Am Ausgang des 18. Jahrhunderts forderte ein anonymer Zeitungsleser anlässlich der Erdbebenserie im Rheintal von 1795/96 die «Naturkenner» des Landes auf, eine «gemeinverständliche Erklärung der natürlichen Ursachen der Erdbeben» zu geben. Einige Zeitzeugen würden behaupten, «der liebe Gott» sei schuld an Erdbeben, andere «der leidige Franzos». Wieder andere interpretierten Erdbeben als Vorboten göttlicher Strafgerichte oder kommender goldener Zeiten. Solche Deutungen konnten, zumal in den Augen des Schreibers, zu einer dienlichen Begründung von Erdbeben allerdings nur wenig beitragen.
Zu einem Zeitpunkt also, als Berichte über politische Unruhen und Wirren das Alltagsgeschehen bestimmten, wurde der Ruf nach einer angemessenen Erklärung seismischer Phänomene laut. Das Beispiel zeigt, dass am Ende eines Jahrhunderts, das dem -Ideal des klaren Erkennens verpflichtet war, verschiedene Deutungsmuster zur Disposition standen. Dies wirft die Frage auf, welche Kenntnisse die Menschen im 18. Jahrhundert über Erdbeben hatten, woher dieses Wissen stammte und wozu es diente.
Die vorliegende Untersuchung interessiert sich dafür, wie Wissen über Erdbeben hergestellt wurde, welche Deutungszusammenhänge und Kontexte den Boden dazu bereiteten, in welchen Kommunikationsnetzen darüber gesprochen wurde und wie dieses Wissen zwischen den verschiedenen Feldern zirkulierte. Die Koexistenz aufklärerisch inspirierter und traditionell-providentialistischer Interpretationsansätze wird dabei ebenso erörtert wie die soziale, gruppenspezifische Verortung des Wandels dieser Ansätze. Dabei lässt sich festhalten: Nicht Rationalismus und Universalismus kennzeichnen den untersuchten (Zeit-)Raum, wenngleich sie dies auch tun. Vielmehr zeigte sich, dass sich im Zusammenhang mit der Problematisierung des Phänomens Erdbeben vielfältige Diskursformen und kulturelle Praktiken ausbilden konnten, die dem Ziel dienten, die natürliche Welt zu verstehen, sie zu erklären und sie zumindest ansatzweise zu beherrschen.