien, die eine Aussenseiterposition im politischen System einnahmen und mit Mitteln der direkten Demokratie Einfluss ausübten. In den letzten fünfzehn Jahren wurden sie weitgehend von der Schweizerischen Volkspartei verdrängt, die in den Entscheidungsprozessen und Debatten zur Migrationspolitik eine beträchtliche Wirkung erzielte.


Damir Skenderovic, Dr. phil., ist Professor für Allgemeine und Schweizerische Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. Forschungsschwerpunkte: politische Geschichte, Migrationsgeschichte, Rechtspopulismus, «1968».


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Inhalt

1. Einleitung: Konturen des Rechtspopulismus
Was heisst Rechtspopulismus? • Elemente einer Ideologie der Ausgrenzung • Unterschiede zu Linkspopulismus, Konservatismus und Rechtextremismus • Erklärungsansätze zu Rechtspopulismus • Rechtspopulismus und Migration

2. Die Macht rechtspopulistischer Aussenseiter in den 1960er bis 1980er Jahren
2.1. Die drei Phasen vom Aufstieg zum Niedergang (1961–1979)
Organisatorische Formierung und zunehmende Politisierung der Migration (1961–1968) • Elektoraler Durchbruch und migrationspolitisches agenda-setting (1969–1974) • Parteipolitische Rückschläge und Entpolitisierung der Migrationsthematik (1975–1979) • Argumentarium in der Migra­tionspolitik
2.2. Revitalisierung und Radikalisierung in den langen 1980er Jahren (1980–1991)
Politische Wiederbelebung und strukturelle Diversifizierung • Wahlerfolge und Konsolidierung der Splitterparteien • Volksabstimmungen als erfolgreiche Mobilisierungsmomente • Radikalisierung der Diskurse in der Migrationspolitik • Diffusion rechtspopulistischer Argumentationsmuster • Migrationspolitische Erfolge trotz struktureller Schwächen

3. Die migrationspolitischen Auseinandersetzungen in den 1980er Jahren
3.1. Die langen 1980er Jahre zwischen Aufbruch und Immobilismus
3.2. Die «Mitenand»-Initiative
Im Vorfeld der Abstimmung • Die Volksabstimmung vom 5. April 1980
3.3. Die Revision des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG)
Die Debatte um den gangbaren ausländerpolitischen Kompromiss • Siegreiche Referendumskampagne der Nationalen Aktion • Die Volksabstimmung vom 6. Juni 1982
3.3. Die Bürgerrechtsrevision von 1983
Divergierende Ziele bei der Bürgerrechtsreform • Die Einbürgerungsabstimmung
3.4. Die Asylgesetzrevision von 1983
3.5. Die Asylgesetzrevision von 1986
3.6. Die erfolgreiche Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft (1989/90)

4. Wandel und Aufschwung des Rechtspopulismus in den 1990er und 2000er Jahren
4.1. Von der Vielfalt zur Einheit: Das Ende der Splitterparteien und der Aufstieg einer Volkspartei
Der schwierige Stand der Schweizer Demokraten als Kaderpartei • Konsolidierung der Eidgenössisch-Demokratischen Union als fundamentalistisch religiöser Kleinstpartei • Aufstieg und Fall der Auto-Partei/Freiheits-Partei • Die Lega dei Ticinesi als Bewegung und Partei • Der Siegeszug der «neuen» Schweizerischen Volkspartei • Gründe für den Aufstieg der «neuen» SVP
4.2. Agenda und Strategien in der Migrationspolitik
Begrenzung des Ausländeranteils als Abwehr von «Überfremdung» • Politisierung des Asylthemas und vereinter Kampf gegen «Missbräuche» • Der Durchbruch des differentialistischen Kulturalismus in der Integrationspolitik • Die zunehmenden Kontroversen um die Einbürgerungspolitik • Problematisierung und Kulturalisierung als migrationspolitische Strategien

