Krötenarie

Als Liechtenstein reich wurde

Ein Lesestück

Originalfassung in Mundart mit einer Übertragung aus dem Liechtensteinischen von Jens Dittmar

Leinen
2018. 505 Seiten
ISBN 978-3-0340-1477-9
CHF 38.00 / EUR 38.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • In den Medien
  • Downloads

Paul und Paula hätten gern ein Auto. Ossi wittert Geschäftsmöglichkeiten. Theres vertraut darauf, dass die Gottesmutter den Kommunismus zertreten wird. Das ist Liechtenstein in den Fünzigerjahren: die Mentalität bäuerlich, die Verhältnisse bescheiden, die Weltsicht streng katholisch. Und doch zieht ein Duft durch das Land, ein Duft von Welt und fremdem Geld. Betört stürzt man sich kopfüber in das Abenteuer, ohne Vorbereitung und über Nacht reich zu werden – sehr reich.

Das Lesestück «Krötenarie», 2015 uraufgeführt, erzählt in szenischer Form die Adoleszenz des Finanzplatzes Liechtenstein, das Vierteljahrhundert zwischen 1950 und 1975, das Land und Leute von Grund auf verändern wird. Die Eckdaten sind mit Bedacht gewählt: 1950 ist der Staat Liechtenstein nicht mehr den Verwerfungen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zugekehrt, sondern sucht im Rahmen einer zweiten Industrialisierung den Strukturwandel von der Agrargesellschaft zum Werkplatz – ohne zu ahnen, dass ungeplant und parallel dazu ein finanzieller Dienstleistungssektor beinahe aus dem Nichts entstehen wird.

Der Tages Anzeiger schrieb zur Uraufführung: «Schonungslos direkt und grausam unterhaltend».

 

* 1962 in Zürich, freischaffender Autor in Liechtenstein. Seine literarischen Arbeiten beschäftigen sich in essayistischer, szenischer oder erzählerischer Form mit den mentalitätsgeschichtlichen und politischen Themen Liechtensteins, das als ehemalige Steueroase und neu erstarkte Monarchie nie ganz in Europa anzukommen scheint – auch wenn es mittendrin sitzt.

Pressestimmen

«Sprenger unternimmt es, die Jahre 1950 bis 1975, die Zeit, als aus dem armen Agrarstaat Liechtenstein die reiche Steueroase wurde, zu einem Mosaik aus etwa 90 Szenen zu gestalten. Sein Ansatz ist erklärterweise das Panorama; in seinem wörtlichen Sinn: das Ganze sehen. Die Szenen sind zwar chronologisch, aber ‹als Mosaiksteine in den Mörtel der jeweiligen Jahrzehnte gesetzt, scharf gegeneinander abgegrenzt, unter zeitgeschichtlicher, durchaus auch trüber Glasur› (Stefan Sprenger). Mit zuweilen filigranen, manchmal auch eher grobflächigen Partien – um im Bild des Mosaiks zu bleiben – breitet der Autor eine Welt aus, in der vieles von dem angelegt ist, was bis in die Gegenwart wirkt.»

«Was beim Lesen der ersten Szenen noch an ein Wimmelbild gemahnt, verdichtet sich kontinuierlich und gerät im Verlauf der drei Akte zu nichts weniger als einem prallen Sittenbild beziehungsweise – aus anderem Blickwinkel – zu einem scharfkantigen Brocken Mentalitätsgeschichte. Sehr anschaulich wird vermittelt, wie sich während des industriellen Aufschwungs nach dem Krieg und des damit verbundenen Strukturwandels unversehens der finanzielle Dienstleistungssektor scheinbar aus dem Nichts zur massgeblichen Wirkmacht aufschwang. [...] Die Krötenarie ist Volkstheater im Sinn von Franz Xaver Kroetz: Theater, das dem Volk Schmerzen bereitet.»

