Die Grenzen der Neutralität
Schweizerisches KSZE-Engagement und gescheiterte UNO-Beitrittspolitik im Kalten Krieg, 1969–1986
Schweizer Beiträge zur internationalen Geschichte – Contributions suisses à l'histoire internationale, Band 7
Broschur
2004. 492 Seiten
ISBN 978-3-0340-0691-0
CHF 68.00 / EUR 44.80 
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Das Buch beschreibt das Scheitern der aussenpolitischen Öffnung der Schweiz gegen Ende des Kalten Krieges. Seit dem Beginn der siebziger Jahre hatte das Aussendepartement offiziell eine Aktivierung und Dynamisierung der Aussenpolitik angestrebt, die namentlich eine aktive Teilnahme an der KSZE sowie den UNO-Beitritt zum Ziel hatte. Nach dem Beinahe-Scheitern der zweiten KSZE-Folgekonferenz 1983 und der deutlichen Ablehnung des UNO-Beitritts durch das Schweizer Stimmvolk 1986 war von dieser Dynamik allerdings nichts mehr zu verspüren. Die Frage blieb, was aus dem multilateralen Enthusiasmus der vorangegangenen Dekade geworden war.
Die Abstimmungsniederlage von 1986 war ein eigentlicher Tiefpunkt der bundesrätlichen Aussenpolitik während des Kalten Krieges. Die offizielle schweizerische Aussenpolitik sollte in der Folge für nahezu ein Jahrzehnt blockiert bleiben und erst im Zuge der Epochenwende von 1989/91 eine nachhaltige Veränderung erfahren.
Die Arbeit erklärt das Ausbleiben der aussenpolitischen Öffnung im Kalten Krieg anhand der Zusammenhänge von internationalen Veränderungen, nationaler Identität und aussenpolitischem Rollenverständnis der Schweiz. Dabei hatte der Autor erstmals vollständigen Einblick in die Dossiers des Departements für auswärtige Angelegenheiten zur UNO-Beitrittspolitik und zur schweizerischen Beteiligung am KSZE-Prozess in den Jahren 1969 bis 1986. Die quellenkritische Untersuchung wird gestützt durch Interviews, die der Autor mit Zeitzeugen geführt hat.
Der Autor zeigt, dass der Wandel von der internationalen Entspannung zur erneuten Akzentuierung der Supermächtekonfrontation in den 1980er Jahren in der Schweiz zu einer Bestätigung des traditionellen aussenpolitischen Selbstverständnisses führte und den an sich gewünschten Wandel der Aussenpolitik verhinderte. Im Kontext des Kalten Krieges dominierte in Regierung, Verwaltung und Parlament eine überspitzte, schon damals anachronistische Konzeption von Souveränität und Neutralität und verhinderte eine Öffnung der Schweizer Aussenpolitik über die engen Grenzen des integralen Neutralitätsverständnisses der Nachkriegszeit hinaus.


Thomas Fischer, Dr. Phil., geboren 1971, studierte Geschichte, Politikwissenschaften, Staats- und Völkerrecht in Zürich und Brüssel. Forschungsassistent am Zentrum für Internationale Studien (CIS) der ETH Zürich von 1998 bis 2003. Research Affiliate am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) und Lehrbeauftragter an der Universität Wien, 2004 bis 2008. Seit 2009 Research Fellow am Graduate Institute of International and Development Studies, Genf. Fachpublikationen zur Schweizer Aussenpolitik und der Politik der neutralen Staaten im Kalten Krieg.