5. Die migrationspolitischen Debatten der 1990er Jahre:
Zulassungs- und Integrationspolitik
5.1. Der Gang nach Europa: Wege zu einem neuen Migrationskonzept
Die polarisierende EWR-Abstimmung von 1992 • Die Debatte um ein neues umfassendes Migrationsgesetz • «Überfremdungsabwehr» als wiederkehrende politische Strategie: Die 18-Prozent-­Initiative • Der lange Weg vom ANAG zum neuen Ausländergesetz (AuG)
5.2. Integration durch Partizipation?
Die verpasste Einbürgerungsrevision von 1994 • Die Einbürgerungsabstimmung von 2004
5.3. Souveränität versus Liberalität
Asylgesetz zwischen Missbrauchsprävention und humanitärer Tradition • Illegale Einwanderung: das neue Thema der 1990er Jahren • Die Asylgesetzrevision von 1999 • Erstmalige Initiative der SVP gegen den «Asylmissbrauch» • Eine erneute Revision des Asylgesetzes

6. Interdependenz von Rechtspopulismus und Migrationspolitik
6.1. Wechselwirkungen in den 1980er Jahren
Migrationspolitik als Ergebnis konsoziativer Verfahren • «Überfremdung» – ein erfolgreicher Blockadediskurs • Konsens und Konzession
6.2. Zwischen Nutzniessung und Wirkung in den 1990er und 2000er Jahren
Die Vorteile der «neuen» SVP als Wähler-, Regierungs- und Abstimmungspartei • Von der Demarkation zur partiellen Integra­tion • Einfluss auf Einstellungen zur Migration • Wirkungen in der Migrationspolitik

7. Schlusswort


Pressestimmen

«Eine intensive Beschäftigung mit dem Terminus ‹Überfremdung› bietet die Studie von Damir Skenderovic und Gianni D’Amato. Die beiden Autoren zeichnen detailliert die Geschichte und die Strategien rechtspopulistischer Parteien in der Schweiz und ihren Einfluss auf die Migrationspolitik nach.»

Archiv für Sozialgeschichte 59 (2019), Maren Möhring

«Insbesondere der lange Bogen, der von den 1960er Jahren bis in die unmittelbare Vergangenheit (2007) gespannt wird, erweist sich als geeignet, die Kontinuitäten des ‹Überfremdungsdiskurses› und die Brüche dieses Diskurses deutlich zu machen. Der vergleichenden Forschung sowohl des Rechtspopulismus als auch der Migrationspolitik bietet sich dadurch eine Vielzahl neuer Anknüpfungsmöglichkeiten. … Ein wichtiges Buch für die vergleichende Forschung».

Marcel Berlinghoff, Neue Politische Literatur

«Ein interessantes Buch über eines der wichtigsten Themen des heutigen politischen Alltags in Europa. [...] Ein Buch für jeden Insider, den rechtspopulistische AkteurInnen interessieren, um das Phänomen etwas eingehender zu verstehen.»

Lughofer, Kismet

«Dabei untersucht die quellenreiche Arbeit nicht nur die Auswirkungen des Mobilisierungsthemas Migration auf den Erfolg und Misserfolg von Formationen [...], sondern analysiert umgekehrt auch die Rückwirkungen der Erfolge dieser Parteien auf die Migrationspolitik.»

Tim Spier, Jahrbuch Extremismus & Demokratie

«Die von Skenderovic und D’Amato vorgelegte Studie bietet detailreiche Informationen und viele erhellende und überzeugend vorgeführte Argumente und Analysen über den politischen Aufstieg der SVP, populistische Politikstrategien und die Vereinnahmung migrationspolitischer Fragen.»

