Ein Stück Geschichte
der Schädlingsbekämpfung in der Schweiz
Mit dem erstmaligen Auftreten der ursprünglich aus Nordamerika eingeschleppten Reblaus Phylloxera in der Schweiz im Jahr 1874 begann hierzulande die wissenschaftliche Erforschung der Schädlingsbekämpfung. Man wollte verhindern, dass die Reblaus, welche die Wurzeln der Pflanzen befällt, den Schweizer Weinbau im gleichen Ausmass bedrohte wie denjenigen in Frankreich, wo bereits rund 200 000 Hektaren Rebland zerstört worden waren. Lukas Straumann schildert in seinem Buch «Nützliche Schädlinge», dass die zuerst angestrebte Ausrottung der Reblaus (durch die Verbrennung der Rebstöcke samt ihrer Wurzeln, die Desinfektion der Rebstecken sowie die Durchtränkung der befallenen Rebparzellen mit einer insektiziden Kalium- Schwefelkarbonat-Lösung) langfristig keinen Erfolg brachte. Erst die Erneuerung der Rebberge mit veredelten, auf gegen die Reblaus resistenten Unterlagen gepfropften Reben konnte die Gefahr für den Schweizer Weinanbau langfristig bannen.
In seiner Dissertation erörtert der Historiker Straumann in fünf Kapiteln die Entwicklung der Schädlingsbekämpfung sowie die Institutionalisierung der angewandten Entomologie (Insektenkunde) in der Schweiz bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts im Kräftespiel zwischen Wissenschaft, Industrie und Staat. Kritisch geht Straumann der Frage nach, in welchem institutionellen Rahmen die wichtigsten Akteure gehandelt haben und von welchen Interessen sie geleitet worden sind. Der Autor erklärt, weshalb anfänglich der Staat (etwa mit Subventionierungen) die Schädlingsbekämpfung vorantrieb; und anhand der Biografien wichtiger Schweizer Forscher wie Hermann Müller-Thurgau oder Henry Faes zeigt er, wie die angewandte Entomologie sich als wissenschaftliches Forschungsgebiet etablieren konnte. Auch kommt zur Sprache, wie privatwirtschaftliche Interessen in den Vordergrund rückten, als in den 1880er Jahren im Rahmen der Schädlingsbekämpfung Pflanzenschutzmittel wie die sogenannte Bordeaux- Brühe entwickelt wurden.
Grossen Wert legt Straumann auf die Einbettung der Pflanzenschutzmittel-Entwicklung in das Zeitgeschehen: Die Rohstoffverknappung während der beiden Weltkriege rechtfertigte das Eingreifen des Staates in die Schädlingsbekämpfung; mit dem Einstieg von Chemie- Grossunternehmen wie Sandoz und Geigy in den Pflanzenschutzmittel-Markt wurde die Schädlingsbekämpfung jedoch zunehmend privatisiert und kommerzialisiert. Geigy beispielsweise konnte sich dank der Herstellung des Pflanzenschutzmittels DDT - gegen das jedoch bereits 1945 erste Insekten Resistenzen zeigten - innert kürzester Zeit als Pestizid-Produzent international profilieren. Straumanns Ausführungen enden mit der sogenannten Insektizidkrise in den 1950er Jahren, die das Resultat der Debatte über die ökologischen Nebenwirkungen der Insektizide war. Dem Autor gelingt es, auch dem Laien die verschiedenen Gesichtspunkte der Entwicklung der Schädlingsbekämpfung auf eine interessante und anschauliche Weise näher zu bringen.
Katharina Schöbi
Lukas Straumann: Nützliche Schädlinge - Angewandte Entomologie, chemische Industrie und Landwirtschaftspolitik in der Schweiz 1874-1952. Chronos-Verlag 2005. 392 S., Fr. 48.-.
NZZ FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 07.12.2005 Nr.286 65
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der NZZ
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