Für Wirtschaft und Vaterland
Erneuerungsbewegungen und bürgerliche Interessengruppen in der Deutschschweiz 1928–1947
Veröffentlichungen des Archivs für Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte der ETH Zürich, Band 3
Gebunden
2000. 440 Seiten, 20 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-905313-26-0
CHF 68.00 / EUR 39.00 
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Dieser grundlegende Beitrag zur schweizerischen Wirtschaftsgeschichte in den dreissiger und vierziger Jahren erhellt umfassend eine ebenso spannende wie zentrale Thematik: den Aufbau und die Entwicklung des wirtschaftspolitischen Lobbyismus in der Schweiz. Der krisenhafte Modernisierungs- und Integrationsprozess in der Schweiz der Zwischenkriegszeit erfasste nicht nur die politische Linke, er veränderte auch nachhaltig die bürgerliche wirtschaftspolitische Landschaft. Als Gegenreaktion zur teilweisen Einbindung der Sozialdemokratie und den Tendenzen zum verstärkten staatlichen Interventionismus bildeten sich Bewegungen und Pressure Groups, die zur Wahrnehmung privatwirtschaftlicher Interessen neue Formen der Beeinflussung von Politik und Gesellschaft anwandten. In deren Zielsetzungen und Programmatik finden sich widersprüchliche Elemente: Manchesterliberalismus und korporative Wirtschaftsordnung, Antietatismus und autoritärer Staat, Anpassung an das «neue Europa» und entschlossener Widerstand. Der Autor hat zentrale Archivbestände des Archivs für Zeitgeschichte der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich ausgewertet; er schildert anschaulich die Entstehung der Schweizerischen Vereinigung für wirtschaftliche Solidarität, des Bundes für Volk und Heimat, der Aktionsgemeinschaft Nationaler Wiederaufbau (Redressement National), des Bundes der Subventionslosen sowie der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (wf), der wohl bekanntesten und einflussreichsten PR-Organisation der schweizerischen Wirtschaft. Am Beispiel von Robert Eibel, dem forschen Trumpf-Buur-Publizisten, wird paradigmatisch das weitverzweigte Beziehungsgeflecht zwischen diesen Bewegungen analysiert, eindrücklich verdichtet durch zahlreiche Kurzbiographien im Anhang.
Besprechungen
Gegen den Sozialismus - und gegen Liberale Rechtsbürgerliche Erneuerungsideen zwischen 1928 und 1947 Ausgerechnet seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums finden rechtsbürgerliche Ideen bei manchen Wählerinnen und Wählern vermehrt Anklang. Rechtsbürgerliche Politik legitimiert ihre Haltung mit einem Kampf auf Leben und Tod gegen «Sozialismus», der in ihrem Sprachgebrauch je nach Bedarf für Kommunismus, Etatismus und auch für Sozialdemokratie verwendet wird. Eine «sozialistische» Gefahr lauert für die Rechtsbürgerlichen auch nach dem Ende des Kalten Krieges überall. Linkskonservative, die es interessanterweise heute ebenfalls gibt, verdächtigen in der politischen Auseinandersetzung nicht nur in der Schweiz die Rechtskonservativen der Nähe zu faschistischem Gedankengut. Umso brennender ist für den unvoreingenommenen Zeitgenossen die Frage, ob dieser Verdacht berechtigt ist. Die differenziert beurteilende, sachlich darstellende und trotzdem leicht lesbare Dissertation von Christian Werner über die zwischen 1928 und 1947 in der Deutschschweiz als Erneuerungsbewegungen entstandenen und wirkenden bürgerlichen Interessenverbände kann auf diese Frage historische Antworten geben. Orientierung an der Vergangenheit Die Beweggründe der rechtsbürgerlichen Interessenverbände liegen in den Verhältnissen am Ende des Ersten Weltkrieges. Es brachte Europa zwar zunächst einen durch den Völkerbund abgesicherten Frieden und den meisten Ländern eine republikanische und demokratische Verfassung. Aber diese liberalen Errungenschaften wurden mit dem gleichzeitigen Sieg der Bolschewisten in Russland durch eine kleine, in der III. Internationale organisierte klassenkämpferische Linke bedroht, die überall die Diktatur des Proletariates errichten wollte. In der Schweiz fielen der Landesstreik, der als Ausläufer des Bolschewismus verstanden wurde, und die Einführung des Proporzes für den