Patrick Kury (Bern und Basel) in: Traverse 2009, Heft 1

Besprechungen

Abgesehen von einigen soziologischen Untersuchungen waren bis vor wenigen Jahren wissenschaftliche Arbeiten zur Ausländerpolitik und Migration in der Schweiz selten. Mit der gewachsenen politischen Bedeutung von Migration und dem Erstarken (neo)nationalistischer Kräfte seit 1989 hat auch die akademische Beschäftigung damit stark zugenommen. Neben Sozialwissenschaftlern waren es in der jüngsten Vergangenheit vor allem Politologinnen, Historiker und Rechtwissenschaftler, die sich den unterschiedlichsten Aspekten der Migrations- und Ausländerpolitik widmeten. Ein Bereich blieb dabei weitgehend ausgeblendet: die Zusammenhänge zwischen dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und der Migrationspolitik seit den 1980er-Jahren in der Schweiz. Diese Lücke haben Damir Skenderovic und Gianni D’Amato mit einer Studie geschlossen, die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 40+ zum Thema Rechtsextremismus entstanden ist.
Dass man sich mit kontroversen zeitgeschichtlichen Themen auf unwegsames Gelände begibt, mussten die Autoren bereits vor dem Erscheinen ihrer Publikation erfahren. Der Studie wurde beispielsweise vom Berner Bund vorgehalten, sie würde bezüglich der Bewertung der Fremdenfeindlichkeit und Restriktionen in der Ausländerpolitik «masslos» übertreiben. Seit dem Erscheinen des Buchs ist diese Kritik wieder abgeflaut, und zwar aus guten Gründen: Die Kritik basierte nämlich weitgehend auf einem Missverständnis. Während der Rezensent des Berner Bunds die Exponenten in der Bundesverwaltung vor Augen hatte, richtet die Studie von D’Amato und Skenderovic ihren Fokus primär auf die Politik rechtspolitischer Parteien, deren Einfluss auf das direkt­demokratische System der Schweiz sowie auf deren Migrationspolitik.
Gleichzeitig ist zu betonen, dass in der Schweiz des 20. Jahrhunderts eine restriktive, kultur- und wirtschaftspro­tektionistische Migrationspolitik tatsächlich von zwei Seiten forciert wurde. Einerseits von den sozial- und rechtswissenschaftlichen Experten intermediärer Organisationen und des Bundes, andererseits von rechtspopulistischen Parteien und Splitterorganisationen. Während sich die Experten des Bundes vor dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich in den Dienst der sogenannten Überfremdungsbekämpfung gestellt hatten, machten sich seit den 1960er-Jahren verschiedene Splitterparteien für die Begrenzung des Ausländeranteils stark, bis die mittlerweile wählerstärkste Partei, die Schweizerische Volkspartei, sich für eine restriktive Mi­grationspolitik engagierte. Zur selben Zeit nahmen die Experten des Bundes und der Sozialwissenschaften eine tendenziell offenere, seit den 1990er-Jahren auch eine auf Rechtsschutz und Gleichbehandlung basierende Position ein. Diese Entwicklung in der staatlichen Exekutive erfuhr mit der Wahl von Christoph Blocher zum Bundesrat jedoch einen Dämpfer.
In einem einführenden Kapitel grenzen die Autoren Populismus und Extremismus voneinander ab und legen die Hauptmerkmale des Rechtspopulismus dar. Kennzeichnend hierfür sei ein antipluralistisches Weltbild, exklusionistische Ideologeme in der Gegenüberstellung von «wir» und «die anderen» sowie eine vermeintlich «natürliche Ungleichheit» der Menschen. Zudem zeichnen sich rechtspopulistische Parteien gemäss Skenderovic und D’Amato durch die Vorstellung einer scharfen Dichotomie innerhalb der Gesellschaft aus. So stünden sich zwei antagonistische Gruppen gegenüber: das «wahre Volk» und die «unred­lichen Eliten», wozu die Bundesbehörden und wissenschaftlichen Eliten zählten. Insofern tritt hier ein bemerkenswertes Paradoxon rechtspopulistischer Parteien zutage, stützen sich diese in Migrations­fragen doch ausgerechnet auf das Überfremdungskonzept, das in der Vergangenheit von «der Elite», von Experten des Bundes und der Wissenschaften postuliert worden war.
