Die Schweiz als Basis
deutscher Sozialisten
Die Emigration 1933-1940
Als 1933 die Diktatur über Deutschland hereinbrach, sahen die meisten dortigen Sozialdemokraten, die oft noch im 19. Jahrhundert wurzelten, in der Schweiz ein gegebenes Exilland und Wirkungsfeld. Sie verkannten bei dieser Erwartung nicht nur die akute Wirtschaftskrise, sondern auch die ideologische Veränderung, die seit Weltkrieg, Generalstreik und Revolutionsgefahr eine Rechtswendung ausgelöst hatte. Die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung wie auch der - direkt oder indirekt durch sie gewählten - Behörden (von sozialdemokratisch regierten Städten wie Basel und Zürich abgesehen) hielt sich in ziemlich engen Grenzen.
Hermann Wichers geht nun der Emigration und den Aktivitäten dieser «sozialistischen» Immigration (die auch Kommunisten und linke Splittergruppen einschliesst) in einer reich dokumentierten Untersuchung, die sich neben schweizerischen auch auf deutsche und holländische Archivalien abstützt, bis zur Anfangszeit des Zweiten Weltkrieges nach. Im Rahmen dieser Thematik liegt auch die schweizerische Flüchtlingspolitik generell, die je nach Kanton oder massgebenden Persönlichkeiten (auch nach Einflussnahme sozialdemokratischer Politiker) sich zwischen abweisender Härte und begrenzter Toleranz bewegte, in Einzelfällen aber sogar mit deutschen Instanzen kooperierte. Verschärfend wirkten dabei Organisationen wie der Vaterländische Verband und die von Bundesrat Musy protegierte Schweizerische Aktion gegen den Kommunismus. Ein gewisses Gegengewicht bot die durch die KZ-Nachrichten aus Deutschland und dann durch den Spanischen Bürgerkrieg aktivierte Solidarität der Arbeiterklasse, die sich - auch wenn die SPS nicht in der Landesregierung vertreten war - über parlamentarische und andere Kanäle Geltung verschaffte. Dank dem Verleger Oprecht konnte zudem eine beachtliche publizistische Wirkung (von Wolfgang Langhoffs
«Moorsoldaten» bis zu Otto Brauns Memoiren) erzielt werden.
Ausführlich widmet sich der Autor den antinazistischen Bestrebungen der Emigranten: dem «KPD-Grenzstützpunkt Schweiz», der von Moskau (sogar einmal von Ulbricht persönlich) kontrolliert war und dann von der «Abschnittsleitung Süd der KPD» abgelöst wurde, den Aktivitäten der SPD, deren Parteivermögen zeitweise in Zürich untergebracht und dann nach London transferiert wurde, der Gruppe um «Neu Beginnen», der sehr rührigen Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, und dem Sozialistischen Kampfbund. Mehr als ein «Widerstand auf kleiner Flamme» schaute dabei freilich, allen gegen das Reich gerichteten Infiltrationsversuchen zum Trotz, nicht heraus, da die Bevölkerung Deutschlands sich weitgehend mit der NS-Diktatur abgefunden hatte, so dass die Geflüchteten schliesslich froh sein mussten, in provisorischer, jederzeit widerrufbarer Sicherheit eine bessere Zukunft abwarten zu können. Innenpolitische Nachwirkungen zeitigt die damalige Flüchtlingspolitik aber bis heute, indem sie auch in völlig veränderter Situation von Befürwortern einer möglichst unbegrenzten Einwanderung immer wieder als dunkle Folie warnend in Erinnerung gerufen wird.
Peter Stadler
Hermann Wichers: Im Kampf gegen Hitler. Deutsche Sozialisten im Schweizer
Exil 1933-1940. Chronos-Verlag, Zürich 1994. 428 S., Fr. 48.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE BÜCHER 03.01.1995 Nr. 1 7
«Hermann Wichers geht der Emigration und den Aktivitäten der Ðsozialistischenð Immigration in einer reich dokumentierten Untersuchung, die sich neben schweizerischen auch auf deutsche und holländische Archivalien abstützt, bis zur Anfangszeit des Zweiten Weltkrieges nach.»
Neue Zürcher Zeitung