Die Ächtung des «Bösen»

Frauen vor dem Zürcher Ratsgericht im späten Mittelalter (1400–1500)

Broschur
2003. 379 Seiten
ISBN 978-3-0340-0599-9
CHF 58.00 / EUR 39.90 
  • Kurztext
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  • In den Medien

Was hat der «Jahrhundertprozess» über die angebliche Kindsmörderin Monika Weimar in den 1980er Jahren mit dem Verfahren gegen Agtli Zeinenmacher, die im 15. Jahrhundert als Diebin ertränkt wurde, gemein? Über die Darstellungsweise Monika Weimars in den Medien als schamlose Hure, eiskalte Lügnerin und Rabenmutter wurden negative Weiblichkeitsstereotypen evoziert, die im Umkehrschluss Bilder der natürlichen Mutter, der anständigen Ehefrau konstruierten und damit die für Frauen geltende Normalität (re)produzierten.
Was hier für die Gegenwart gilt, trifft auch für die Vergangenheit zu. Ohne ins «Deftig-Anekdotische» abzugleiten und ohne «Farblos-Abstraktes» zu kultivieren, beleuchtet die Autorin geschlechtsspezifische Rollenerwartungen, Verhaltensnormen und Stereotypen, die Kriminalität, Weiblichkeit und Normalität als Gegenstand erst konstituieren. Grundlage der Untersuchung bilden die Zürcher Gerichtsprotokolle, die eine Fülle detaillierter Informationen über Konfliktstoffe, -formen und -orte sowie über Alltagsbeziehungen enthalten, wie sie in mittelalterlichen Quellen dieser Art selten vorkommen. Die Autorin untersucht nicht nur die sozialen Verhältnisse der Täterinnen, ihre Vergehen und deren gerichtliche Beurteilung, sondern auch die Wahrnehmung und Bewertung von Weiblichkeit und Männlichkeit, von Normalität und Abweichung, von Gut und Böse sowie Schuld und Unschuld als wichtige Indikatoren sozialer Zustände. Ferner werden die diesen Wertvorstellungen zugrunde liegenden weiblichen Handlungsmuster, -räume und Interaktionen aufgezeigt sowie obrigkeitliche Sanktions- und Disziplinierungsmechanismen gegenüber Frauen untersucht.

studierte allgemeine Geschichte und Rechtsgeschichte an der Universität ZÜrich und promovierte 2001. Danach war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Rechtsquellenstiftung und Bearbiterin der Rechtsquelleneditionen Sarganserland und Werdenberg.


Bücher im Chronos Verlag

Besprechungen

Frauen vor Gericht

uha. Die Historikerin Sibylle Malamud hat in ihrer Dissertation, die sich um die soziale Bedingtheit von Kriminalität und Geschlecht dreht, Zürcher Gerichtsquellen aus dem Spätmittelalter bearbeitet und sich dabei besonders auf die in die Rechtsfälle involvierten Frauen konzentriert. Sie hat kenntnisreich den neusten Forschungsstand nicht nur der «historischen Kriminalitätsforschung», sondern (unter anderem) auch der Diskurstheorie und der Sozialgeographie referiert; sie hat zahlreiche Fälle statistisch ausgewertet (etwa nach «geschlechtsspezifischer Deliktstruktur» und Tatorten), aber auch auf die narrativen Muster der Frauen hin interpretiert; sie hat deren «Sozialprofile» erstellt, die beteiligten Konfliktparteien rekonstruiert und die Konfliktorte identifiziert. Auf einer allgemeinen Ebene gelingt es der Autorin, die eine beeindruckende Fülle an Ergebnissen präsentiert (so stammten viele Delinquentinnen gerade nicht aus den untersten Schichten, und die männliche Justiz handelte nicht, wie oft behauptet, frauenfreundlich), das Gericht als Ort zu entlarven, wo Machtverhältnisse gefestigt und gesellschaftliche «Realitäten» produziert werden. Indes fehlt der Studie eine Mitte. Zu viele Fragestellungen (aus beinahe jedem Kapitel hätte man ein eigenes Buch machen können) und zu viele Theorien hemmen den Gang der Untersuchung und bringen letztlich die Quellen zum Verstummen.

Sibylle Malamud: Die Ächtung des «Bösen». Frauen vor dem Zürcher Ratsgericht im späten Mittelalter (1400-1500). Chronos-Verlag, Zürich 2003. 379 S., Fr. 58.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 27.09.2003 Nr.224 48
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