Nationalrat zufällig zeitlich zusammen. Letztere brachte das Ende der eindeutigen Machtverhältnisse im Bund, die seit 1848 durch eine freisinnige Mehrheit gegeben waren. Die im politischen Liberalismus verwurzelten Persönlichkeiten und Kreise richteten ihre Kräfte fortan darauf aus, den nunmehr eröffneten Wettbewerb der Ideen gegen links und später auch gegen rechts im Rahmen der bestehenden Ordnung zu gewinnen. Konservative aller Schattierungen sahen hingegen in eben den liberalen Prinzipien die Wurzel aller Übel und im Ständestaat der Zeit vor 1789 das Mittel zu deren Überwindung. Sie verstanden sich fortan als Bürgerliche. Christian Werner definiert deren Identität wie folgt: «Für das Verständnis der neuen, korporatistisch organisierten, institutionellen Realitäten ist der Begriff Ðbürgerlichð ein Codewort für konservative Kräfte, die eine Stabilität und einen Zustand anstrebten, der mit dem Vorkriegseuropa verbunden war. Die alten Eliten und die bürgerlichen Führer fühlten sich von den gleichen Kräften und Gruppen bedroht: Hauptfeind waren die Sozialisten.» Organisationen für Korporatismus Der Sieg Mussolinis 1922 in Italien gab diesen Kreisen Auftrieb, obwohl die meisten Rechtskonservativen den autoritären Ständestaat der italienischen Faschisten ablehnten und ein korporativ- pluralistisches System der Interessenvermittlung anstreben. Vertreter korporativ-konservativer bürgerlicher Ideale bildeten seit Mitte der zwanziger Jahre Pressure-Groups, mit denen sie dieses Ziel durch Einflussnahme auf Parteien, Parlament und Behörden zu erreichen trachteten. Christian Werner hat die interessante Geschichte der wichtigsten rechtsbürgerlichen Interessenverbände im Zeitraum von 1928 bis 1947 untersucht: die der Schweizerischen Vereinigung für Wirtschaftliche Solidarität, des Bundes für Volk und Heimat, der Aktionsgemeinschaft Nationaler Wiederaufbau (Redressement national), des Bundes der Subventionslosen, des Gotthard-Bundes und schliesslich der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft. Von ihnen bestehen bis heute das Redressement national und die «Wirtschaftsförderung» (fusioniert mit dem Vorort) weiter. Unscharfe Abgrenzung Obwohl vielen Rechtsbürgerlichen ein umfassend verstandener Liberalismus angesichts des Modernisierungsschubs in den zwanziger Jahren und anschliessend der Weltwirtschaftskrise als Büchse der Pandora erschien, ist auch bei ihnen gelegentlich von Liberalismus die Rede. Sie reduzierten diesen aber auf einen manchesterlichen Wirtschaftsliberalismus. Eine Nähe zum Nationalsozialismus haben die Exponenten der genannten Organisationen nach dem Zweiten Weltkrieg stets von sich gewiesen. Offensichtlich gibt es in den von Christian Werner untersuchten Quellen tatsächlich keine Hinweise auf eine direkte Zusammenarbeit mit nationalsozialistischen Kreisen in der Schweiz und in Deutschland. Der Autor weist aber nach, dass manche Exponenten und Mitläufer der untersuchten Vereinigungen im nationalsozialistischen Gedankengut auch positive Ansätze zur Lösung der damaligen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme fanden und in ihrem Erneuerungseifer vor einer informellen, auch engen Zusammenarbeit mit frontistischen Kreisen und Personen nicht zurückschreckten. Zweideutig war auch ihre Haltung in der sogenannten «Judenfrage». Angesichts solch ideologischer Unschärfe überrascht es nicht, dass erste Entwürfe zur «Eingabe der Zweihundert», welche die Schweizer Presse gegenüber Hitler-Deutschland zu einer Gesinnungsneutralität verpflichten wollte, von diesen Kreisen ausgegangen sind. Die Karriere Robert Eibels Der Autor hat den Geist des militanten organisierten Bürgertums mit einem Kurzporträt von Robert Eibel anschaulich gemacht, der Sekretär der Stadtzürcher FDP war, als diese im Herbst 1933 eine Listenverbindung mit der Nationalen Front einging, und 1940 zum Mitverfasser eines ersten Entwurfes der «Eingabe der Zweihundert» bestimmt wurde. Im einen wie im andern Fall war er nicht der Hauptverantwortliche. 