Die Frau des Dorfarztes und der Wehrmachtoffizier
Eine Spurensuche
Gebunden
2010. 2. Auflage 2010.
224 Seiten, 70 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-1001-6
CHF 32.00 / EUR 32.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • Einblick
  • In den Medien
  • Downloads
Es war die Hochzeit des Jahres, als Martina Bucher und Hugo Fischer 1938 in Escholzmatt im Entlebuch heirateten: sie, die schönste Frau im Tal, aus gutem Haus; er, der Dorfarzt, vielseitig gebildet, geschätzt und geachtet. Doch nach einigen Jahren glücklicher Ehe mit drei Kindern lebten sie sich auseinander. Im Sommer 1945 begegnete Martina dem deutschen Militärinternierten Karl Michel. Sie verliebten sich und verbrachten gemeinsam den Sommer in Weesen am Walensee. Er versprach ihr den Himmel auf Erden, wünschte sich ein Kind und riet ihr zur Scheidung.
Die akribischen Aufzeichnungen von Hugo Fischer und Martinas Briefe geben einen sehr persönlichen Einblick in die Ereignisse von damals: die Chronologie einer Scheidung in all ihren Facetten.
Karl Michel war kurz vor Kriegsende in die Schweiz geflüchtet. Als Hauptmann der deutschen Wehrmacht im Generalstab, zuständig für Fremde Heere Ost, wurde er von den Schweizer Behörden beschattet, vom Nachrichtendienst einvernommen. Er gab an, am Widerstand um Stauffenberg beteiligt gewesen zu sein, war Autor verschiedener Bücher und Artikel und bewegte sich im Umfeld der Moralischen Aufrüstung (MRA). Michel jonglierte sich durch viele behördliche Instanzen. In der Schweiz verkehrte er in der besseren Gesellschaft von Zürich. Martina tauchte in seine Welt ein.
1946 bringt sie in Zürich unehelich ihre Tochter Diana zur Welt. Als sie mit ihr in ihr Elternhaus ins Dorf zurückkehrt, wird sie geächtet und die Vormundschaftsbehörde eingeschaltet. Ihr Kind soll fremd­platziert werden. Martina flüchtet mit Diana ins Tessin, wo sie die Polizei aufspürt und ihr das Kind wegnimmt. Es wächst in einer Pflegefamilie auf. Der Kindsvater verlässt die Mutter und die Schweiz.

(geb. 1977) ist die Enkelin von Martina Bucher. Ihre Grossmutter starb 2003, ohne aus ihrem früheren Leben erzählt zu haben. Sie hinterliess indes zahlreiche Fotografien, Briefe und ein Tagebuch. Andrea Blunschi sprach mit Verwandten und Bekannten, besuchte Archive in der Schweiz und in Deutschland. Die Spurensuche verdichtete sich zu einer berührenden Geschichte, die mit Original­texten, Stimmen und Fotos aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird.

Inhalt
Spurensuche
Die Buchers – eine exklusive Familie
«Glücklich und schön war aller Anfang»
Kriegszeit
Der unvergessliche Sommer 1945
Scheidung – katholisch nennt man das Dauertrennung
Das Gerede – Das Urteil
Karl Michel – der deutsche Geliebte
Schwanger – Das Glück kommt ins Wanken
Zu dritt
Geächtet in Äschlismatt
Der Bücherschreiber
Keine weisse Weste
Michel und die Schweizer Behörden
Moralische Auf- und Entrüstung
Diana in der Pflegefamilie
Die Doktorfamilie ohne Martina
Martina alleine
Die vier Kinder und ihre Mutter
Das Wilde und das Heilige
Epilog – «Bekannt wie ein bunter Hund»

