Nützliche Schädlinge
Angewandte Entomologie, chemische Industrie und Landwirtschaftspolitik in der Schweiz 1874–1952
Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Band 9
Broschur
2005. 348 Seiten
ISBN 978-3-0340-0695-8
CHF 48.00 / EUR 32.00 
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Fanfarenklänge erschallten, als Paul Müller 1948 in Stockholm den Nobelpreis für Physiologie und Medizin entgegennahm. Der Schweizer Chemiker hatte die insektizide Wirkung von DDT entdeckt, das unzähligen Menschen das Leben rettete. Knapp 25 Jahre später verboten die meisten Industrieländer das Insektizid wegen schädlicher Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt.
Wie entsteht eine neue Technik im Kräftespiel zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik? Dieser Frage widmet sich die Studie zur Schweizer P€anzenschutzmittelindustrie und zum Pestizideinsatz in der Landwirtschaft. Dabei beschreibt der Autor den Weg vom ersten Auftreten der Reblaus in der Schweiz im Jahr 1874 bis zur Insektizidkrise nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zentrum stehen Akteure, die das Auftreten landwirtschaftlicher Schädlinge für ihre eigenen Zwecke nutzten: für die wissenschaftliche Etablierung der Entomologie (Insektenkunde), für die Durchsetzung der staatlichen Landwirtschaftspolitik und für den Aufbau eines neuen Absatzmarkts für Agrochemikalien.


Bücher im Chronos Verlag

Pressestimmen
«Es bleibt festzuhalten, dass Lukas Straumann eine ebenso lesenswerte wie aufschlussreiche Studie zur Geschichte der chemischen Schädlingsbekämpfung geschrieben hat, die durch ihren multiperspektivischen Ansatz den Anschluss an eine Vielzahl historischer Teildisziplinen findet und deshalb für eine breite Leserschaft von Interesse sein dürfte.» Technikgeschichte

«Das Buch ist leicht lesbar, verbindet Einblicke in Technikgeschichte der Pestizidanwendungen mit Wisssenschaftsgeschichte der angewandten Entomologie und einschlägigen Aspekten der staatlichen Agrarpolitik.» Christian Simon, Gesnerus

Besprechungen
Ein Stück Geschichte der Schädlingsbekämpfung in der Schweiz Mit dem erstmaligen Auftreten der ursprünglich aus Nordamerika eingeschleppten Reblaus Phylloxera in der Schweiz im Jahr 1874 begann hierzulande die wissenschaftliche Erforschung der Schädlingsbekämpfung. Man wollte verhindern, dass die Reblaus, welche die Wurzeln der Pflanzen befällt, den Schweizer Weinbau im gleichen Ausmass bedrohte wie denjenigen in Frankreich, wo bereits rund 200 000 Hektaren Rebland zerstört worden waren. Lukas Straumann schildert in seinem Buch «Nützliche Schädlinge», dass die zuerst angestrebte Ausrottung der Reblaus (durch die Verbrennung der Rebstöcke samt ihrer Wurzeln, die Desinfektion der Rebstecken sowie die Durchtränkung der befallenen Rebparzellen mit einer insektiziden Kalium- Schwefelkarbonat-Lösung) langfristig keinen Erfolg brachte. Erst die Erneuerung der Rebberge mit veredelten, auf gegen die Reblaus resistenten Unterlagen gepfropften Reben konnte die Gefahr für den Schweizer Weinanbau langfristig bannen. In seiner Dissertation erörtert der Historiker Straumann in fünf Kapiteln die Entwicklung der Schädlingsbekämpfung sowie die Institutionalisierung der angewandten Entomologie (Insektenkunde) in der Schweiz bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts im Kräftespiel zwischen Wissenschaft, Industrie und Staat. Kritisch geht Straumann der Frage nach, in welchem institutionellen Rahmen die wichtigsten Akteure gehandelt haben und von welchen Interessen sie geleitet worden sind. Der Autor erklärt, weshalb anfänglich der Staat (etwa mit Subventionierungen) die Schädlingsbekämpfung vorantrieb; und anhand der Biografien wichtiger Schweizer Forscher wie Hermann Müller-Thurgau oder Henry Faes zeigt er, wie die angewandte Entomologie sich als wissenschaftliches Forschungsgebiet etablieren konnte. Auch kommt zur Sprache, wie privatwirtschaftliche Interessen in den Vordergrund rückten, als in den 1880er Jahren im Rahmen der Schädlingsbekämpfung Pflanzenschutzmittel wie die sogenannte Bordeaux- Brühe entwickelt wurden. Grossen Wert legt Straumann auf die Einbettung der Pflanzenschutzmittel-Entwicklung in das Zeitgeschehen: Die Rohstoffverknappung während der beiden Weltkriege rechtfertigte das Eingreifen des Staates in die Schädlingsbekämpfung; mit dem Einstieg von Chemie- Grossunternehmen wie Sandoz und Geigy in den Pflanzenschutzmittel-Markt wurde die Schädlingsbekämpfung jedoch zunehmend privatisiert und kommerzialisiert. Geigy beispielsweise konnte sich dank der Herstellung des Pflanzenschutzmittels DDT - gegen das jedoch bereits 1945 erste Insekten Resistenzen zeigten - innert kürzester Zeit als Pestizid-Produzent international profilieren. Straumanns Ausführungen enden mit der sogenannten Insektizidkrise in den 1950er Jahren, die das Resultat der Debatte über die ökologischen Nebenwirkungen der Insektizide war. Dem Autor gelingt es, auch dem Laien die verschiedenen Gesichtspunkte der Entwicklung der Schädlingsbekämpfung auf eine interessante und anschauliche Weise näher zu bringen. Katharina Schöbi Lukas Straumann: Nützliche Schädlinge - Angewandte Entomologie, chemische Industrie und Landwirtschaftspolitik in der Schweiz 1874-1952. Chronos-Verlag 2005. 392 S., Fr. 48.-. NZZ FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 07.12.2005 Nr.286 65 Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der NZZ (c) 1993-2006 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1

Die in dieser Reihe erscheinenden Studien untersuchen technische und wissenschaftliche Entwicklungen in der Neuzeit. Sie fragen nach dem historischen Entstehungskontext und gehen der Frage nach, inwiefern verschiedene soziale Gruppen diese technischen Entwicklungen als Möglichkeit sozialen Wandels wahrgenommen, ausgehandelt und bisweilen genutzt oder vergessen haben. Der Ansatz erlaubt es, Innovationen als technisch und gesellschaftlich voraussetzungsreiche Prozesse zu verstehen und zu erklären.