Die Jahre der Hochkonjunktur werden häufig als eine ruhige Phase vor den stürmischen 1970er-Jahren dargestellt. Dabei kam es gerade in dieser Zeit zu einem tiefgreifenden Wandel des Alltags, am Arbeitsplatz ebenso wie zu Hause. Die Studie geht diesen Veränderungen nach. Sie fragt danach, wie sich die Arbeits- und Wohnverhältnisse in und um die Badener, Zürcher und Winterthurer Fabriken verändert haben.
Im Siedlungsdreieck zwischen Baden, Zürich und Winterthur spielten die grossen Fabriken der Maschinenindustrie bis vor kurzem eine wichtige Rolle. An ihren Standorten übten die Betriebe eine durchdringende Hegemonie aus. Öffentliche Orte waren sie indes nicht. Von aussen glichen sie einer durch Zäune, Mauern und Tore abgeschlossenen Stadt in der Stadt.
Die sozial- und mikrogeschichtliche Untersuchung wagt einen Blick über die Fabrikmauer. Sie zeigt für den Zeitraum zwischen den 1930er- und den 1960er-Jahren, wie sich die Arbeit bei Brown, Boveri & Cie. (Baden), bei der Maschinenfabrik Oerlikon (Zürich) und bei Gebrüder Sulzer (Winterthur) allmählich veränderte und weshalb in dieser Zeit das sozial- und wohnungspolitische Engagement dieser Unternehmen zunehmend wichtig wurde.
Die hier gestellten Fragen bleiben aktuell. Welche Folgen haben Neuerungen in der Arbeitswelt, wozu führt ein Aus- oder Abbau sozialpolitischer Angebote, welche Rolle spielt der Wohnungsbau? Ein Rückblick auf die vermeintlich stabilen Jahre der Hochkonjunktur lohnt sich.
Der Buchdeckel zeigt ein Foto des Industriefotografen Jakob Tuggener von 1943. Darauf ist eine schwarzgekleidete Frau zu sehen, die auf einer Treppe stehend nach dem Türgriff eines Hintereingangs greift, der sie in ein Backsteingebäude der Maschinenfabrik Oerlikon bringt. Das Sujet macht die Dissertation von Andreas Fasel nicht nur zu einer der schönsten wissenschaftlichen Publikationen des Jahres 2021, es bildet auch sein Erkenntnisinteresse treffend ab. Er wolle, heisst es einleitend, «in die Fabrik einsteigen, um [s]ich ein wenig in ihr umzuschauen» (S. 7). Was auf diese salopp formulierte Ankündigung folgt, ist eine sehr sorgfältig komponierte «Sozialgeschichte der Arbeit» (S. 9), welche die verflochtenen Beziehungen zwischen dem betrieblichen Innern und dem sozialen Aussen, die arrangierten Verhältnisse zwischen Produktionsstätte und erwerbsarbeitsbefreitem Alltag und so letztlich «die sich verflüssigende Grenze zwischen Fabrik und Gesellschaft» (S. 127) untersucht.
«Die Studie bietet einen guten Einblick in wenig bekannte Bereiche der schweizerischen Industriegeschichte. Sie zeigt nicht den Kampf der Gewerkschaften um bessere Arbeitsbedingungen, sondern deren Gestaltung durch die Maschinenindustriellen in zwar nicht formeller, aber weitgehend faktischer Abwesenheit der organisierten Arbeiterschaft. Der Autor konnte sich dabei auf die bisher selten verwendeten und zum Teil noch immer schwer zugänglichen Firmenarchive (Sulzer, S. 14) stützen. Dabei versteht er es, seine konzeptionellen Überlegungen mit empirischen Befunden zu verknüpfen, so dass ein spannender und gut lesbarer Text entstanden ist.»
«Mit viel quellenkritischem ‹Biss› ist es Andreas Fasel gelungen, ein sehr lesenswertes Stück kritischer Arbeitsgeschichte zu schreiben. Es ist ein Verdienst dieser Studie, das ständige Seilziehen zwischen Patrons und Arbeiter*innen sowie die Schichtungen der Belegschaft konsequent im Blick zu behalten. Andreas Fasel zeichnet ein überzeugendes, weil facettenreiches Bild der «Fabrikgesellschaft». Und provoziert bei dem Leser, der Leserin Fragen mit Blick auf die Gegenwart. Denn: Die fliessende Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben ist – wenn auch in veränderter Form – für die gegenwärtige Arbeitsgesellschaft fraglos nach wie vor zentral.»
«Fasel geht in seiner sehr guten Dissertation weiter als die bisher erschienenen Firmengeschichten (beispielsweise von Markus Somm) und fragt nach dem Verhältnis zwischen Rationalisierung und Sozialpolitik in den Jahrzehnten der Hochkonjunktur. […]
Andreas Fasel verwendet eine Vielzahl von Quellen, um seine Darstellung empirisch zu unterfüttern, Akten ebenso wie gedruckte Quellen wie die Werkzeitungen, die ihrerseits der Kommunikation der Rationalisierungsmaßnahmen dienten.»