Gegen den Sozialismus - und gegen Liberale
Rechtsbürgerliche Erneuerungsideen zwischen 1928 und 1947
Ausgerechnet seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums finden
rechtsbürgerliche Ideen bei manchen Wählerinnen und Wählern vermehrt
Anklang. Rechtsbürgerliche Politik legitimiert ihre Haltung mit einem Kampf
auf Leben und Tod gegen «Sozialismus», der in ihrem Sprachgebrauch je nach
Bedarf für Kommunismus, Etatismus und auch für Sozialdemokratie verwendet
wird. Eine «sozialistische» Gefahr lauert für die Rechtsbürgerlichen auch
nach dem Ende des Kalten Krieges überall. Linkskonservative, die es
interessanterweise heute ebenfalls gibt, verdächtigen in der politischen
Auseinandersetzung nicht nur in der Schweiz die Rechtskonservativen der Nähe
zu faschistischem Gedankengut. Umso brennender ist für den
unvoreingenommenen Zeitgenossen die Frage, ob dieser Verdacht berechtigt
ist. Die differenziert beurteilende, sachlich darstellende und trotzdem
leicht lesbare Dissertation von Christian Werner über die zwischen 1928 und
1947 in der Deutschschweiz als Erneuerungsbewegungen entstandenen und
wirkenden bürgerlichen Interessenverbände kann auf diese Frage historische
Antworten geben.
Orientierung an der Vergangenheit
Die Beweggründe der rechtsbürgerlichen Interessenverbände liegen in den
Verhältnissen am Ende des Ersten Weltkrieges. Es brachte Europa zwar
zunächst einen durch den Völkerbund abgesicherten Frieden und den meisten
Ländern eine republikanische und demokratische Verfassung. Aber diese
liberalen Errungenschaften wurden mit dem gleichzeitigen Sieg der
Bolschewisten in Russland durch eine kleine, in der III. Internationale
organisierte klassenkämpferische Linke bedroht, die überall die Diktatur
des Proletariates errichten wollte. In der Schweiz fielen der Landesstreik,
der als Ausläufer des Bolschewismus verstanden wurde, und die Einführung des
Proporzes für den Nationalrat zufällig zeitlich zusammen. Letztere brachte
das Ende der eindeutigen Machtverhältnisse im Bund, die seit 1848 durch eine
freisinnige Mehrheit gegeben waren.
Die im politischen Liberalismus verwurzelten Persönlichkeiten und Kreise
richteten ihre Kräfte fortan darauf aus, den nunmehr eröffneten Wettbewerb
der Ideen gegen links und später auch gegen rechts im Rahmen der bestehenden
Ordnung zu gewinnen. Konservative aller Schattierungen sahen hingegen in
eben den liberalen Prinzipien die Wurzel aller Übel und im Ständestaat der
Zeit vor 1789 das Mittel zu deren Überwindung. Sie verstanden sich fortan
als Bürgerliche. Christian Werner definiert deren Identität wie folgt: «Für
das Verständnis der neuen, korporatistisch organisierten, institutionellen
Realitäten ist der Begriff Ðbürgerlichð ein Codewort für konservative
Kräfte, die eine Stabilität und einen Zustand anstrebten, der mit dem
Vorkriegseuropa verbunden war. Die alten Eliten und die bürgerlichen Führer
fühlten sich von den gleichen Kräften und Gruppen bedroht: Hauptfeind waren
die Sozialisten.»
Organisationen für Korporatismus
Der Sieg Mussolinis 1922 in Italien gab diesen Kreisen Auftrieb, obwohl die
meisten Rechtskonservativen den autoritären Ständestaat der italienischen
Faschisten ablehnten und ein korporativ- pluralistisches System der
Interessenvermittlung anstreben. Vertreter korporativ-konservativer
bürgerlicher Ideale bildeten seit Mitte der zwanziger Jahre Pressure-Groups,
mit denen sie dieses Ziel durch Einflussnahme auf Parteien, Parlament und
Behörden zu erreichen trachteten. Christian Werner hat die interessante
Geschichte der wichtigsten rechtsbürgerlichen Interessenverbände im
Zeitraum von 1928 bis 1947 untersucht: die der Schweizerischen Vereinigung
für Wirtschaftliche Solidarität, des Bundes für Volk und Heimat, der
Aktionsgemeinschaft Nationaler Wiederaufbau (Redressement national), des
Bundes der Subventionslosen, des Gotthard-Bundes und schliesslich der
Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft. Von ihnen
bestehen bis heute das Redressement national und die «Wirtschaftsförderung»
(fusioniert mit dem Vorort) weiter.