1936 wurde Eibel zum Sekretär des ein Jahr zuvor gegründeten Redressement national gewählt, 1939/40 war er Kanzleichef im persönlichen Stab von General Guisan, 1941 Initiant und geistiger Vater der «Wirtschaftsförderung», bei der er zwischen 1942 und 1946 als Mitarbeiter tätig war. Eibel ist auch nach dem Krieg ein bürgerlicher Eiferer geblieben. Als selbständiger Wirtschaftsberater gründete er 1947 die Aktion für freie Meinungsbildung, die als Trägerin der «Trumpf Buur»-Inserate das rechtsbürgerliche Gedankengut der Zwischenkriegs- und Kriegszeit bis weit in die Nachkriegszeit hinein trug. Von 1963 bis 1975 vertrat er die ihm nahestehenden Kreise des Zürcher Freisinns als Nationalrat in Bern. Sein erstes und dieses letzte FDP-Mandat machen deutlich, dass rechtsbürgerliches Gedankengut stets auch in freisinnigen Kreisen beheimatet war. In den bedrohlichsten Jahren des Kalten Krieges zwischen 1948 und 1968 deckte sich dieser bürgerliche Antisozialismus teilweise mit dem Antikommunismus, wie ihn damals alle demokratischen Parteien und Kreise vertraten, so dass seine fragwürdigen Komponenten etwas in Vergessenheit gerieten. Nach der Lektüre der Dissertation von Christian Werner wird deutlich, dass viele konzeptionelle und inhaltliche Ideen der heutigen rechtspopulistischen Konservativen den Anliegen der bürgerlichen Erneuerungsbewegungen der Zwischenkriegs- und Kriegszeit sehr ähnlich sind. Der Verfasser stellt fest: «Besonders auffallend ist die Ähnlichkeit der Kommunikationsmassnahmen und vor allem auch -formen der rechtsbürgerlichen Protagonisten von gestern und heute.» Werners aufschlussreiches Buch macht die Problematik der Abgrenzung rechtsbürgerlicher Politik gegenüber einer nicht mehr demokratischen Rechten in der Vergangenheit deutlich und schärft den Blick für die Aktualität. Gerade deshalb möchte man sich wünschen, dass auch die Problematik der Abgrenzung der schweizerischen Linken gegenüber dem von Moskau gelenkten internationalen Kommunismus in gleich objektiver Weise mehr als bisher wissenschaftlich untersucht wird. Katharina Bretscher-Spindler Christian Werner: Für Wirtschaft und Vaterland. Erneuerungsbewegungen und bürgerliche Interessengruppen 1928-47. Chronos-Verlag, Zürich 2000. 440 S., Fr. 68.-. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ. Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR 25.09.2000 NR. 223 33

In der Zwischenkriegszeit lassen sich zwei Entwicklungsstränge beobachten, die für das Thema dieser Arbeit relevant sind. Einerseits kamen reaktionäre Strömungen auf, die in der Erneuerungsdiskussion der 1930er-Jahre gipfelten; andererseits formierten sich auf Seiten der Wirtschaft neue Formen des Lobbyismus, die zur Entstehung von wirtschaftspolitischen Pressuregroups führten. Die damals entstehenden politischen Kommunikations- und Propagandastrategien wurden zu einem wichtigen Teil von denjenigen Personen getragen, die auch im Umfeld der Erneuerungsbewegungen eine wichtige Rolle spielten. Christian Werner zeigt in seiner Dissertation, wie in verschiedenen dieser Pressuregroups sehr widersprüchliche Elemente vereinigt waren: Manchesterliberalismus und Antimaterialismus, Antietatismus und Glaube an einen autoritären Staat, Anpassung an das «neue Europa» und Entschlossenheit zum militärischen Widerstand. Der viel beschworene Bürgerblock war in der Zwischenkriegszeit alles andere als ein geschlossenes Ganzes. In weiten Kreisen des Bürgertums waren reaktionäre Ideen äusserst populär: der moderne Staat, die Errungenschaften der Französischen Revolution, der Parlamentarismus wurden abgelehnt, der Antisemitismus war salonfähig. Auch in den wirtschaftlichen Pressuregroups wie dem Bund für Volk und Heimat, dem Redressement National oder dem Bund der Subventionslosen waren solche Ideen weit verbreitet. Gleichzeitig verhinderten diese Gruppierungen ein vollständiges Abgleiten des rechten politischen Spektrums in den Faschismus. So stand der schweizerische Föderalismus, der in diesen Vereinigungen mit fast religiösem Eifer beschworen wurde, in krassem Gegensatz zu den zentralistischen Staatsgebilden in Deutschland und Italien. Rechtsbürgerliche Exponenten distanzierten sich deshalb - laut Werner - in der Regel vom