Die amerikanische Verheissung

Schweizer Aussenpolitik im Wirtschaftskrieg 1917/18

Die Schweiz im Ersten Weltkrieg, Band 1
Gebunden
2016. 272 Seiten, 12 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-1369-7
CHF 48.00 / EUR 43.00 
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Mit dem Kriegseintritt der Amerikaner im Frühjahr 1917 nahm der Erste Weltkrieg seine entscheidende Wende: Die Machtbalance verschob sich nach Westen und das Deutsche Kaiserreich verlor den «grossen Krieg». Die Schweiz wurde von dieser Entwicklung direkt erfasst. Erstmals in ihrer Geschichte musste sie sich auf eine aussereuropäische Macht einstellen. Doch der Kleinstaat lernte rasch: Er wandte sich vom einstmals bewunderten Kaiserreich ab und suchte den Anschluss an die USA als die kommende Supermacht des 20. Jahrhunderts.

Das Buch erzählt die spannungsreiche Geschichte der letzten beiden Kriegsjahre, in denen sich die Schweiz zwischen den Fronten der Weltmächte befand. Im Ringen um die globale Vorherrschaft geriet der Kleinstaat in arge Bedrängnis. Durch den rücksichtslosen deutschen U-Boot-Krieg von wichtigen Lebensmittelimporten abgeschnitten, wandte er sich an die USA als rettende Kraft. Die Bitten einer hochrangigen «Swiss Mission», die eigens über den Atlantik entsandt worden war, wurden erhört: Die USA versorgten das Binnenland mit eigenem Getreide und bewahrten es vor einer Hungersnot. Während Amerika an Strahlkraft gewann, wurde das Kaiserreich immer stärker zur Bedrohung. Spionageskandale und Bombenprozesse in Zürich, bei denen deutsche Agenten verurteilt wurden, sorgten für Aufregung. Trotz deutscher Gegenpropaganda gelang es dem Kaiserreich nicht mehr, seinen Einfluss aufrechtzuerhalten. Als im Herbst 1918 die Zentralmächte kollabierten, wurden die deutschen Diplomaten als Vertreter der ungeliebten alten Ordnung aus der Schweiz gewiesen. Die USA hingegen wurden unter ihrem Präsidenten Woodrow Wilson frenetisch gefeiert. Knapp hundert Jahre später erlaubt diese Studie einen neuen Blick auf eine der bewegtesten Phasen der Schweizer Geschichte und lädt dazu ein, über das Verhältnis des Kleinstaates zur Welt nachzudenken.

studierte Wirtschaftsgeschichte und Ökonomie in Zürich und Madrid und war Visiting Fellow an der Graduate School of Arts and Sciences der Harvard University und Visiting Scholar am German Historical Institute in Washington DC. 2016 promovierte er mit der vorliegenden Publikation an der Universität Zürich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die schweizerische und europäische Wirtschaftsgeschichte.

Inhalt

1 Die Schweiz im Ersten Weltkrieg: Zwischen deutschem Imperialismus und amerikanischem Aufstieg 1.1 Prolog: Vom Kaiserbesuch zum Völkerbund
1.2 Heranführung und Fragestellung
1.3 Forschungsstand, Quellen und Methode

2 Winter 1916/17: Vom U-Boot-Krieg zum Kriegseintritt der USA 2.1 Der Umzug der Amerikaner von Berlin nach Bern
2.2 Die Schweizer Bundeshauptstadt als Kulminationspunkt der internationalen Diplomatie
2.3 Die Berliner Schaltzentrale in der Schweiz und die Kohleversorgung durch das Deutsche Reich
2.4 Der U-Boot-Krieg und die Schweizer Abhängigkeit vom US-Weizen
2.5 Rumänisches Getreide oder der vergebliche Versuch, die Schweiz ans Deutsche Reich zu «ketten»
2.6 Der Eklat um den Schweizer Botschafter in Washington und die Kriegserklärung Präsident Wilsons
2.7 Schwierige Ausgangslage im Frühjahr 1917