Die Autoren legen überzeugend dar, dass rechtspopulistische Parteien, die mit Migrationsthemen politisierten, in der Schweiz eine lange Tradition besitzen. Mehr noch: Die Schweiz nehme in Europa sogar eine Art Vorreiterrolle ein. Dabei seien drei Phasen zu unterscheiden. In einer ersten Phase von 1961–1979 prägten vor allem Parteien wie die Nationale Ak­tion, die Vigilance und die Schweizerischen Republikaner die politischen Debatten zum Thema Migration. Bis zur Ölkrise 1973/74 bildete die Beschränkung des Ausländeranteils einen Schwerpunkt der politischen Auseinandersetzungen. Mit dem Kon­jun­k­­turrückgang und der erzwungenen Rückkehr Hunderttausender MigrantInnen schwächten sich die Debatten vorüber­gehend wieder ab.
Die zweite Phase von 1979–1991 zeichnete sich durch eine Art Stillstand in der Migrationspolitik aus. Zu qualitativen Reformen kam es nicht. Allein die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft stellte eine bedeutende Ausnahme dar. Noch immer wurden die Positionen von rein arbeitsmarktpolitischen Erwägungen bestimmt. Zudem wurden seit den 1980er-Jahren intensiv asylpolitische Fragen thematisiert. Mit den Kleinparteien Lega dei Ticinesi und Autopartei traten dabei neue rechtspopulistische Akteure in Erscheinung.
Seit 1991 befindet sich die Schweiz in einer qualitativ neuen Phase. Nachdem sich die SVP zu einer rechtspopulistischen Partei im oben definierten Sinn gewandelt hatte, machte erstmals eine professionell organisierte, straff geführte und mit grossen finanziellen Mitteln ausgestattete Bundesratspartei Ausländerpolitik und Migration zu ihren Leitthemen. Im Gegensatz zu den ersten beiden Phasen konnte nun aus einer Position der Stärke poli­tisiert werden. Die Autoren zeigen anhand von zehn untersuchten Debatten, dass es die «neue SVP» verstand, Migration und den Umgang damit – sei es im Bereich der Niederlassung, der Einbürgerung, der nationalen Identität oder des Asyls – als dauerhaftes Problem- und Konfliktthema darzustellen. Auf diese Weise führte sie die Tradition der Überfremdungsbekämpfung weiter. Zugleich befähigte das high-profile-Thema «Migration» die SVP dazu, ihre Doppelrolle als Bundesrats- und Oppo­sitionspartei virtuos zu spielen. Die an­dauernde Thematisierung habe dazu geführt, dass die Mitte-Partei CVP und die Mitte-Rechts-Partei FDP sich in Fragen der Migration der «neuen SVP» annäherten und in einer Art Selbstzensur weit­gehend darauf verzichteten, eigenständige Positionen in der Migrations- und Aus­länderpolitk zu entwickeln.
Die von Skenderovic und D’Amato vorgelegte Studie bietet detailreiche Informationen und viele erhellende und überzeugend vorgeführte Argumente und Analysen über den politischen Aufstieg der SVP, populistische Politikstrategien und die Vereinnahmung migrationspolitischer Fragen. Der ausschliessliche Fokus auf die rechtspopulistischen Parteien stösst allerdings an Grenzen, wenn damit die zwar schleppend vorangegangenen, aber dennoch gemachten Fortschritte in der Ein­bürgerungspolitik, der Personenfreizügigkeit und in einer pragmatisch aus­gerichteten Integrationspolitik auf der Ebene der Bundes- und Kantonsregierungen erklärt werden sollen.

Patrick Kury (Bern und Basel) in: Traverse 2009, Heft 1