Vom Kaukasus bis in den Pamir und vom Tienschan zurück nach Moskau, Leningrad und Kiew: Die Geschichte der sowjetischen Bergsteiger und ihrer Formen von Gemeinschaft gewährt zum einen neue Einblicke in die Kultur-, Alltags- und Sozialgeschichte der stalinistischen Sowjetunion und in die Lebenswelten eines Teils der intellektuellen Elite. Zum andern erklärt sie die unterschiedliche Symbolik und Funktion der gebirgigen Peripherien für das Selbstverständnis des multinationalen sowjetischen Herrschaftsgebiets. Das Machtzentrum Moskau ist dabei geografisch oft weit entfernt und doch stets präsent – ob in der politischen Symbolik vertikaler Berghierarchien oder in den Repressionen des stalinistischen Terrors, der auch die Alpinisten traf.
Die Studie stellt die Bergsteiger als erfolgreiche Akteure in eigener Sache ins Zentrum und beleuchtet das Spannungsfeld zwischen Individuum und Staatsmacht im Stalinismus. Sie zeigt, dass die staatlichen Monopolorganisationen für Sport und Freizeit nicht nur der Kontrolle und Sozialisierung im Sowjetsystem dienten, sondern auch als Ausgangspunkt für eigene Aktivitäten und manchmal sogar als halböffentliche Nischen des Rückzugs und der Kritik genutzt wurden. Der zeitliche Bogen spannt sich von den 1920er bis zu den ausgehenden 1950er Jahren. Eine ausführliche Einleitung gibt zudem einen Überblick über die Entstehung des Bergsteigens im vorrevolutionären Russland.
Einleitung
«Neue Menschen» in Bewegung: Massensport und heroische Ikonografie
Im Kontext der europäischen Moderne: Tourismus und Sport
Helden und Massen: Spitzenbergsteigen und Breitensport
Gruppen: Kollektive und Individuen, ‹privat› und ‹öffentlich›
Raum, Natur, Landschaft
Körper und Emotionen
Zu Quellen und Forschungsstand
Eine Kartenskizze: Zum Aufbau der Arbeit
Formale Hinweise
I Die Alpen im Hintergrund: Eine Einführung
1 Gebirgserfahrung und Alpinismus in West- und Osteuropa bis zur Russischen Revolution
1.1 Ratio und Romantik: Ein neuer Blick auf die Berge
1.2 Nation, Raum, Landschaft: Aneignungen der Berge, 1850–1900
1.3 Kulturelles Kapital und kulturelle Praxis: Alpinistenvereine in Westeuropa
1.4 Ein Alternativmodell? Die «Naturfreunde»
1.5 Zu den Gipfeln des Zarenreichs: Russländische Bergvereine, 1890–1914
1.6 Ein vergleichender Blick: Bergsteigen in Russland um 1917
II Sowjetischer Alpinismus, 1917–1953
2 Alles neu? Der «proletarische Alpinismus», 1926–1932
2.1 Der touristische Kaukasus nach der Russischen Revolution
2.2 Der Aufstieg der «Gesellschaft für proletarischen Tourismus und Exkursionen» (OPTĖ)
2.3 Ein neues Leitbild sozialistischer Freizeit
2.4 Unvollendete Proletarisierung: Alpinisten in der OPT(Ė)
2.5 Die «Proletarisierung» der Landschaft: Kaukasusbilder, 1927–1932
2.6 Zwischenbilanz
3 Symbolische Hierarchien: Der sowjetische Pamir, 1928–1936
3.1 Der höchste Berg? Pik Lenin, 1928
3.2 Immer höher und höher: Pik Stalin, 1933
3.3 Individuum und Raum im sowjetischen Pamir
3.4 Zwischenbilanz
4 Masse zwischen Inszenierung und Freizeit: Die Popularisierung des Alpinismus, 1933–1936
4.1 Inszenierungen der Masse: Alpiniaden, 1934–1935
4.2 Masse und Spitze: Die stalinistische Pyramide
4.3 Massenhaftigkeit als Problem: Das Ende der OPTĖ
4.4 Zwischenbilanz
5 Die unsichere Peripherie: Terror, «kul’turnost’» und Militarisierung, 1936–1945
5.1 Vorübergehend heimatlos: Die Neuorganisation des Alpinismus, 1936–1937