3 Der Frühling der Affären und die Entsendung der Swiss Mission im Sommer 1917 3.1 Deutsche Geheimaktivitäten in der Schweiz und die Hoffmann-Grimm-Affäre
3.2 Die Richtungswahl Gustave Adors zum neuen Schweizer Aussenminister
3.3 Ein Schweizer Unternehmer wird neuer Botschafter in Washington
3.4 In Amerika die Schweiz erklären: Die Idee der Swiss Mission
3.5 Fahrt in Richtung Westen: Mit dem Dampfschiff über den Atlantik
3.6 Ungewisse Aussichten im Sommer 1917

4 Die Swiss Mission in den USA und der Verhandlungsherbst 1917 4.1 Amerikanische Zweifel an der Neutralität der Schweiz
4.2 Schweizer Propaganda in Amerika
4.3 Washingtoner Verhandlungsmarathon im Herbst 1917
4.4 Deutsche Störmanöver und die prekäre aussenpolitische Balance
4.5 Enttäuschte Hoffnungen und die Abreise der Swiss Mission
4.6 Verhandlungsdurchbruch beim Getreideabkommen im Dezember 1917
4.7 Äusserer Druck und innere Spannungen: Die Schweiz Ende 1917

5 Deutscher Frühling 1918 und die Zweifel an «Uncle Sam» 5.1 Die Versenkung der «Sardinero»
5.2 Transportprobleme und die Skepsis gegenüber den amerikanischen Versprechen
5.3 Wachsende Sorge um die Schweizer Landesversorgung im Frühjahr 1918
5.4 Deutsche Erfolge im Osten als Gefahr für die Schweiz
5.5 Der Tod eines Schweizer Diplomaten und die harte Hand der deutschen Militärs
5.6 Die Freunde Deutschlands sind verärgert

6 Sommer 1918: Zwischen dem Niedergang des Deutschen Reiches und der Ankunft der US-Truppen in Europa 6.1 Die Eskorte der US-Navy und die «Schweizer» Getreideschiffe
6.2 Miss Whitehouse und die amerikanische Propaganda
6.3 Von amerikanischen Agenten und Detektiven: Die deutschen Behörden fürchten den amerikanischen Einfluss in der Schweiz
6.4 Das Scheitern der deutschen Westoffensive und der Raubzug im Osten
6.5 Schmähungen und Brandanschläge: Die Stimmung in der Schweiz wird antideutsch

7 Der Zusammenbruch der mächtigen Nachbarn im turbulenten Herbst 1918 7.1 Deutschland erbittet den Waffenstillstand
7.2 Vergebliche Friedenssuche der Zentralmächte über die Schweiz
7.3 Revolution im Deutschen Kaiserreich und der Zerfall der Habsburgermonarchie
7.4 Der Zürcher Bombenprozess und der Landesstreik oder der Kampf gegen die deutsch-bolschewistische Unterwanderung
7.5 Die Schweiz steht unter alliierter Beobachtung
7.6 Der Abzug der deutschen und österreichisch-ungarischen Behörden aus der Schweiz

8 Die Schweiz im Banne Wilsons in der Nachkriegszeit 8.1 Die USA als Versorger Europas
8.2 Der Kampf gegen die deutsche «Überfremdung» und für das Schweizer «Branding»
8.3 Die Schweizer Wirtschaft schaut nach Westen
8.4 Wilson-Verehrung und das Schweizer Lobbying in Versailles
8.5 Der Völkerbund kommt nach Genf

