Schwarzröcke, Jakobiner, Patrioten

Revolution, Kontinuität und Widerstand im konfessionell gemischten Toggenburg, 1795–1803

St. Galler Kultur und Geschichte, Band 38
Gebunden
2013. 375 Seiten, 25 Farbabbildungen
ISBN 978-3-0340-1160-0
CHF 58.00 / EUR 52.00 
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«Du bist ein verfluchter Franzos … ein luterischer calvinischer Bok, du bist kein Schweizer aber ich bin ein Schweizer, du bist blos so ein donners Franzos … ein lutherischer drek, ein Scheisshund … du hast mir das Brodt vor dem Maul weg gestohlen, du bist ein Lutherischer und ich ein Katholik aber ich habe die Constitution nicht angenommen.» 


Für diese Beschimpfung eines Reformierten wurde der Katholik Joseph Bomberger 1799 vom Kantonsgericht Säntis zu mehreren Tagen Gefängnis, öffentlicher Ausstellung mit zwölf Stockschlägen auf den Hintern sowie einer Busse bestraft.
Die Äusserungen von Bomberger zeigen exemplarisch den konfessionellen Konflikt auf, der 1799 zwischen den prohelvetischen Reformierten und den antihelvetischen Katholiken im Toggenburg ausgetragen wurde. Ein Jahr zuvor hatte sich das Toggenburg durch eine Revolution selbst von der seit 1468 bestehenden katholischen Herrschaft des Fürstabts von St. Gallen gelöst und war kurz darauf in der Helvetischen Republik aufgegangen. Der Umsturz hatte die konfessionelle Machtverteilung im Toggenburg verändert und die zuvor wirtschaftlich und politisch privilegierte Stellung der katho­lischen Minderheit aufgehoben.
Die Studie zeigt auf, wie es ab 1795 einer grösstenteils von Reformierten getragenen Protestbewegung unter Einsatz von heimlichen Zusammenkünften, Volksaufläufen und Propagandaschriften gelang, eine Revolution herbeizuführen. Doch veränderte der Umsturz das politische Umfeld wirklich? Waren die neuen «Herren» nicht vielmehr die alten? Erfüllten sich die mit der Revolution verbundenen Hoffnungen? Führten die 1798 auf die Unabhängigkeit unmittelbar folgende Integration des Toggenburgs in die Helvetische Republik und die Präsenz der Franzosen nicht zu erneuten Protesten und Widerstandsaktionen? Diesen Fragen geht die Regionalstudie für die Umbruchzeit bis zur Gründung des Kantons St. Gallen 1803 nach.

1980 in Winterthur geboren, studierte an der Universität Zürich Geschichte und Politikwissenschaften. 2011–2012 war er als Ratsschreiber in Wattwil im Toggenburg tätig. Er ist Vorstandsmitglied der Toggenburger Vereinigung für Heimatkunde.

Inhalt

1 Einleitung 1.1 Annäherung an das Thema
1.2 Historische Protestforschung und Protestbewegungen während der Zeit der Französischen Revolution
1.3 Unruhen und Widerstand im Vorfeld sowie während der Zeit der Helvetik in der Forschung
1.4 Fragestellung, Thesen und arbeitsmethodische Hinweise
1.5 Forschungsleitende Literatur
1.6 Historiografie
1.7 Quellenübersicht und Quellenkritik
1.7.1 Ego-Dokumente
1.7.2 Verwaltungsakten und Korrespondenz
1.7.3 Druckerzeugnisse und Zeitungen
1.8 Aufbau

2 Neuherren, Tüchler, Bücherfresser: Der lange Weg zur Revolution 1468–1795 2.1 Von den Untertanen zu den Landmännern: Reformation und Freiheitsdrang
2.1.1 Herrschaft, Struktur und Institutionen
2.1.2 Konfessionelle Konfliktlinie
2.1.3 Autonomie und Freiheitstradition
2.1.4 Kommunale Selbstverwaltung
2.2 Vom Bauern zum Heimarbeiter: Protoindustrialisierung
2.2.1 Agrar- und Alpwirtschaft
2.2.2 Protoindustrialisierung
2.2.3 Sozioökonomische und soziokulturelle Veränderungen
2.3 Vom Beten zum Räsonieren: Aufklärung und Öffentlichkeit
2.3.1 Informationsquellen
2.3.2 Einfluss der Mobilität auf die Informationsverbreitung
2.3.3 Kommunikationsstrukturen
2.3.4 Einfluss der Französischen Revolution

