Aus der Jugend eines feinsinnigen Rebellen (1876–1929)
Max Tobler, der in Vergessenheit geratene Freund des Arbeiterarztes Fritz Brupbacher, war einst eine populäre linke Integrationsfigur. Mitte der 1920er Jahre schrieb er mit der hier erstmals publizierten Autobiografie die wohl vielschichtigste Darstellung der abstinenten Jugendbewegung der Jahrhundertwende und ein unkonventionelles Bild seiner Zeit.
Der Sohn einer St. Galler Kaufmannsfamilie erzählt, wie seine Ablösung vom strengen Vater in der abstinenten Jugendbewegung in eine Rebellion gegen die «Gesellschaft der Väter» umschlug. Die 1890 am dortigen Gymnasium gegründete Bewegung breitete sich rasch aus. An den Universitäten grenzten sich ihre Anhänger – Tobler als angehender Zoologe – von den Verbindungsstudenten ab und bekannten sich zusammen mit Studenten und Studentinnen aus Osteuropa zum Kampf für eine freiere und gerechtere Gesellschaft. 1902 reiste Tobler nach England, um seine unsteten Lebenspläne zu prüfen: Naturforscher in Indien, Schriftsteller oder Aktivist der Arbeiterbewegung? Angewidert von der Männerwelt des Empire, wählte er das Dritte. Damit bricht sein Text ab. Ein Nachwort des Herausgebers schliesst die Lücke.
Tobler spielte im sozialen Aufbruch und in den Streiks der 1900er Jahre unter anderem als Journalist eine wichtige Rolle, trat als Arzt und Ehemann der Ärztin Minna Christinger im Weltkrieg als konsequenter Kriegsgegner und in den 1920er Jahren als ungewöhnlicher Denker hervor, der sich zur Geschichte der Linken, der Geschlechter und des (Anti-)Kolonialismus äusserte, als andere schon leise von Kritik und Widerspruch Abstand genommen hatten.
«Die Welt riss mich». Aus der Jugend eines feinsinnigen Rebellen (1876–1929) Die Familie
Die Stadt
Zu Hause
Familienfeste
Andere Leute
Gymnasiallehrer
Freunde
Der Mandelbaum
Der Vater
Das Religionsgespräch
Der Reigen
Junge Helden
Fort
Cressier
Ein Zwischenfall
Vorbei
Die Stadt am See
Die Universität
Die reine Wissenschaft
Sommer
Im Labor
Der Russenball
Würzburg
Zürich
Heim
Anna
Gespräche
Das Stipendium
Abschied
Im Zug
Neapel
Giessen
Ein Brief
England
Whitby
Southsea
Im Hafen
Editorische Bemerkungen
Christian Hadorn: Zeugnis eines verschütteten sozialen Aufbruchs
«Die neuste Publikation der Autobiografie des früh verstorbenen Arztes, Publizisten und Politikers Max Tobler ist ein doppelter Fund: Sie erinnert an eine überaus populäre, doch von der Forschung ebenso wie von der politischen Linken vergessene Figur der Zürcher Arbeiterbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts; und sie publiziert ein Manuskript, das – der Öffentlichkeit verborgen – über 80 Jahre lang in der Schublade von Verlegern, Freunden und des Sozialarchivs schlummerte. […] Die von Christian Hadorn herausgegebene Autobiografie ist ein Juwel schweizerischer Coming-of-Age-Literatur des 19. Jahrhunderts.»
Urs Rauber, NZZ am Sonntag, Bücher am Sonntag
«Tobler schreibt mit grossem literarischen Können von seiner jugendlichen Revolte gegen den strengen Vater und zeichnet ein eindrucksvolles Bild der Stadt St. Gallen.»
Wolfgang Bortlik, 20Minuten
«Der Reiz in Toblers Aufzeichnungen liegt weniger in der Skizzierung der damaligen Arbeiter_innenbewegung und ihrer Köpfe, sondern vielmehr in den feinsinnigen Betrachtungen eines rebellischen Heranwachsenden. Tobler liefert ein Sittenbild der bürgerlichen Schweizer Gesellschaft um die Jahrhundertwende aus der Perspektive eines klugen Teenagers. Natürlich geht es auch um Liebe. Schwärmerische Träumereien und erste Annäherungsversuche des schrecklich schüchternen Toblers werden von seinem älteren Ich selbstironisch beschrieben. Dieses Augenzwinkern zieht sich wohltuend durch das gesamte Buch, so dass sich das Lesevergnügen auch für Nicht-Biografie-Fans einstellt.
Cindy Mecate, Direkte Aktion
«Die sorgfältig editierte Autobiographie bildet zusammen mit dem ausführlichen biographischen Nachwort ein faszinierendes Porträt nicht nur eines zu Unrecht vergessenen radikalen Denkers und Aktivisten der Arbeiterbewegung und Roten Hilfe, sondern auch der abstinenten Jugendbewegung um die Jahrhundertwende und der Schweizer Arbeiterbewegung.»
Nick Brauns, Die Rote Hilfe