Faschismus und Nationalsozialismus - was sie aber nicht daran hinderte, offen Beifall zu klatschen, wenn Faschisten und Nationalsozialisten gegen den verhassten Bolschewismus vorgingen. Die Pressuregroups entwickelten in den 1930er- und 40er-Jahren professionelle Konzepte, um die Öffentlichkeit aufzuklären beziehungsweise zu beeinflussen. Mit Broschüren, politischen Inseraten, der Gründung der Schweizerischen Mittelpresse als bürgerliche Presseagentur oder der Organisation von Referatskursen brachten sie ihre Ideen unter das Volk. Gleichzeitig bauten sie ein personelles Beziehungsnetz aus, über das sie auf Parlament und vorberatende Kommissionen Einfluss nehmen konnten. Werners Arbeit ist sehr detailliert und informativ und beruht auf einem langjährigen Quellenstudium im Archiv für Zeitgeschichte und dem Archiv des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Konzeptionell bleiben allerdings einige Unklarheiten. So bleibt beispielsweise die Verwendung des Konzepts des «Korporatismus» ziemlich diffus. Werner stützt sich in seiner Arbeit auf den Ansatz von Charles S. Maier, wonach es in Europa in den 1920er-Jahren zu einer Aufhebung des Dualismus von Staat und Wirtschaft gekommen sei. Während die Parlamente in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg an Einfluss verloren, gewannen ausserparlamentarische Institutionen zunehmend an Einfluss, weshalb wichtige sozialpolitische Entscheide ausserhalb der Parlamente getroffen wurden. Für die Zwischenkriegszeit können dabei drei Hauptrichtungen korporatistischen Denkens unterschieden werden: eine ständestaatlich-ideologische, eine faschistisch-herrschaftsstrategische und eine technokratisch-politökonomische Richtung. Welche dieser drei Richtungen gemeint ist, wenn Werner von Korporatismus spricht, beziehungsweise ob er sich durchweg auf eine dieser drei Richtungen bezieht und nicht manchmal ein eigenes, nicht näher erläutertes Korporatismuskonzpt im Kopf hat, ist nicht immer ganz klar. Auch ist unklar, weshalb sich in der Schweiz ab Mitte der 1930er-Jahre mit dem Friedensabkommen, der Gründung der AHV oder der Einführung der Zauberformel schrittweise ein System der korporativen Interessen durchsetzte. Geschah dies wegen der wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber? Hatte es etwas mit dem nationalen Konsens der Geistigen Landesverteidigung zu tun? Oder war das eine vorbeugende Massnahme, um der Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen? Und schliesslich wäre es für die Arbeit ein Gewinn gewesen, wenn noch einige weitreichendere theoretische Überlegungen darüber angestellt worden wären, welche Rolle die politische Kommunikation in einer Gesellschaft spielt, in der die sozialen Milieus mehr und mehr durch eine mediatisierte Öffentlichkeit abgelöst wurden. Trotz dieser Einwände stellt die Studie von Werner eine umfassende Abhandlung zu den politischen Haltungen und den personellen Netzwerken der verschiedenen bürgerlichen Interessengruppen in der Schweiz zwischen 1928 und 1947 dar. Schade ist aber, dass die Arbeit oft recht langatmig geschrieben ist und der rote Faden der Argumentation auf Grund der grossen Menge von untersuchten Quellen oft verloren geht - ein Grundübel vieler historischer Studien. Dabei böten sich gerade bei diesem Thema viele Ansatzpunkte, ein spannendes, lesenswertes und gleichzeitig wissenschaftlich fundiertes Buch zu schreiben. So liessen sich zum Beispiel in der Figur des Trumpf Buur-Gründers Robert Eibel biografische Ansätze ideal mit struktur- und mentalitätshistorischen Zugängen verbinden, ein Versuch, der leider von Werner nur ansatzweise verfolgt wird. Dies ist umso bedauerlicher, als das Thema der Arbeit äusserst aktuell ist. Der Autor verweist explizit auf die Parallelen zwischen dem Manchesterliberalismus der 1930er-Jahre und dem Neoliberalismus der Gegenwart. Man würde dem Buch deshalb einen Leserkreis wünschen, der etwas grösser ist als die paar Dutzend Spezialisten, die sich solche Dissertationen normalerweise zu Gemüte führen. Christof Dejung (Zürich) traverse - Zeitschrift für Geschichte - Revue d'histoire 2001 / 03