Der Zürcher Mediziner und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer war gut vernetzt und korrespondierte mit zahlreichen Gelehrten aus der Schweiz und Europa. Neuere Forschungen über Wissenschaft und Wissenschaftler in der Frühen Neuzeit richten den Fokus auf die Briefwechsel unter den Mitgliedern der «Gelehrtenrepublik», denn Korrespondenz spielte in der Wissensproduktion eine wichtige Rolle. Diese Studie untersucht Scheuchzers soziales Netz unterhalb der Schwelle der Gelehrtenrepublik und schliesst damit eine Forschungslücke.
Frühneuzeitliche Naturforschung war häufig ein Familienprojekt, zahlreiche Helfer waren daran beteiligt. Die Autorin beleuchtet den wissenschaftlichen Beitrag von Susanna Vogel, der Ehefrau Scheuchzers, den gemeinsamen Söhnen, dem jüngeren Bruder Johannes und drei Schülern, die ihr Lehrjahr bei Scheuchzer in Zürich verbrachten. Sie zeigt Scheuchzers Einbettung in Zürcher Institutionen auf – er war Kurator der Bürgerbibliothek und Kunstkammer, Mathematiklehrer am Collegium Carolinum und aktives Mitglied der Akademie Collegium der Wohlgesinnten – und erläutert die Bedeutung dieser Orte des Wissens für seine Forschung. Schliesslich widmet sie sich der naturgeschichtlichen Mitarbeit von «Ungelehrten» wie Jägern oder Bauern, mit denen Scheuchzer auf seinen zwischen 1694 und 1711 unternommenen wissenschaftlichen Bergreisen zusammentraf. Durch den Einbezug bislang kaum untersuchter Quellen gewährt die Studie einen neuen Blick auf die verborgenen Mechanismen der Wissensgenerierung in der frühneuzeitlichen Naturforschung.
«Ein häufig geübtes Verfahren, eine wissenschaftliche Arbeit zu nobilitieren, ist es, ihr zu attestieren, sie habe Forschungslücken geschlossen. Weniger häufig wird dieser Anspruch tatsächlich eingelöst. Dunja Bulinsky hat solche Lücken auch dadurch geschlossen, dass sie die ‹ungelehrten› Helfer, die zu Scheuchzers immensem Werk beitragen haben, in ihre Untersuchung mit einbezogen hat. Jäger, Bauern, Bergleute, Wirte und nicht akademisch vorgebildete Mineralien- und Fossiliensammler, die selten oder nie erwähnt werden, aber teilweise namentlich bekannt sind, waren durch ihre Informationen und Fundstücke eine nicht zu unterschätzende Quelle für den ordnenden und systematisierenden Polyhistor. Ihnen und ihren Beiträgen hat die Autorin ihr letztes Kapitel (155-170) gewidmet.»
«Bulinsky liefert mit der vorliegenden Monografie dennoch eine überzeugende Studie zum Einfluss verschiedener Personengruppen auf Scheuchzers Gesamtwerk. Insbesondere ihre Darstellung der frühneuzeitlichen Naturforschung als kollaboratives Unternehmen ist ein Konzept, welches sich sicherlich auf zahlreiche weitere Gelehrte und vor allem die in ihrem Umkreis wirkenden Akteure anwenden lässt.»
«Johann Jakob Scheuchzer, Zürcher Mediziner und Naturforscher, versammelte in seinem Werk das Wissen seiner Zeit und versucht es in Einklang mit der Bibel zu bringen. Das heute schräg anmutende, aber hochspannende Unterfangen des Universalgelehrten entstand in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus ganz Europa, aber auch mit Unterstützung seiner Familie. Namentlich seine Frau, Susanna Vogel, leitete nicht nur den Haushalt, in dem Forscher und Studierende ein- und ausgingen, sondern beteiligte sich an den Forschungsarbeiten. Das Buch zeigt, wie es in einem solchen Haushalt zu- und herging und macht deutlich, dass neues Wissen schon damals nicht im Alleingang und in der stillen Studierstube zu generieren war.»
«Bulinskys gut zu lesende Arbeit [ist] eine wichtige Ergänzung der Forschungslandschaft zu Scheuchzer, die sich eines in der Forschung bislang unterrepräsentierten Themas annimmt.»
«Bulinskys Studie vermittelt eine selten umfassende Vorstellung der konkreten sozialen Umfelder und Beziehungsformen, die noch im 18. Jahrhundert den Rahmen für alltägliche Wissenschaftsarbeit abgaben. Sie liefert wertvolle Erkenntnisse zur Scheuchzers Wirken und stellt eine willkommene Ergänzung bereits zu seiner Person vorliegenden Ergebnisse und Perspektiven dar. […] Insgesamt leistet die Autorin einen fundierten Beitrag nicht nur zur Schweizer Wissenschaftsgeschichte und bietet darüber anregende und aufschlussreiche Lektüren für an Praktiken und Beziehungen interessierte Wissenschaftshistoriker:innen wie für Studierende und nicht zuletzt auch die wissensgeschichtlich interessierte breitere Leserschaft.»