Aus dem ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Kreuzlingen ist eine besondere Handschrift mit dem Titel «Handtbuch vor einen jeweilligen Creüzlingerischen Kuechen- Kellers- unndt Proviant-maister» überliefert und liegt nun erstmals im vollen Textumfang ediert und umfassend kommentiert vor. Zwar reichen die Wurzeln solcher klösterlicher Textgattungen bis ins Spätmittelalter zurück, dennoch ist diese um 1716 vollendete Ordnungsschrift des damaligen Küchenmeisters in Umfang, Detailliertheit und in ihren Untersuchungsmöglichkeiten für den ostschweizerischen Raum einmalig. Die Handschrift erzählt nicht nur von allen relevanten Belangen in der Küche, im Keller und in anderen Provianteinrichtungen, die es im Rahmen einer Klosterökonomie sorgfältig zu regeln galt. Das Werk weist noch auf ganz andere Dimensionen hin: Als eigentliches Verwaltungs-, Regulierungs- oder besser Disziplinierungsinstrument zeigt es uns vorab die zeitgenössischen Ordnungsvorstellungen, wie Essen an die unterschiedlichen Personengruppen verteilt werden sollte, was dabei durch die Amtsträger zu beachten war usw. Die Leserin und der Leser erfahren von den damaligen Normvorstellungen über die Umsetzung der Redewendung «Der Mensch ist, was er isst» in detaillierter Weise. Qualität und Menge von Essen, Brot und Wein, Tageszeiten und Ort der Einnahme, insbesondere Sitzordnung und Speiseräume stehen mit Status und Funktion der Begünstigten sehr deutlich in Zusammenhang. Warum jedoch wurde es plötzlich als notwendig erachtet, Abläufe und Regelungen im Bereich des Essens, der stark von Mündlichkeit und Tradition, sicher aber auch von Konflikten und anderen sozialen Phänomenen geprägt ist, schriftlich festzuhalten? Welche Kommunikationssituationen sind zum Zeitpunkt der Herstellung und des jeweiligen Gebrauchs, aber auch im Aufbewahrungskontext des «Küchenbuchs» nachzuzeichnen? Und ganz praktisch: Wie wurden die geregelten Aspekte im Alltag wirklich umgesetzt?
Einblicke in eine zunehmend auf Schriftlichkeit gestützte Verwaltung und ihre Funktionen sowie in Sachkultur, Alltag und Mentalitäten in einer dem Betrachter fremden Lebenswelt machen die Quelle für die Auswertung im Hinblick auf eine Klostergeschichte von Kreuzlingen, aber auch für übergreifende Untersuchungen äusserst wertvoll.