9 Schlussbetrachtung 9.1 Zusammenfassung
9.2 Flexibler Kleinstaat im totalen Krieg: Fünf Schlussfolgerungen

10 Dank
11 Bildnachweis
12 Abkürzungen
13 Anmerkungen
14 Quellen und Literatur


Pressestimmen

«Für die Schweizer waren die USA lange bloss ein Auswanderungsziel. Dann kam mit dem Ersten Weltkrieg der Hunger. Amerika brachte die Rettung. [...] Es war der Beginn einer transatlantischen Wende in der Schweizer Aussenpolitik. Einer Wende, die der Zürcher Wirtschaftshistoriker Florian Weber nun in einem aufschlussreichen Buch nachgezeichnet hat – mit Material aus Archiven in Washington, Berlin, Bern und Wien, das zum Teil noch nie ausgewertet wurde. [...] Nach langen Verhandlungen wurde die Schweiz im Dezember 1917 das erste neutrale Land, mit dem die USA ein Wirtschaftsabkommen unterzeichneten. Diese sagten zu, im Jahr 1918 mindestens 240 000 Tonnen Getreide in die Schweiz zu liefern. Die sich abzeichnende Hungersnot war abgewendet. Auch Baumwolle, Eisen, Zucker und Fette sollte die Schweiz aus den USA importieren dürfen. Die NZZ lobte das Abkommen überschwänglich: Für die Lebensmittelzufuhr sei das ‹Schweizervolk der grossen amerikanischen Schwesterrepublik› zu tiefem Dank verpflichtet.»

Tages-Anzeiger, 8. Dezember 2016 Alan Cassidy

«Diese Gleichsetzung von Wirtschaft und Aussenpolitik scheint auf den ersten Blick methodisch einem ökonomischen Reduktionismus gleichzukommen, auf den zweiten Blick vermag die Argumentation des Autors aber zu überzeugen. Die Schweiz verfügte über ein politisches und diplomatisches Führungspersonal, das sich vor allen Dingen aus dem Bereich der Industrie rekrutierte und politische Funktionen nebenamtlich ausübte. Diese industrielle Funktionselite formulierte die schweizerische Aussenpolitik im Krieg massgeblich und transferierte dabei wirtschaftliche Interessen in den politischen Prozess. Aussenpolitik und Aussenwirtschaftspolitik wurden durch diese Vorgänge weitgehend deckungsgleich. In der Analyse dieses privatwirtschaftlich-politischen Milizsystems liegen die grosse Stärke und das innovative Moment der Arbeit, welche die Funktionsweisen der semi-offiziellen schweizerischen Aussenpolitik aufzeigen kann.»

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 2/2018, Julian Wettengel

«Was macht ein ‹neutraler›, industrialisierter und ökonomisch global vernetzter Kleinstaat, wenn ein Krieg ausbricht, der die Welt aus den Angeln hebt? Er holt für sich das Beste heraus, geht weiter seinen Geschäften nach, auch denen mit Edelmetallen, die von den Kriegführenden geraubt worden sind, und richtet sich nolens volens an der neuen Grosswetterlage aus. Humanitäre Maximen spielen eine Nebenrolle. Aussenpolitik ist Wirtschaftspolitik. Zu diesem leicht zynisch anmutenden Fazit gelangt Florian Weber in seiner Zürcher Dissertation zur Aussenpolitik der Schweiz im Ersten Weltkrieg – einem Fazit, das Gültigkeit auch für den viel besser erforschten Zweiten Weltkrieg hat, wie der Wirtschaftshistoriker betont.»

NZZ, 2. März 2017, Urs Hafner

Diese Publikationsreihe umfasst sechs Dissertationen zur Geschichte der Schweiz im Ersten Weltkrieg. Die Arbeiten verbindet ihre transnationale Perspektive, welche auf die vielfältigen Austausch- und Interaktionsprozesse zwischen der Schweiz und den kriegführenden Ländern fokussiert. Obwohl die Folgen des Ersten Weltkriegs für die weitere Entwicklung des Landes ausgesprochen wichtig waren, stand seine Erforschung lange im Schatten des Zweiten Weltkriegs und machte erst nach der Öffnung zahlreicher Archive seit den 1970er-Jahren Fortschritte. Hundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs findet dieser Zeitraum nun auch in der Schweiz die ihm gebührende Aufmerksamkeit.