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Besprechungen
Aufbruch ohne Ankunft Die schweizerische KSZE- und Uno-Politik 1969-1986 Die 1975 abgeschlossene Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war ein Erfolg, auch wenn die Resultate der verschiedenen Folgekonferenzen hinter dem hoffnungsvollen Start zurückblieben. In der Schweiz herrschte am Anfang jedoch, als 1969 erste Vorschläge zu einer derartigen Konferenz auftauchten, eine nicht untypische doppelte Skepsis: Würde das Projekt gelingen, und sollte die Schweiz da überhaupt mitmachen? Noch 1972 bezeichnete Bundesrat Graber die Teilnahme als Risiko. Dieses teilte die Schweiz aber mit den anderen 35 Teilnehmerstaaten. Kurze Détente schlecht genutzt Wegen der zögerlichen Haltung fanden die Haupttreffen denn auch in Helsinki, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Sowjetunion, und nicht in Genf statt. Die Schweiz verhielt sich während der ganzen Zeit beinahe markant als westlicher Neutraler. Einmal, 1981, besann man sich in Bern auf die traditionelle Vermittlerrolle und bot den Supermächten ein bilaterales Geheimtreffen an, für das es dann offenbar keinen Bedarf gab. Das bekannte Genfer Treffen vom Juni 1985 zwischen Reagan und Gorbatschew war kein Produkt einer schweizerischen Initiative. Die Schweiz konnte nicht - wie Albanien - abseits bleiben, und sie konnte als Haupterfolg erstmals die formelle Anerkennung ihrer Neutralität durch die beiden Supermächte verbuchen, sie konnte in der Gruppe der Neutralen und Blockfreien (N+N) auch eine gewisse Rolle spielen und Erfahrungen im Umgang mit den Grossen sammeln und später (1991) sogar ihr Lieblingsprojekt, die freiwillige Schiedsgerichtsbarkeit, unterbringen; ein Konzept, das sich allerdings als völlig bedeutungslos erweisen sollte. Trotz früheren Arbeiten (insbesondere von Hansjörg Renk und Christoph Breitenmoser) sind die Vorgänge um die KSZE erst teilweise erforscht. Unter erstmaligem vollem Aktenbeizug legt nun Thomas Fischer mit seiner historisch- politologischen Dissertation zur schweizerischen KSZE-Politik und zu den besser bekannten, parallel dazu laufenden Vorberatungen über den Uno-Beitritt eine wichtige Studie vor. Das Forschungsinteresse gilt aber weniger den beiden Vorgängen selbst als den daran ablesbaren allgemeineren Haltungen zum Multilateralismus und ist auf die Frage ausgerichtet, ob und wie die Chancen der internationalen Entspannung genutzt wurden, um in der Schweiz ein neues aussenpolitisches Verständnis zu entwickeln. Wie insbesondere die Ablehnung des Uno-Beitritts im Jahr 1986 zeigte, führte der Aufbruch von 1969 zu keinem entsprechenden Ergebnis. Der Autor erklärt dies mit zwei Ursachen: Einmal sei das Zeitfenster zu wenig lang offen gewesen, zum anderen habe man es auch zu wenig entschieden genutzt. Der kurze Entspannungsmoment sei schon bald von negativen Erfahrungen überdeckt worden: durch die wenig erfolgreichen Folgekonferenzen in Belgrad (1977/78) und Madrid (1980/83), durch die sowjetische Invasion Afghanistans (Ende 1979), die Verhängung des Kriegsrechts in Polen (Ende 1981) und den Abschuss eines koreanischen Passagierflugzeugs (1983). Die Innenpolitik als Schlüssel Fischer geht davon aus, dass das aussenpolitische Rollenverständnis zumal von Kleinstaaten in hohem Mass durch die internationalen Rahmenbedingungen bestimmt ist. Es erstaunt nicht, dass die Studie wegen der bescheidenen Bedeutung der Schweiz und der Beschränkung auf schweizerische Quellen kaum akzentuierte Rollenerwartungen der Aussenwelt aufzeigen kann und einmal mehr die helvetische Selbstverständigung dominiert. Es geht also um das Problem, wie angesichts der Veränderungen in der Welt der selbstentwickelte Wunsch nach einer generelleren Öffnung und nach der Übernahme einer aktiveren Rolle in den internationalen Beziehungen im eigenen Land ankam und in dauerhaften Haltungen verankert werden konnte. Wie der Verfasser richtig bemerkt, wäre das nur möglich gewesen, wenn sich