Immer wieder wurde – und wird – die Fotografie als eine Erweiterung des Sehens beschrieben, als eine «Wahrnehmungsschule». Es scheint daher nahezuliegen, die Fotografie in das Methodenbündel der kulturwissenschaftlichen Feldforschung zu integrieren. Die aktuelle ethnographische Praxis der Volkskunde zeigt sich dem Medium gegenüber jedoch äusserst skeptisch. Die aktuelle volkskundliche Auseinandersetzung mit der Fotografie, die seit den 1990er Jahren einen regelrechten Boom im Fach erlebt, lässt sich vor allem als Diskurs über Fotografie kennzeichnen. Im Mittelpunkt steht die öffentliche, private und nicht zuletzt auch fachhistorische Fotografie, die es sowohl mittels bildanalytischer Verfahren quellenkritisch als zeitgeschichtliches Dokument als auch in ihrem individuellen und gesellschaftlichen Gebrauch zu erschliessen gilt. Ein Diskurs mit Fotografie, also ein fotografischer Diskurs im Sinne einer visuellen Ethnographie («Ethnofotografie»), fand bislang nicht statt.
Mit der vorliegenden Arbeit zur Anschauung und Anschaulichkeit in der Ethnographie liegt nun die erste medien- und erkenntnistheoretisch fundierte Untersuchung innerhalb der deutschsprachigen Kulturwissenschaften vor, die auf Basis aktueller Ansätze der angloamerikanischen Visual Anthropology eine methodisch reflektierte Re-Integration der Fotografie als Instrument und Medium der ethnographischen Forschung und Repräsentation begründet. Ausgehend von der spezifischen Medialität der Fotografie und ihrer eigenen Art des Erzählens legt die Arbeit dezidiert die erkenntnistheoretischen Potenziale der fotografischen Praxis dar und rückt damit die Bedeutung der Fotografie als kulturwissenschaftliches Bildmedium in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Einleitung
1 Fotografie und Volkskunde: Ein Bestandsaufnahme
1.1 Fotografie und Volkskunde bis 1945
- Fotografie als Technik des Bewahrens
- Wörter und Sachen und Bilder
- Der Aufbau »photographischer Museen« und die »Amateurphotographie«
- Autorenfotografen und Bildberichterstatter
1.2 Fotografie und Volkskunde nach 1945
- Vom Verschwinden der volkskundlichen Fotografie
- Die Entdeckung der Fotografie als kulturgeschichtliches Dokument und Objekt
- Die Angst des Forschers vor der Kamera
1.3 Zusammenfassung
2 Anschauliches Verstehen
2.1 Zum »volkskundlichen Blick«
2.2 Anschauung und Verstehen
2.3 Anschauung und Begriff
2.4 Merkmale des Sehens
2.5 Anschauung und Anschaulichkeit
2.6 Die Beobachtung als kulturwissenschaftliches Verfahren
2.7 Zur Krise der Repräsentation
2.8 Zusammenfassung
3 Die Medialität des Fotos
3.1 Ontologie des Fotos
3.2 Zur fotografischen Wirklichkeit
- Realistisch und abstrakt
- Objektiv und subjektiv
3.3 Zur Aussagekraft von Fotografien
- Eindeutig und vieldeutig
- Die Rolle des Betrachters
3.4 Eine andere Art zu erzählen
- Das Einzelfoto
- Die Fotoserie
- Der Verwendungskontext
- Foto und Text
3.5 Das digitale Foto
3.6 Zusammenfassung
4 Fotografie in der ethnographischen Praxis
4.1 Fotografie als Instrument der empirischen Forschung
- Dokumentarische Strategien der fotografischen Beobachtung
- Kritik des fotografischen Dokumentarismus
- Der fotografische Produktionsprozess
- Das Fotointerview
- Fotografie im Erkenntnisprozess
- Anmerkungen zur Ethik in der fotografischen Forschung
4.2 Fotografie als Medium der Repräsentation
- Die fotografische Transformation der Beobachtung
- Fotografische Erzählweisen in der Ethnographie
4.3 Grenzüberschreitungen zwischen Kunst und Kulturwissenschaft
- Martin Rosswog: »Schultenhöfe«
- Stefan Malzkorn: »KassettenGeschichten«
- Timm Rautert und Mark Wohlrab: »Hängeförderer-Museum«
- Olivia da Silva: »In The Net«
4.4 Zusammenfassung
Ausblick: Von der dichten zur multidimensionalen Beschreibung
«Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte und -theorie der Fotografie»
Fotogeschichte
«Eine kompakte, schlüssige und umfassende Grundlegung des reflektierten Umganges mit einem erweiterten Instrumentarium als Basis einer wirkmächtigen Volkskunde, die hoffentlich eine vielfache Rezeption in der Fachdiskussion erfahren wird.»
Matthias Bunzel, TOP Gesellschaft für Volkskunde
«Es ist Thomas Overdick sehr eindrucksvoll gelungen, Anregungen für eine Neubewertung der Fotografie als volkskundliche Praxis zu geben. Auch wenn es ausdrücklich nicht seine Absicht war, ein Handbuch für das Fotografieren im Forschungsprozess zu schreiben, erlaubt seine erfreulich systematische Erarbeitung des Themas doch einen schnellen Zugriff auf dessen vielfältige Facetten.»
Sebastian Kestler-Joosten, Zeitschrift für Volkskunde
«Eine glänzende, ausgezeichnet recherchierte und vorbildlich redigierte Studie»
Ulrich Hägele, Rundbrief Fotografie
«Das vorgestellte Buch bietet eine anregende Lektüre. Es ist zu wünschen, dass das Fach die Impulse von Overdicks ‹Photographing Culture› aufnimmt und seine Vertreterinnen und Vertreter mit Fotografie und anderen Medien in Forschung, Analyse und vor allem auch in der Präsentation der wissenschaftlichen Arbeiten experimentieren.»
Carmen Palm, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
«Thomas Overdick hat mit seiner Dissertation eine grundlegende Arbeit zum Thema visuelle Anthropologie vorgelegt. Es gelingt ihm, die Diskussion um Fotografie als Medium des Erkenntnisgewinns in der Ethnografie entscheidend zu bereichern, und er hat dem Nachdenken über fotografische Praktiken, über Modi der Visualisierung und damit letztendlich über den Wert von Fotografien in der ethnologischen Forschung mit seinem Buch wichtige Impulse gegeben.»
Silke Göttsch-Elten, Kieler Blätter zur Volkskunde