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Die Zürcher Fabriques
Protoindustrielles Wachstum vom 16. zum 18. Jahrhundert
Broschur
1992. 590 Seiten
ISBN 978-3-905278-97-2
CHF 90.00 / EUR 50.50 
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Seit dem späten 16. Jahrhundert wurden im Kanton Zürich Textilien für deutsche, französische und italienische Abnehmer hergestellt. Frauen, Kinder und Männer in ländlichen Haushalten, Arbeiterinnen und Arbeiter in zentralen Manufakturen der Stadt wie auch Grosskaufleute waren mit der Produktion befasst. Dieses ganze System wurde von den Zeitgenossen als fabriques bezeichnet Dessen Entstehungsbedingungen und Entwicklungsdynamik werden hier aus dem Gesichtswinkel einer spezifisch protoindustriellen Form des Wirtschaftswachstums untersucht. Damit wird auf eine Untersuchung der Voraussetzungen und Funktionsprobleme eines langfristigen Wirtschaftswachstums mit weitgehend fehlendem technischem Wandel abgezielt.
Das Buch leistet einen Beitrag zum theoretischen Verständnis der europäischen Industrie vor der Mechanisierung. Durch die Auswertung von bisher nicht berücksichtigtem Quellenmaterial gelangt es darüber hinaus vielfach zu neuen Ergebnissen. Schliesslich enthält die Arbeit in den Bereichen der gewerblichen Entwicklung, der Strukturen politischer Macht, der ländlichen Hauswirtschaft und der Landwirtschaft dichtes Material zu einer grösseren Region des schweizerischen Ancien régime.

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Pressestimmen
ULRICH PFISTER DIE ZÜRCHER FABRIQUES PROTOINDUSTRIELLES WACHSTUM VOM 16. BIS ZUM 18. JAHRHUNDERT CHRONOS VERLAG, ZÜRICH 1992, 590 S., FR. 90.- Als 1979 eine zweite Auflage von «Industrialisierung und Volksleben» erschien, schrieb Rudolf Braun mit einem für ihn nicht untypischen Understatement im Vorwort, im Vergleich zu den gerade damals um sich greifenden Forschungen zum Problemkreis der Proto-Industrialisierung scheine ihm sein Buch «eher zu der Gattung ’Heimatroman' zu gehören (mit dem Titelvermerk ’in grosser Schrift', damit es auch Rentner kaufen)». Jetzt, 32 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen von «Industrialisierung und Volksleben» hat mit dem hier anzuzeigenden Buch von Ulrich Pfister Brauns inzwischen zu Berühmtheit gelangter «Erstling» für die von ihm behandelte Region ein Gegenstück gefunden. Der Gegensatz, den Braun 1979 konstatierte, ist jetzt eher noch grösser: dort eine einfühlsame volkskundliche, ja ethnographische Studie, hier eine analytisch zupackende, mit grossem statistischen Aufwand betriebene, der Neoklassik verpflichtete Untersuchung. Wie der Titel anzeigt, versteht sich das Buch von Pfister als Beitrag zur Proto-Industrialisierungsdebatte, und es besteht kein Zweifel, dass es künftig einer der Marksteine im Rahmen dieser Debatte sein wird. Das Konzept, das der Verfasser dabei zugrunde legt, schliesst sich zwar an die bislang vorgelegten in vielerlei Hinsicht an, doch wird es in eine bestimmte, durch die Wachstumstheorie Harrod-Domarscher Provenienz vorgegebene Richtung erweitert. Proto-Industrialisierung, definiert als «Wachstum bei konstanter Arbeits- und Kapitalproduktivität», war nach Pfister an vier Funktionsbedingungen gekoppelt: die «kontinuierliche Zunahme des Arbeitseinsatzes», die «kontinuierliche Zunahme des Kapitaleinsatzes», die «Protektion eines kontinuierlich wachsenden Exportmarktes» und die «Zunahme von Nahrungsmitteleinfuhren zu konstanten Preisen». Interessant ist an diesem Konzeptualisierungsversuch insbesondere die Thematisierung der Protektion von Aussenmärkten, aber auch des Binnenbereichs als eines neben Arbeit und Kapital weiteren «Produktionsfaktors», der in einer positiven Einflussbeziehung zum gewerblichen Wachstum der betreffenden Region stand. Nicht zu leugnen ist die Stringenz des hier vorgelegten Ansatzes. Sie wird freilich durch eine Einengung auf das Ökonomische erkauft. Im Lauf der Untersuchung finden zwar sozialgeschichtliche Vorgänge und Zusammenhänge den ihnen gebührenden Ort - für kulturelle Pänomene trifft das weniger zu -, doch bleibt diese Vorentscheidung nicht ganz ohne Folgen, da sie den Argumentationsduktus vorgibt. Dieser wird daneben nicht unwesentlich dadurch geprägt, dass der Verfasser versucht, den Defiziten des von ihm gewählten Makroansatzes - im Vergleich zu einer Mikroanalyse - mit Hilfe von statistischen Methoden beizukommen. Zunächst jedoch zum Aufbau des Buches. Auf die Einleitung, in der das Konzept expliziert wird, folgt ein grosses, ausserordentlich materialreiches Kapitel, in dem die drei Wachstumsphasen der zürcherischen Textilproduktion und deren räumliche Ausbreitung - bis in die benachbarten Gebiete - dargestellt werden. Für die erste Phase (1560-1640) waren einfache Endprodukte und Halbfabrikate kennzeichnend. Die zweite Phase (ca. 1660-1740) fand