Der Erfolg der Reformation resultierte aus ihrer engen Allianz mit den zeitgenössischen Druckmedien. Die Reformatoren nutzten Bücher, Flugblätter und Flugschriften zur Verbreitung ihrer Vorstellungen. Dies war allerdings kein einsinnig instrumenteller Zusammenhang. Die Inanspruchnahme des neuen Mediums für die Sache der Reformation korrespondierte mit der medialen Überformung und Prägung der Reformation als historisches Ereignis. In der Reformation manifestierte sich damit eine grundlegende Wechselbeziehung zwischen medial hervorgebrachten Sinn- und historischen Ereigniszusammenhängen. In diesem spezifischen Sinne setzt die Studie bei der Medialität der Reformation ein. Sie fokussiert sie in den Konstellationen, in welchen sich historische Ereignisse mit den medialen Bedingungen ihrer zeitgenössischen Beobachtung kreuzen und immer wieder neue Entscheidungs- und Handlungsoptionen generiert werden. Damit wird ein komplexes Feld in den Blick genommen, das sich quer zu den gängigen reformationsgeschichtlichen Erzählungen aufspannen lässt.
I. Eine ›Zeitgeschichte‹ der Reformation
1. Die Kontinuität der Reformationsgeschichte
2. Reformatorische ›Zeitenwende‹ – Die Historizität der Erinnerung
3. Die Reflexivität des Historischen
II. Medien der Präsenz und Präsenz der Medien – Der mittelalterliche Horizont reformatorischer Zeitgebundenheit
1. Der Ablassstreit und der Sinn der Lektüre
2. Die Antithetik von sinnzentrierter Lektüre und sakraler Kommunikation
3. Die Gegenwart Gottes – Mittelalterliche Frömmigkeit als Kommunikation unter Anwesenden
4. Das ›ästhetische Dispositiv‹: Primat des Raumes – Denkbewegungen der Zeitlosigkeit
5. Von den Präsenzmedien zur Präsenz der Medien – Messordnungen und Ablässe als Medien des Übergangs
III. Bilder, Orte, Worte und Vorstellungen – Der reformatorische Sinn und seine medialen Konfigurationen
1. Orte und Bilder – Die Auflösung überkommener Gedächtniskonzeptionen: Bildersturm und Medienwandel
2. Die Ereignishaftigkeit lutherischer Erinnerung – Der Abendmahlsstreit
3. Marburg 1529 und die Evidenz im medialen Geschehen
4. Von Orten und Bildern zu Worten und Vorstellungen – Imagination und theologische Evidenzauszeichnung
IV. Reformatorisches Subjekt, Referenz, Evidenz – Theologie und Geschichte von Beobachtungsverhältnissen
1. Das Gewissen – Die reformatorische Instanz des Imaginären und die Exzentrik des Subjekts
2. Gewissen und Gewissheit – Evidenz, Performanz und der Streit um den freien Willen
3. Schauplätze reformatorischer Evidenz – Gewissen, Bekenntnis und Geschichte 1521
4. Vom Medienereignis zum Ereignis als Medium des Gewissens – Augsburg 1530
5. Der Stil des Reformators – Exzentrische Selbstentwürfe und ihre Bedeutungshorizonte
V. Die Reformation als Zeitenwende – Apokalyptische Naherwartung und Unendlichkeit der Auslegung 1517/1530
1. Die vorhergesagte Zeitenwende – Zeitlichkeit und Medialität des Propheten
2. Die eingetretene Zeitenwende – Reformatorische Prophetie und das Ende aller Übertragungen
3. Reformatorische Episteme der Zeitenwende – Unendlichkeit der Auslegung und Geschlossenheit des heilsgeschichtlichen Horizonts
VI. Redeweisen der Zeitenwende – Die Schließung des theologischen Diskurses, Subjekt und Weltgeschehen nach 1530
1. Das Augsburger Bekenntnis, die vera doctrina Evangelii und die immanente Zeit des Diskurses
2. Die Instituierung der wahren Überlieferung – Universität und Kirche
3. Die Überlieferung und die Wahrheit des reformatorischen Subjekts
4. Die heilsgeschichtliche Kontingenz der Gegenwart und das Medien-Werden der Welt
VII. Reflexivität der Welt und Verzeitlichung der reformatorischen Gegenwart zwischen 1530 und 1555
1. Religion und Politik: Die problematische Struktur der Ereignisse zwischen 1530 und 1546/47