gleichzeitig die «stark innenpolitisch geprägte nationale Identität der neutralen Schweiz» verändert hätte. Daraus kann man, ja muss man schliessen, dass die Vorgänge auf der internationalen Ebene nur Möglichkeiten schufen, eben «windows of opportunities», dass aber deren Nutzung eine eminent innenpolitische Sache gewesen wäre und darum mindestens so sehr die innenpolitischen oder gesellschaftspolitischen Konstellationen und Konjunkturen in die Analyse einbezogen werden müssten. Andere Prioritäten der Wirtschaft Die Studie wirft am Rande einen interessanten Blick auf die Haltung der Wirtschaftsvertreter, die sich in den 1970er Jahren mit dem stärkeren Engagement gegenüber der Uno «nicht identifizieren» konnten, und sie zeigt einen eigentlichen Gegensatz zwischen den beiden Departementen für Aussenpolitik und für Aussenwirtschaft auf. Seit 1978 meldete das EVD starke Vorbehalte dagegen an, dass der Uno-Beitritt Vorrang erhielt; es hätte es vorgezogen, wenn man zuerst den Beitritt zu den Bretton-Woods-Institutionen (IMF und Weltbank) angestrebt hätte, wie er dann 1992 zustande kommen sollte. Und 1980 musste Aussenminister Aubert seinen Chefdiplomaten Brunner ins Bundeshaus Ost schicken, um dort Wirtschaftsminister Honegger für die Zustimmung zur Teilnahme an der Nachfolgekonferenz von Madrid zu gewinnen. Dank der erstmaligen Auswertung der Handakten kann Fischer ein konsolidiertes Bild der in der Zeit selbst stark umstrittenen Politik von Bundesrat Pierre Aubert zeichnen. Aubert meinte mit seiner Parole von der «Dynamisierung der Aussenpolitik», dass die Schweiz ihr politisches Tempo der beschleunigten Entwicklung der Welt anpassen und «etwas mehr Schwung» gewinnen müsse. Einen neuen inhaltlichen Akzent setzte er mit der Ausweitung der schweizerischen Menschenrechtspolitik. Dabei vertrat er die Auffassung, dass es in menschenrechtlichen Belangen keine Neutralität geben könne. Die Gegenposition wurde von einzelnen Chefbeamten - etwa Albert Weitnauer und Emanuel Diez - und von manchen Parlamentariern vertreten. Der vorzeitigen Entlassung Weitnauers sind in dieser Arbeit selbstverständlich ebenfalls ein paar Seiten gewidmet. Desgleichen der Frage, in welchem Masse Aubert für das massive Nein zur Uno-Mitgliedschaft im März 1986 verantwortlich war. Der Autor sieht in Auberts eher schwachen Auftritten nur eine von vielen Ursachen. Identitätsstiftende Begriffe Die in mancher Hinsicht sehr aufschlussreiche Publikation meint mit dem Titel «Die Grenzen der Neutralität» nicht deren enge Begrenztheit, sondern, im Gegenteil, dass wegen des sehr breiten Neutralitätsverständnisses dem aussenpolitischen Handeln auch in der Phase des Aufbruchs über Gebühr enge Grenzen gesetzt gewesen seien. Die Studie referiert auch eine speziell interessante Episode aus dem Jahr 1985: SVP-Nationalrat Peter Sager störte sich daran, dass die Neutralität «ein Mythos geworden» sei, und wollte der Unbestimmtheit begegnen, indem er 50 Thesen zur Neutralität entwickelte. Er stiess damit in der Aussenpolitischen Kommission auch bei der Linken auf Zustimmung. SP-Nationalrat Heinrich Ott meinte, der Neutralität eine «zusätzliche Dimension» abgewinnen zu können, und landete mit seiner Formel der «erweiterten Guten Dienste» doch nur wieder bei der alten Begrifflichkeit und beim alten Rollenverständnis. Fischer sieht darin einen exemplarischen Beleg für die auch in den Aufbruchsjahren gleich gebliebene «aussenpolitische Identitätsstiftung traditioneller Prägung». Sein Befund deckt sich mit anderen Forschungen, die zum Neutralitätsdiskurs der letzten 50 Jahre unternommen worden sind. Georg Kreis Thomas Fischer: Die Grenzen der Neutralität. Schweizerisches KSZE-Engagement und gescheiterte Uno-Beitrittspolitik im Kalten Krieg 1969-1986. Chronos-Verlag, Zürich 2004. 492 S., Fr. 68.-, ¤ 44.80. Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR Samstag, 25.06.2005 Nr.146 85 Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ (c) 1993-2006 Neue Zürcher Zeitung AG