Textauszug
Aus der Scheidungschronik
Hugo Fischer, Sonntag 1. Juli 45
Ich reise nach Weesen
10 Uhr komme ich an, Martina führt mich ins Schlosshotel Mariahalden. Bis Mittag schwärmt mir Martina vor u. erklärt mir immer wieder, ein weiteres Zusammenleben mit mir – in Escholzmatt – beides ist gleich unerträglich – werde sie verrückt machen, komme nicht in Frage. Bei Karl werde sie gesund. Es gehe schon viel besser.
Karl – Dr. Michel – ist etwas grösser wie ich – wie Martina bald erkennt – stramm, flott, stark vorstehende Backenknochen mit auffallender Behaarung. Er scheint mir ruhig, energisch, intelligent, es lässt sich gut mit ihm reden. Bleibt ruhig, wenn ich, bewusst, ziemlich scharf die Deutschen angreife.
Er erzählt mir seine Lebensgeschichte – Dr. Jus. – Biologie. Reichsgesundheitsamt. Im Krieg Hauptmann im Generalstab, Spezialist für Russland u Ostvölker, wo er Anpflanzungsprobleme zu lösen hatte. Lang nebenbei Sportler, Sportlehrer – sagt er fast beschämt! Geschieden – Frau Künstlerin (Malerin). Sie wollte

Pressestimmen
«Andrea Blunschi gelingt es, ein aussergewöhnlich turbulentes Frauenschicksal spannend zu erzählen. Was sie vorlegt, ist keine billige Liebesgeschichte, sondern eine facettenreiche und hervorragend dokumentierte Sozialstudie. ... Die Autorin wirft ein differenziertes Licht auf die schweizerische Nachkriegsgeschichte, insbesondere auf das Leben eines Menschen, der sich ausserhalb der moralischen Norm bewegte, und auf die Gesellschaft, die ablehnend darauf reagierte.» (sda)

«In ihrem Buch hat Andrea Blunschi die Quellen über ihre Grossmutter zu einer einnehmenden Biografie zusammengestellt. Ein Buch über eine eigenwillige Frau und eine Schweiz aus anderer Zeit.» Züritipp

«Die grossen Themen der Zeit (Weltkrieg, Nationalsozialismus, Kindswegnahme, Frauenemanzipation) verdichten sich zu einer bunten, überraschungsreichen und gut erzählten Geschichte.» Urs Rauber, NZZ am Sonntag

«Entstanden ist eine packende Biografie einer eigenständigen und unsteten Querdenkerin, die nicht in das gängige Bild von Moral und Gesellschaft passt. Ein gesellschaftskritisches Zeitdokument. Sehr empfohlen.» Urs Wigger, SBD

«Die mündlichen und schriftlichen Quellen, die Andrea Blunschi für ihr Buch erschlossen hat, ermöglichen ein umfassendes Bild auf eine Person und Ereignisse im Dorf, von denen wohl jeder, der sie miterlebt hat, eine Meinung hatte.» Martin Spilker, Entlebucher Anzeiger

«‹Ich tanzte nur einen Sommer›, so das Resümee von Martina Bucher, das nun die Enkelin mit ihrer Spurensuche zu einer vielschichtigen Erzählung und einem Sittenbild der Nachkriegszeit verdichtet hat.» Elisabeth Joris, SonntagsZeitung

«Aus dem reichen Quellenfundus entstanden ist die ungewöhnliche Collage einer packenden Geschichte.» Margrit Steinhauser, St. Galler Tagblatt

«Andrea Blunschi, die Enkelin der liebeshungrigen Arztgattin und des narzisstischen Offiziers, erzählt diese Geschichte in allen Details, mit viel Sorgfalt und Hingabe.» Urs Hafner, NZZ

«So entsteht das dichte Portrait einer unkonventionellen Frau, die im Nu zur Outsiderin wurde, Kinder und Freunde verlor. Gleichzeitig zeigt Blunschis Buch eindringlich die gesellschaftliche Enge in der ländlichen Schweiz in der Mitte des letzten Jahrtausends. Und nicht zuletzt ist es atemberaubend spannend erzählte Alltagsgeschichte.» Jürg Fischer, Kulturtipp

«Danke für dieses Stück Zeitgeschichte!» Susi Oser, P.S.