2. Reformatorische Epistemologie des Politischen – Zwei Reiche-Lehre und Reflexivität der Welt
3. Die politische Ökonomie der Apokalypse – Die Verzeitlichung der Welt und die Zukunft der Reformation
4. Dreißig Jahre Reformation, das Interim und die reformatorische Vergangenheit
VIII. Diesseits und jenseits des Diskurses – Historische Konfigurationen reformatorischer Erkenntnisbildung 1550/1580
1. Innerprotestantische Konflikte und die Grenzen des Diskurses
2. Luthers Erbe – Biographische Bestimmungen der Autorität des Propheten
3. Wahrheit und Geschichte – Von der Topik zur Hermeneutik
4. Geschichtsschreibung, Ursprung und Wiederholung: Das historische Dispositiv des Konkordienbuchs
IX. Zeit, Medien und Geschichte der Reformation –Zusammenfassung
Diese Buchreihe vereinigt Studien des gleichnamigen Nationalen Forschungsschwerpunkts sowie mediengeschichtliche Arbeiten. Sie rückt die Zeit vor der Ausbreitung der Massenmedien und insbesondere die medialen Verhältnisse der Vormoderne ins Zentrum. Damit ermöglicht sie Einblicke in die Andersartigkeit älterer Kommunikationsformen und erlaubt es gleichzeitig, Voraussetzungen für die mediale Formierung der Neuzeit zu ergründen.
«Sandls Arbeitsprogramm ist erstaunlich, sowohl in der Tiefe wie auch in der Breite. Dass er dabei in umfänglichen Sinne auf die vorhandene Forschungsliteratur zurückgreift, erscheint selbstverständlich; dass er diese keineswegs ergänzt und die Reformationsgeschichte mit neuen Fakten-Einsichten bereichert, erscheint einleuchtend: Stattdessen erzählt er sie ja neu aus der Perspektive der theologischen Akteure und ihrer eigenen Welt, die die Differenz und gleichzeitige Verschränktheit von Theologie und Politik auswies!»
Alexander Jendorff, Sehepunkte
«Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine wohl durchdachte und stets auf hohem sprachlichem Niveau argumentierende Arbeit zur Reformationsgeschichte.»
Susanne Rau, H-Soz-u-Kult
«Die äusserst ertragreiche, breit angelegte und klug disponierende Studie verzichtet dabei auf metahistorische Überlegungen und widmet sich stattdessen geschehenskonstitutiven Selbstbeobachtungen eines Epochenbruchs, der durch Naherwartung und Neubeginn gekennzeichnet ist. Sie fragt nach den Bedingungen, unter denen sich die Reformation ‹im Verlauf des 16. Jahrhunderts als historisches Ereignis konstituierte und zu einer historischen Einheit wurde.›»
Bruno Quast, Germanistik
«Das Buch besitzt das Potential, Ärgernis zur erregen, die Geister zu
scheiden und die reformationsgeschichtliche Debatte ‹aufzumischen›.»
Thomas Kaufmann, Zeitschrift für Historische Forschung
«In meinen Augen liegt der Gewinn dieser Arbeit in der genauenWahrnehmung, inwiefern Luther und Melanchthon als die Hauptprotagonisten der Reformation aufgetreten sind, woher ihre Geltungsansprüche stammten und wie dies gesellschaftspolitisch relevant in den öffentlichen Raum vermittelt werden konnte, indem es mit dem persönlichen Bekenntnis und performativen Akten verknüpft wurde, die eine Authentizität für sich reklamierten und die offensichtlich in der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit einen Resonanzboden fanden. Jenseits einer Heroisierung Luthers macht Sandl unmissverständlich klar, wie eng Wiederentdeckung des Evangeliums, Übersetzung und Verbreitung der Bibel sowie die Neuheit der philologisch exakten Schriftauslegung einen Innovationsschub erzeugten, der durch die Wittenberger Reformatoren auf Dauer gestellt wurde.»
Ute Gause, Evangelische Theologie
«Sandl beleuchtet die Reformation bis zur konfessionellen Einigung mit dem Konkordienbuch auf neue Weise hinsichtlich der durch sie angetriebenen mediengeschichtlichen Entwicklungen.»
Carolin Struwe, Archiv für Reformationsgeschichte