Von den um 1908 bestehenden Freistudentenschaften in Basel, Bern und Zürich überlebte nur die bernische, vermutlich deshalb, weil sie ihre reformerischen Zielsetzungen vor allem mit öffentlichen Vorträgen zu erreichen versuchte. Zwischen 1906 und 1990 organisierte diese Studentenverbindung, die keine sein wollte, rund 900 natur- und geisteswissenschaftliche Vorträge und Dichterlesungen mit über 700 Vortragenden aus ganz Europa und Übersee. Intellektuelle wie Carl Jacob Burckhardt, Thomas Mann und Jean Rudolf von Salis gehörten ebenso zum Kreis der Vortragenden wie der Wissenschaftler Otto Hahn und der Schriftsteller Hermann Hesse. Wissenschaftliche Errungenschaften des 20. Jahrhunderts fanden ebenso ihren Widerhall wie philosophische Daseinsfragen und die aktuellen Strömungen von Literatur, Kunst und Musik. Damit wurde die Freistudentenschaft über lange Zeit zur tonangebenden Vortragsorganisation in Bern.
Der Autor untersucht die Funktionsweise dieser Vortragsorganisation und verortet sie als wichtige (bürgerlich–liberale) Akteurin im geistigen Leben und auf dem «Meinungsmarkt» der Stadt Bern. Dabei stehen die politischen, ideologischen und gesellschaftlichen Einflüsse ebenso im Fokus wie die Rezeption durch die Öffentlichkeit und die Umstände, die zur Einstellung der Vortragstätigkeit führten. Eingebettet sind diese Erkenntnisse in eine Vereinsgeschichte, für die erstmals das überlieferte Quellenmaterial ausgewertet wurde. Die Arbeit enthält ein Verzeichnis aller nachweisbaren öffentlichen Vorträge und Kurzbiografien der Vortragenden.
1 Einleitung 1.1 Thema
1.2 Der Intellektuelle: Eine Definition
1.3 Erkenntnisinteresse, Untersuchungszeiträume und Methodik
1.4 Quellenlage
1.5 Forschungsstand
2 Die Freistudentenschaft Bern: Ursprünge und Entwicklung 2.1 Der Ursprung der freistudentischen Bewegung
2.2 Die Gründungsjahre (1906–1910)
2.3 Wandlungen (1910–1922)
2.4 Von der Freistudentenschaft zum freistudentischen Vortragsverein (1922–1930)
3 Die Vortragstätigkeit: Grundsätzliches und Organisation
4 Die Gestaltungsfaktoren der Vortragsprogramme 4.1 Die Statuten, das Vortragsreglement und die Vortragskommission
4.2 Die Generalversammlung und der Vorstand
4.3 Die Altfreistudentenschaft
4.4 Die «Freistudentische Zeitschrift»
4.5 Kommerzielle Aspekte und das freistudentische Bildungsideal
Exkurs: Referentenhonorare
4.6 Die Zusammenarbeit mit anderen Vortragsorganisationen
5 Ideologien und Weltkrieg (1930–1945) 5.1 Die Themen
5.2 Die Referenten
5.3 Die Phasen
5.4 Die «Hausse der Zeitproblem-Konjunktur» (1930–1934)
Die Programmgestaltung
Deutschlandorientierung und Nationalsozialismus
Verdacht auf Antisemitismus: Der Konflikt um Isidor Lifschitz
Die Freistudenten und die Fronten
5.5 Internationale Referenten (1934–1937)
Die Programmgestaltung
«Eine etwas zweifelhafte Wissenschaft»: Egon Freiherr von Eickstedt
Carl Jacob Burckhardt: «Mittelalterliche Ideen in der modernen Politik»
5.6 Die Schweizer Semester (1937–1942)
Die Programmgestaltung
Krisenmanagement und Rettung durch die «Alten»
«Landesverteidigung der neuen geistigen Richtung»: Guggenbühl und Bonjour
5.7 Wiedererwachen mit dem Kriegsende in Sicht (1942–1945)
Die Programmgestaltung
Skandal um einen Starmediziner: Der Fall Sauerbruch
Der Blick auf die Nachkriegsordnung: William E. Rappard
6 Vorträge in einer gespaltenen Welt (1945–1961) 6.1 Die Themen
6.2 Die Referenten
6.3 Die Phasen
6.4 Kraft des Atoms und Europas Zukunft (1945–1948)
Die Programmgestaltung
«Absage an die deutsche Geisteswelt»
Atomkraft: «Hoffnung und Furcht»
6.5 Europäische Einigung und Konkurrenzdruck (1948–1952)
Die Programmgestaltung
Konkurrenten und Partner: Der schärfere Wind auf dem Vortragsmarkt
Europäische Integration: Skeptiker und Enthusiasten
6.6 Ost und West (1952–1961)
Die Programmgestaltung
Wächter des Vortragswesens: Die Altherren in der Vortragskommission
«Skandalöse Kulturdiktatur»: Die turbulente Partnerschaft mit dem Schriftstellerverein
Antikommunismus
Die Schweiz in der Welt
Exkurs: «Sprachvirtuosität» und «Geschwätz» – die Freistudenten und die Manns
7 Reformversuche, Krise, Ende (1961–1990) 7.1 Reformversuche (1961–1970)
7.2 Krise (1970–1983)
7.3 Ende (1983–1990)
7.4 Interne Gründe: Mitglieder- und Sinnkrise
7.5 Externe Gründe: Konkurrenz und Finanzen
8 Fazit
9 Bibliografie
10 Die Vorträge (1906–1990)
11 Die Referenten (1906–1990)
12 Die Vortragsleitung (1930–1961)
«Wer sich mit der Geschichte der Schweizer Intellektuellen im 20. Jahrhundert auseinandersetzen möchte, sollte auf jeden Fall dieses Buch lesen – und wird es mit Gewinn tun.»
Anna Bähler, Berner Zeitschrift für Geschichte