3 Schwarzröcke, Jakobiner, Patrioten: Revolution 1795–1798 3.1 Von der Stabilität zur Unruhe: Die 1780er und frühen 90er Jahre
3.1.1 Krisenerfahrungen: Strassenkonflikt in den 1780er Jahren
3.1.2 Wachsender Unmut: Punktuelle Unruhen zu Beginn der 1790er Jahre
3.1.3 Revolutionäres Umfeld: Stäfa und Alte Landschaft 1794/95
3.2 Von der Unruhe zur Bewegung: Die Entwicklungen 1795
3.2.1 Teuerungsprotest: Lichtensteig im April
3.2.2 Entstehung lokaler Bewegungen: Freigemeinden im Mai
3.2.3 Konstituierung einer landesweiten Bewegung: Das Memorial im Juni
3.2.4 Solidarisierung der reformierten Oberschicht: Provokation im August
3.2.5 Die Bewegung: Protagonisten, Masse und Sympathisanten
3.2.6 Die Obrigkeit: Passivität und Unsicherheit
3.3 Von der Bewegung zur Revolution: Verhandlungen und Umsturz 1796–1798
3.3.1 Verhandlungen mit der Obrigkeit: Schwarzenbach 1796/97
3.3.2 Wiedererwachen der Bewegung: Druck und Gewalt Ende 1797
3.3.3 Revolution: Patrioten, Freiheitsbäume, Freigemeinden im Januar 1798
3.3.4 Abdankung des Landvogts am 1. Februar 1798
3.4 Von der Revolution zur Unabhängigkeit: Freistaat von Februar bis April 1798
3.4.1 Kontinuität: Konstituierung und Verhandlungen im Februar
3.4.2 Konfessionelle Trennung: Konflikt im März
3.4.3 Freiheitstradition: Landsgemeinden im März
3.4.4 Ende des Freistaats: Eingliederung in die Helvetische Republik im April

4 Franzosen, Sesselkleber, Widerständler: Helvetik 1798–1803 4.1 Von der Herrschaft zur Republik: Kontinuität und Diskontinuität vor und nach 1798
4.1.1 Herrschaft: Neuer Staat, alte Konfliktlinie
4.1.2 Elite: Katholische Kontinuität und reformierte Diskontinuität
4.1.3 Lebensumstände: Krieg und Not
4.1.4 Kommunikation: Gerüchte und Volksaufklärung
4.2 Von der Unterstützung zum Widerstand: Enttäuschte Erwartungen 1798–1803
4.2.1 Unterstützung: Eidleistungen und Auszüge im August 1798
4.2.2 Enttäuschung: Franzosen und demoralisierte Beamte
4.2.3 Resistenz: Ungehorsam und Emigration
4.2.4 Antihelvetischer Widerstand: Distrikt Mosnang im März 1799
4.3 Von der Helvetik zum Fürstabt und zurück: Restauration 1799
4.3.1 Restauration: Rückkehr des Fürstabts im Mai 1799
4.3.2 Reaktionen: Freude, Hass und konfessionelle Konflikte
4.3.3 Widerstand: Reformierte Oberschicht gegen den Fürstabt
4.3.4 Ende der Restauration: Rückkehr zur Helvetik im September 1799
4.4 Von der Helvetik zum Kanton St. Gallen: Beruhigung 1800/01 und Freistaat 1802
4.4.1 Beruhigung der Lage: Herbst 1799 bis Frühling 1802
4.4.2 Lokale Proteste: Gemeindeversammlungen im Mai 1802
4.4.3 Umsturz: Landsgemeindebewegung im September 1802
4.4.4 Ausblick: Übergang zum Kanton St. Gallen 1803

5 Schlusswort

6 Anhang 6.1 Chronologie der zentralen Ereignisse im Toggenburg und in der Region 1795–1803
6.2 Methodische Anmerkungen zur Analyse der Behörden und Amtsträger
6.3 Behörden und Amtsträger des Toggenburgs 1795–1803
6.4 Ämterlaufbahnen 1795–1803
6.5 Inhaftierte am Widerstand im Distrikt Mosnang vom März 1799 Beteiligte


Pressestimmen

«Der Autor hat sich in der vorliegenden Studie, die als Dissertation von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich 2010 angenommen wurde, mit dieser Thematik quellenfundiert auseinandergesetzt. Der erwähnte Umsturz 1798 führte zu einer Änderung der konfessionellen Machtverteilung in Toggenburg und zu einer Aufhebung der vorher ökonomisch und politisch bevorzugten Stellung der katholischen Minderheit sowie der damit verknüpften Diskriminierung der Reformierten. Die sich ab 1795 langsam formierende, besonders von Reformierten organisierte Protestbewegung konnte die Unabhängigkeit Toggenburgs erkämpfen.»

Innsbrucker Historische Studien, Bd. 33, 2021, Helmut Reinalter

«Der Teuerungsprotest von Lichtensteig bildet gleichsam die Ouverture zu Pascal Sidlers ausgezeichneter, flüssig geschriebener Doktorarbeit zu einer denkbar wichtigen Umbruchszeit: zu den Jahren rund um die Helvetische Revolution 1795–1803. Das Buch füllt eine Forschungslücke, beglückt aber auch dank der einfach verständlichen Sprache nicht nur Forscherinnen und Forscher. Im Index können Einheimische zudem nachschauen, ob ihre Urahnen eher revolutionär oder gegenrevolutionär gesinnt waren.»

Toggenburger Tagblatt, Fabian Brändle

«Sehr schön wird in dieser interessanten und an den Quellen orientierten Studie […] der Stimmungsumschwung während der Helvetik beschrieben».

Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Holger Böning

«Die an den Quellen gründlich erarbeite, methodologisch gut durchdachte, ergiebige und spannend zu lesende Dissertation von Sidler macht es dem Rezensenten schwer, negative Kritikpunkte ausfindig zu machen. Das Buch ist sauber redigiert. Für die Gestaltung des Layouts und des Buchdeckels ist auch die außerordentliche Qualität und Sorgfalt von Seiten des Chronos Verlages lobend hervorzuheben.»

Zwingliana - Beiträge zur Geschichte des Protestantismus in der Schweiz und seiner Ausstrahlung, Paul Widmer