Heilsgeschichte im christlichen Sinne ist ein mehrdeutiger Begriff. Er bezeichnet die Ereignisse zwischen Schöpfung und Erlösung und meint zugleich das Sprechen über dieses Geschehen, das einerseits in der Bibel verbindlich niedergelegt ist, andererseits in Kommentar und Exegese bearbeitet und in Erzählungen narrativ erweitert wird. Diese zentralen Formen der Bezugnahme auf den Bibeltext haben immer eine prekäre Seite, da mit ihnen das Problem des adäquaten Umgangs mit dem kanonischen Wortlaut verbunden ist. Aber auch der Kanon selbst bleibt in seiner Unveränderlichkeit und der Entfernung vom Ereignis, das er vermittelt, Gegenstand der Reflexion.
In der vorliegenden Untersuchung geht es um dieses Spannungsfeld zwischen dem Tabu einer Veränderung biblischen Wortlauts, der Notwendigkeit seiner Aktualisierung und dem Problem seiner Medialität. Wie Texte, welche die Heilsgeschichte aufnehmen, sich hinsichtlich der kontroversen Forderungen situieren, wird am Beispiel von Augustinus’ Genesisauslegung, Hugos von St. Viktor Archentraktat und zwei mittelalterlichen Bibeldichtungen gezeigt.
Einleitung
I Der wachsende Text
II Erinnerung und Selbstimagination
III Medialität und Materialität
IV Medium – Form – Ereignis
V Medialität der Schrift
Umwege der Exegese: Exegetische Komposita in Augustinus’ ‹De Genesi ad litteram libri duodecim›
I Buchstabentreue und ‹sensus bipartitus›
II Stufen der Exegese
III Wiedererzählen und Auslegen
IV Auslegungsprozess und Epochenschwelle
V Unmöglichkeit einer Auslegung ‹ad litteram› und die Macht der Exegese
Exegese und Poetik: Kulturelle Produktivität der Exegese im Werk Hugos von St. Viktor
I Institutionalisierung und Exegese: ‹Didascalicon de studio legendi›
II Ästhetisierung und Exegese: ‹De archa Noe› und ‹Libellus de formatione arche›
- 1. ‹De archa Noe›: Metamorphosen der Metapher
- 2. ‹De archa Noe›: Verhüllen und Enthüllen – Strategien der Selbstlegitimierung
- 3. ‹Libellus de formatione arche›
- 4. ‹Quid dicit scriptura, quid ostendit pictura?›
- 5. ‹Mysterium absconditum et praeclarum›
- 6. Der Exeget als Schöpfer?
- 7. Ästhetisierung und Exegese zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit
III Figura – Zeit – Wahrheit
- 1. ‹Figurata locutio – expressa narratio›: Zur Zeitbezogenheit wörtlicher und figuraler Auslegung bei Augustinus
- 2. Zum Wahrheitsbezug der figura bei Hugo von St. Viktor
IV Poetisierung und Exegese
Exegetische Ostentation: Zu zwei exegetischen Begriffen bei Augustinus und Hugo von St. Viktor
Poetik und Exegese: Modelle der Heilsvermittlung
I Wort und Ereignis in den ‹Dichtungen der Frau Ava›
- 1. Paradoxierung der Zeitverhältnisse
- 2. Dignisierung des Worts
- 3. Kommentar und Prophetie
- 4. Textualität und Rahmung
II Zeugnis und Zeugenschaft in der ‹Erlösung›
- 1. Das Wunder des bloßen Worts
- 2. Kontinuität und Diskontinuität
- 3. ‹Quae non vidimus, eis credimus, qui viderunt›
- 4. Text und Bild
Schluss
Diese Buchreihe vereinigt Studien des gleichnamigen Nationalen Forschungsschwerpunkts sowie mediengeschichtliche Arbeiten. Sie rückt die Zeit vor der Ausbreitung der Massenmedien und insbesondere die medialen Verhältnisse der Vormoderne ins Zentrum. Damit ermöglicht sie Einblicke in die Andersartigkeit älterer Kommunikationsformen und erlaubt es gleichzeitig, Voraussetzungen für die mediale Formierung der Neuzeit zu ergründen.
«Die kompetent erarbeitete Dissertation macht diese für Fachkollegen zu einer lohnenden Lektüre.»