Kommunikationskontrolle in Zürich
Der windungsreiche Weg zur Pressefreiheit
Nicht nur totalitäre, auch patriarchalisch autoritäre oder demokratisch
etikettierte Regime glaubten und glauben, ohne Zensur nicht auskommen zu
können. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts griff mit der fortschreitenden
Alphabetisierung und der Herausbildung einer öffentlichen Meinung auch jene
Verknüpfung von «Kritik und Krise» (Koselleck) um sich, die sich in einer
Vervielfältigung der damaligen Medien artikulierte, welche die Besorgnis der
Obrigkeiten mobilisierte. Das geschah zu einer Zeit, da der Absolutismus
sich im Zeichen der Aufklärung zu lockern begann. Der Prozess der
Liberalisierung verlief freilich nicht geradlinig, sondern unter
Rückschlägen - wie es dem Willen wechselnder Obrigkeiten entsprach. In
Frankreich zum Beispiel wurde die Pressefreiheit 1789 geradezu exemplarisch
verwirklicht, fiel aber schon 1792 der neuerrichteten Republik und ihrer
terreur zum Opfer.
Die Schweiz und der Kanton Zürich geben gleichsam ein zeitlich verkürztes
und konzentriertes Abbild dieser Entwicklung. In einer gewichtigen
Monographie, «Zensur und Pressefreiheit», widmet sich Christoph Guggenbühl
der «Kommunikationskontrolle in Zürich an der Wende zum 19. Jahrhundert»,
wobei er einerseits tief ins Ancien Régime zurückgreift, anderseits bis
gegen 1848 vorstösst. Die Normen altzürcherischer Zensur waren noch stark
theologisch geprägt, die Verantwortlichen der «Censur-Kammer» Inhaber von
geistlichen oder politischen Spitzenpositionen, die ihr Amt oft über
Jahrzehnte wahrnahmen, was zwangsläufig zu einer Symbiose von Staatskunst
und Konfession im Sinne göttlicher Herrschaftslegitimation führte. Die
Infragestellung dieses Zustandes kam von aussen wie von innen her, da die
Zensur zwar die wenigen Zeitungen und Zeitschriften zur Not noch
kontrollieren konnte - mit dem Ergebnis, dass der Leser sich über
Weltereignisse weit besser zu informieren vermochte als über das strikt
abgeschottete Geschehen im eigenen Lande. Der wachsenden Bücherflut
gegenüber erwiesen sich die zumeist älteren Herren jedoch immer mehr als
hilflos.
Die Umwälzung von 1798 zeigt dann plötzlich jene Dialektik, den Umschlag von
der Pressefreiheit zur Hilflosigkeit angesichts der neuen
Herausforderungen von populistischem Pluralismus und rasch reagierender
Reaktion. Die Repression manifestiert sich in der Nachzensur und rein
optisch in Form von Zensurlücken, die ihrerseits «als Projektionsflächen der
Leserphantasien» die Opposition mobilisieren. Wenn der Verfasser für das
Scheitern der Helvetik «Diffamierungskampagnen» als Teil von
Widerstandsaktionen der alten «schreib- und diskursgewandten Eliten»
verantwortlich macht, so wird damit - abgesehen von der Tatsache, dass auch
die Helvetiker durchaus schreibgewandte Talente aufwiesen (man denke nur an
Pestalozzi) - ein Feindbild aufgebaut, das Elemente einer Agententheorie
enthält.
Entscheidend war letztlich doch die Hypothek der Fremdherrschaft, welche das
Experiment von 1798 diskreditierte - zumal das Volk auf äusseren Druck sehr
empfindlich reagierte (und bis heute reagiert). Dieser Umstand gereichte
auch der gouvernementalen Publizistik zum Schaden. Demgegenüber fiel die
Wiederherstellung der Zensur unter der Vermittlungsakte (mit dem
entsprechenden Gesetz von 1805) weniger schwer ins Gewicht als etwa die
Zehntenfrage mit ihren Ungerechtigkeiten zwischen Stadt und Land.
Der Einschnitt von 1814/15 war dann nur noch eine Formsache, wobei
allerdings die Zensuren der Mediation und der Restauration sich dadurch
von denen des Ancien Régime unterschieden, dass die Institution
säkularisiert und damit auch modernisiert wurde. Im weiteren liessen sich
die massgebenden Druckereien indirekt durch rotierende staatliche Aufträge
bei der Stange halten und zur Loyalität zwingen. Die permanente Rivalität
zweier Organe - der konservativen (und bis zur Bundesgründung von 1848
auflagenstärksten) «Freitagszeitung» und der liberalen «Zürcher Zeitung»
(ab 1821 NZZ) mit David Bürkli und Paul Usteri als Leitfiguren - trug
ohnehin dem Bedürfnis nach einer gewissen Meinungsvielfalt Rechnung.
Das Presse- und Fremdenkonklusum von 1823 erschien zu Recht als Tribut an
die Mächte der Heiligen Allianz und verstärkte den Druck, leitete ihn aber
in den Augen der öffentlichen Meinung zugleich nach aussen ab. Die
Schwächung des Metternichschen Systems höhlte denn auch das Konklusum aus
und führte bereits 1829 dessen Ende herbei. Dadurch entledigte sich die
Eidgenossenschaft der zensorischen Zwangsjacke und bekannte sich noch vor
dem Durchbruch der Regeneration grundsätzlich zur Pressefreiheit.
Für Zürich, das sich 1829 ein neues Pressegesetz gab, ein entscheidender
Schritt, den Paul Usteri mit einer vielbeachteten Rede über die
Pressefreiheit vorbereitet hatte. Von nun an galt eine Art Selbstzensur, für
die - wie der Verfasser zutreffend feststellt - «eine Kaskadenhaftung von
Verfasser, Verleger und Drucker» massgebend wurde, so dass man auch von
einer Privatisierung der Kontrolle sprechen kann. Der Weg war gebahnt zur
grundgesetzlichen Verankerung der Pressefreiheit in der Kantonsverfassung
von 1831 und zum Artikel 45 der Bundesverfassung von 1848 (bzw. Art. 55
derjenigen von 1874), der allerdings durch seine Missbrauchsbestimmung immer
noch Pforten offenhielt, die in der Folge in manchen (innerschweizerischen)
Kantonen gerne genutzt wurden. Manchen Obrigkeiten fiel es eben schwer, auf
naheliegende Instrumente der Meinungsbildung zu verzichten.
Christoph Guggenbühls Doktorarbeit ist eine wertvolle und archivalisch reich
unterbaute Fallstudie, die zugleich für andere Fälle steht. Sie zeigt, dass
Zürichs Weg zur Pressefreiheit im gesamtschweizerischen oder gar
europäischen Vergleich ein Marsch von mittlerer Länge blieb.
Peter Stadler
Christoph Guggenbühl: Zensur und Pressefreiheit. Kommunikationskontrolle in
Zürich an der Wende zum 19. Jahrhundert. Chronos-Verlag, Zürich 1996.
452 S., Fr. 65.-.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung NEUE BÜCHER 05.03.1997 Nr. 53 77
«Christoph Guggenbühls Doktorarbeit ist eine wertvolle und archivalisch reich unterbaute Fallstudie, die zugleich für andere Fälle steht. Sie zeigt, dass Zürichs Weg zur Pressefreiheit im gesamtschweizerischen oder gar europäischen Vergleich ein Marsch von mittlerer Länge blieb.»
Neue Zürcher Zeitung