Natur, verbessert
lx. Noch bis ins frühe 19. Jahrhundert trat die Linth regelmässig über ihre Ufer. Die sogenannte Linthkorrektur, ausgeführt zwischen 1807 und 1816 vom Zürcher Geologen und Philanthropen Hans Konrad Escher, bannte die Gefahr; man nannte das so entstandene kulturtechnische Werk eine «Melioration». Eine vom Historiker Daniel Speich verfasste Zürcher Dissertation thematisiert nun diesen - damals als epochalen Sieg der Kultur über die Natur gefeierten - Eingriff unter dem Fokus der Technikgeschichte. Was noch im 19. Jahrhundert, unter dem euphorischen Banner des Fortschritts, als Erfolg bejubelt wurde, ist 150 Jahre später fragwürdig geworden. An die Stelle der einstigen Fortschrittsgläubigkeit trat spätestens ab den 1970er Jahren eine fortschrittskritische Betrachtung. Anstatt «Melioration» hiess das Stichwort nun «Renaturierung»: Landschaften und Flüsse sollten wieder in ursprüngliche, von Menschen möglichst wenig tangierte Zustände übergeführt werden. Daniel Speich untersucht die politischen, historischen und kulturellen Implikationen der Linthkorrektur. Diese nämlich sei nicht nur auf die Zähmung des Wassers, sondern auch auf die Disziplinierung der Bevölkerung hin angelegt gewesen. Landschaftsveränderung und politischer Wandel seien, so argumentiert die detaillierte Studie, eng miteinander verschwistert.
Daniel Speich: Helvetische Meliorationen. Die Neuordnung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse an der Linth (1783 bis 1823). Chronos-Verlag, Zürich 2003. 363 S., Fr. 48.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 14.02.2004 Nr.37 46
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