ihre Basis in neuen Produkten und einer korporatistischen Organisation der Kaufmannschaft, während sich in der dritten Phase (zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts), gestützt auf die Produktion höherwertiger Artikel, Ansätze zu einem intensiven Wirtschaftswachstum ergaben. Das anschliessende Kapitel gilt den städtischen Kaufleuten und den ländlichen Verlegern sowie dem politischen Umfeld, in dem sie sich bewegten und auf das sie einzuwirken versuchten. Hier wird auch das Problem der Protektion - nach aussen als Sicherung von Absatzmärkten im Rahmen der eidgenössischen Aussenpolitik, nach innen als staatliche Intervention im Bereich der Produktionsverhältnisse - erörtert. Das Herzstück des Buches ist zweifellos das grosse Kapitel über «Heimarbeit in der ländlichen Familienwirtschaft». Mit diesem stehen die beiden folgenden Kapitel über Landwirtschaft und Demographie in engem Zusammenhang. Im Schlusskapitel werden die einzelnen Fäden noch einmal aufgenommen, um ein Gesamtbild der Proto-Industrialisierung im Kanton Zürich zu entwerfen (vgl. das Schema auf S. 503). Der Reichtum an Perspektiven, den die drei zentralen Kapitel über Heimarbeit, Landwirtschaft und Demographie eröffnen, kann nicht genug betont werden. Umso stärker fällt freilich ein grundsätzliches Problem ins Auge. Das Modell der proto-industriellen Familienökonomie, das Pfister, die Worte Hans Rudolf Maurers «In diesen Dorfschaften gilt bald keine andere Überlegung als die, welche Arbeit rentiert wöchentlich das meiste?» (1794) als Motto wählend, entwirft, geht, ohne dass dies näher begründet würde, von der neoklassischen Annahme aus, dass die Einzelhaushalte eine Optimierungsstrategie verfolgten. Ausnahmen von dieser Grundannahme werden nur für zwei Grenzfälle zugelassen: die dörfliche Oberschicht und die marginalisierte Unterschicht. Von jener wird angenommen, dass ihr Bedarf an Statuskonsum gesättigt war, von dieser, dass entweder eine generell niedrige Arbeitsproduktivität einen niedrigen Arbeitseinsatz zur Folge hatte oder dass fehlende Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, insbesondere zum Erwerb von Land, keinen Raum für eine Optimierungsstrategie liessen; nur in diesen Fällen könne man davon ausgehen, dass der Statuskonsum gegenüber dem Erwerb von Grund und Boden oder von Arbeitsgeräten die Oberhand gewann. Nun soll hier nicht geleugnet werden, dass es Haushalte gegeben hat, bei denen sich eine Optimierungsstrategie, fassbar in einer intragenerationellen Aufstiegsmobilität (vom Hausindustriellen mit nur wenig Land zum Tauner oder Bauern), nachweisen lässt. Fraglich scheint es jedoch dem Rezensenten, ob man den Haushalten grundsätzlich eine solche Strategie unterstellen darf und ob man die Ursachen für ihr Fehlen oder ihr Vorhandensein allein an ökonomischen Daten festmachen sollte. Die Perspektive müsste vielmehr umgekehrt werden: Zu fragen wäre zu allererst, welche Faktoren dazu beigetragen haben, dass sich Haushalte aus der Einbindung in einen subsistenzwirtschaftlichen Zusammenhang lösen konnten. Daran war mit Sicherheit eine Vielzahl von Faktoren beteiligt; zu ihnen gehörten nicht nur ökonomische, sondern nicht zuletzt auch soziokulturelle und solche der sozialen Praxis. Lässt man sich auf eine solche Perspektive ein, erscheint auch das, was Pfister als «subkulturelle Differenzierung» bezeichnet, in einem etwas anderen Licht. Es ist nicht primär Ausfluss eines abweichenden Verhaltens, im Gefolge des Bruchs der proto-industriellen Unterschicht mit den dörflichen Status- und Konsumnormen, sondern es verweist auf eine der Möglichkeiten, mit der Auflösung der subsistenzwirtschaftlichen Einheit von Produktion und Konsum umzugehen. Von den Ergebnissen, die die beiden Kapitel über Landwirtschaft und Demographie bringen, können hier nur wenige summarisch genannt werden, so die sich im Verlauf der frühen Neuzeit vertiefende Komplementarität zwischen den nördlichen Alpen und dem nördlichen Alpenvorland einerseits und den Getreideüberschussgebieten am Hochrhein und am Bodensee andererseits, der Zusammenhang zwischen einem niedrigen Grenzprodukt landwirtschaftlicher Arbeit und dem Aufstieg der Proto-Industrialisierung und die Rolle der Abgabenbelastung. Was die Demographie anlangt, kann Pfister auf der Basis eines von F. Mendels entwickelten Verfahrens zeigen, dass sich eine proto-industrielle Bevölkerungsweise erst in der dritten Wachstumsphase durchzusetzen begann und hier auch allein dort, wo die Tätigkeit in der Hausindustrie, wie in der Baumwollspinnerei, nur geringe Investitionen zur Voraussetzung hatte. Schon diese wenigen Hinweise mögen genügen, um zu zeigen, dass hier ein in jeder Hinsicht grundlegendes Buch vorliegt. Die oben geäusserte Kritik sollte das in keiner Weise verdunkeln. Peter Kriedte (Göttingen) Traverse 1994/1 (164-166)