Werdenberger Jahrbuch 2019, Franz Noser

«Stefan Sprenger richtet in Krötenarie, seiner literarischen Auseinandersetzung mit der liechtensteinischen Zeitgeschichte, sein Augenmerk auf die Jahre 1950 bis 1975, die ‹Adoleszenz› des Liechtensteiner Finanzplatzes. [...] Dreieinhalb Jahre nach der Uraufführung [des Theaterstücks – S.G.] ist im Chronos-Verlag der ungekürzte Gesamttext in Buchform erschienen, als ‹Lesestück›, ergänzt um einen Anhang mit Quellenangaben, Erläuterungen und Danksagungen sowie einem ‹Beiwort› des Autors. [...] Sein Alpenpanorama bringt Sprenger in szenischen Dialogen, im heimischen Dialekt zum Klingen. [...]
Im kleinen Liechtenstein, wo man einander kennt und auch am nächsten Tag noch in die Augen sehen können muss, mag es besonders schwierig sein, ein solches Panorama zu erstellen, präzise und ehrlich, aber nicht grob verletzend, eingebettet in die Geschichte der Tatsachen, aber nicht daran festklebend, mit glaubhaft erfundenen Personen, die keine blossen Abziehbilder sind und dennoch nicht allzu offensichtlich an konkrete Persönlichkeiten angelehnt. All das hat Sprenger geschafft. [...]
Gut möglich, dass Stefan Sprenger der lesenden Nachwelt mit der ‹Krötenarie› ein aufschlussreiches und bedeutendes Werk hinterlassen hat, das einen wichtigen und bleibenden Beitrag zum Verständnis einer turbulenten Epoche leistet.»

Liechtensteiner Volksblatt, 9. Januar 2019, Arno Löffler

Herr Sprenger, das Buch ist eigentlich ein Theaterstück. Oder doch nicht?
Stefan Sprenger: Doch, das Buch ist ein Theaterstück, ein überlanges. Darum heisst es Lesestück, auf der Bühne wären es nämlich an die sechs Stunden Theater. Es geht um 25 spannende Jahre in Liechtenstein. [...] 

Der Inhalt ist auch ein Teil der Geschichte Liechtensteins. Es beleuchtet die Jahre 1950 bis 1975. Warum genau diese Zeitspanne?
In diesen Jahren hat sich Liechtenstein wesentlich verändert. Man hatte nicht nur den Zweiten Weltkrieg hinter sich, sondern erlebte auch eine zweite Industrialisierungsphase. Parallel und fast unbemerkt dazu entstand der Finanzplatz, wie man ihn in den letzten Jahrzehnten gekannt hat. Damals boten sich für Viele, besonders auch für Frauen Emanzipationsmöglichkeiten in neuen Büroberufen an. Es waren Jahrzehnte des Aufbruchs und gleichzeitig des Verlusts von Traditionen, die für die einen Halt, für die anderen aber Behinderungen waren. [...]

Ist es mehr politische oder wirtschaftliche Geschichte, die Sie aufgearbeitet haben?
Das Politische und das Wirtschaftliche gehen ineinander über, besonders in Liechtenstein. Es ist interessant zu beobachten, wie zum Beispiel das Treuhandwesen die Sprache oder den Gestus der Politik hier verändert hat. Mir ging es aber mehr darum herauszufinden, was diese Möglichkeit der Emanzipation mit dem einzelnen Liechtensteiner und der Liechtensteinerin machte. Wer aufspringen wollte, wer aufspringen konnte,  wer damals abgehängt wurde. Mich interessierten diese Biografien, warum auf einmal ein Obstbauer in der Bank arbeitete, anstatt Bäume zu pfropfen.  Oder was es für das Familiengefüge hiess, wenn der Treuhändersohn im Monat mehr verdienen konnte als der Alte übers Jahr auf dem Bau. Oder wenn sich eine junge Frau absetzte von der traditionellen Rollen als Ehefrau, Mutter, Besorgerin des Hauses, weil sie ihr Leben selbst finanzieren konnte.

Sie schreiben feinfühlig, ehrlich, analytisch und ohne Weichspüler. Wurden Sie auch bedroht, dass dies und jenes auf keinen Fall geschrieben werden dürfe?
Nein. Speziell mit Menschen im Treuhandbereich war aber auch klar, dass sie das Kundengeheimnis nach wie vor strikte einhalten. Das habe ich akzeptiert. Man konnte aus der Schule plaudern, aber alles anonymisiert.

Liechtensteiner Volksblatt, 20. Dezember 2018, Interview: Elmar Gangl