Unscharfe Abgrenzung
Obwohl vielen Rechtsbürgerlichen ein umfassend verstandener Liberalismus
angesichts des Modernisierungsschubs in den zwanziger Jahren und
anschliessend der Weltwirtschaftskrise als Büchse der Pandora erschien, ist
auch bei ihnen gelegentlich von Liberalismus die Rede. Sie reduzierten
diesen aber auf einen manchesterlichen Wirtschaftsliberalismus. Eine Nähe
zum Nationalsozialismus haben die Exponenten der genannten Organisationen
nach dem Zweiten Weltkrieg stets von sich gewiesen. Offensichtlich gibt es
in den von Christian Werner untersuchten Quellen tatsächlich keine Hinweise
auf eine direkte Zusammenarbeit mit nationalsozialistischen Kreisen in der
Schweiz und in Deutschland. Der Autor weist aber nach, dass manche
Exponenten und Mitläufer der untersuchten Vereinigungen im
nationalsozialistischen Gedankengut auch positive Ansätze zur Lösung der
damaligen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme
fanden und in ihrem Erneuerungseifer vor einer informellen, auch engen
Zusammenarbeit mit frontistischen Kreisen und Personen nicht
zurückschreckten. Zweideutig war auch ihre Haltung in der sogenannten
«Judenfrage». Angesichts solch ideologischer Unschärfe überrascht es nicht,
dass erste Entwürfe zur «Eingabe der Zweihundert», welche die Schweizer
Presse gegenüber Hitler-Deutschland zu einer Gesinnungsneutralität
verpflichten wollte, von diesen Kreisen ausgegangen sind.
Die Karriere Robert Eibels
Der Autor hat den Geist des militanten organisierten Bürgertums mit einem
Kurzporträt von Robert Eibel anschaulich gemacht, der Sekretär der
Stadtzürcher FDP war, als diese im Herbst 1933 eine Listenverbindung mit der
Nationalen Front einging, und 1940 zum Mitverfasser eines ersten Entwurfes
der «Eingabe der Zweihundert» bestimmt wurde. Im einen wie im andern Fall
war er nicht der Hauptverantwortliche. 1936 wurde Eibel zum Sekretär des ein
Jahr zuvor gegründeten Redressement national gewählt, 1939/40 war er
Kanzleichef im persönlichen Stab von General Guisan, 1941 Initiant und
geistiger Vater der «Wirtschaftsförderung», bei der er zwischen 1942 und
1946 als Mitarbeiter tätig war. Eibel ist auch nach dem Krieg ein
bürgerlicher Eiferer geblieben. Als selbständiger Wirtschaftsberater
gründete er 1947 die Aktion für freie Meinungsbildung, die als Trägerin der
«Trumpf Buur»-Inserate das rechtsbürgerliche Gedankengut der
Zwischenkriegs- und Kriegszeit bis weit in die Nachkriegszeit hinein trug.
Von 1963 bis 1975 vertrat er die ihm nahestehenden Kreise des Zürcher
Freisinns als Nationalrat in Bern. Sein erstes und dieses letzte FDP-Mandat
machen deutlich, dass rechtsbürgerliches Gedankengut stets auch in
freisinnigen Kreisen beheimatet war. In den bedrohlichsten Jahren des
Kalten Krieges zwischen 1948 und 1968 deckte sich dieser bürgerliche
Antisozialismus teilweise mit dem Antikommunismus, wie ihn damals alle
demokratischen Parteien und Kreise vertraten, so dass seine fragwürdigen
Komponenten etwas in Vergessenheit gerieten.
Nach der Lektüre der Dissertation von Christian Werner wird deutlich, dass
viele konzeptionelle und inhaltliche Ideen der heutigen
rechtspopulistischen Konservativen den Anliegen der bürgerlichen
Erneuerungsbewegungen der Zwischenkriegs- und Kriegszeit sehr ähnlich sind.
Der Verfasser stellt fest: «Besonders auffallend ist die Ähnlichkeit der
Kommunikationsmassnahmen und vor allem auch -formen der rechtsbürgerlichen
Protagonisten von gestern und heute.» Werners aufschlussreiches Buch macht
die Problematik der Abgrenzung rechtsbürgerlicher Politik gegenüber einer
nicht mehr demokratischen Rechten in der Vergangenheit deutlich und schärft
den Blick für die Aktualität. Gerade deshalb möchte man sich wünschen, dass
auch die Problematik der Abgrenzung der schweizerischen Linken gegenüber
dem von Moskau gelenkten internationalen Kommunismus in gleich objektiver
Weise mehr als bisher wissenschaftlich untersucht wird.
Katharina Bretscher-Spindler
Christian Werner: Für Wirtschaft und Vaterland. Erneuerungsbewegungen und
bürgerliche Interessengruppen 1928-47. Chronos-Verlag, Zürich 2000. 440 S.,
Fr. 68.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR 25.09.2000 NR. 223 33