5.2 Terror unter den Alpinisten, 1937–1938
5.3 Das Alpinistenlager zwischen Kontrolle und «kul’turnost’»
5.4 Bergbilder: Symbolische Grenzlandschaften und Begegnungsräume
5.5 Der wahre Krieg, 1941–1945
5.6 Zwischenbilanz
6 Neuorientierungen: Alpinismus in der Nachkriegszeit, 1945–1953
6.1 Vor den Trümmern: 1945–1946
6.2 Massenfreizeit: Die Alpinistenlager in der Nachkriegszeit
6.3 Spitzensport? Alpinismus im Kontext des Kalten Kriegs
6.4 Der Einzelne und die Gesellschaft: Diskurse der Nachkriegszeit
6.5 Generationen und Geschlechter in Text- und Bildwelten der 1950er-Jahre
6.6 Zwischenbilanz
7 Gemeinschaft, Solidarität, Konkurrenz: Die alpinistische Binnenwelt
7.1 Der Verein im Staat: Strukturen und Beziehungsnetze
7.2 Geschichte und Erinnerung
7.3 Kollektive und Konfliktregulierung
7.4 Ungleichheit: Der «sowjetische Alpinist» zwischen Klasse, Kultur und Geschlecht
7.5 Familie: Die emotionalen Gemeinschaften des Lagers
7.6 Jenseits des Kollektivs: Die Natur als Fluchtraum und Gegenwelt
Epilog
«Eva Maurer nimmt den Pik Stalin zum Anlass, um ein Fundament zu legen: die erste verlässliche, die erste wissenschaftliche Zusammenschau des sowjetischen Alpinismus unter Stalins Herrschaft. Wahrlich, es ist Licht im Dunkeln. Bislang gab es kein vergleichbares Werk, nicht einmal in russischer Sprache. […] Eine Sozial- und Gesellschaftsgeschichte des sowjetischen Bergsteigens ist es. Und die gründlichste und objektivste Durchforstung, die die in Russland lagernden Archive der Alpingeschichte wohl je erfahren haben.»
Robert Steiner, bergliteratur.ch
«ein Grundlagenwerk zum Alpinismus in der Sowjetunion und in Russland»
Bücherrundschau, Buch- und Kunstverlag Herbert Pardatscher-Bestle
«Eva Maurer gelingt es in ihrer faszinierenden Arbeit über den sowjetischen Alpinismus der Stalinzeit nicht nur eine tiefgreifende Analyse gesellschaftlicher Strukturen zu liefern, sie stellt gleichzeitig im Hintergrund den Vergleichskontext mit dem europäischen Alpinismus her.»
Bergauf, Magazin des Österreichischen Alpenvereins
«Eva Maurer ist es gelingen, die fachhistorische Forschung zur Geschichte des Alpinismus um eine neue Dimension zu erweitern.»
Heinz Nauer, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte
«Ideally, a work of such intellectual importance should be made accessible to a broader English- and Russian-speaking audience.»
Manfred Zeller, Slavic Review
«Dem Buch ist ein breites (Fach-)Publikum über den engeren Kreis der Osteuropahistoriker hinaus zu wünschen. Sowohl Stalinismus-Forschern und Russalnd-Spezialisten als auch am Alpinismus, an Alltags-, Tourismus- und Sportgeschichte interessierten Lesern wird die Lektüre Anregung und meist auch Vergnügen liefern.»
Frank Reichherzer, H-Soz-u-Kult
«Insgesamt demonstriert Eva Maurer in ihrer Studie auf eindrucksvolle Art und Weise, wie ein sportgeschichtlicher Zugang neue Erkenntnisse zutage fördern kann, die weit über den behandelten Gegenstand hinausgehen.»
Jörg Ganzenmüller, Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
«Mit fast 500 Seiten Umfang und einer schier unglaublichen Detailfülle ist Eva Maurer ein spannend zu lesender Überblick über den sowjetischen Alpinismus gelungen – mithin ein Werk, das das Zeug hat, für längere Zeit die maßgebliche Studie zum Thema zu bleiben, die nicht nur Bergsteiger-Enthusiasten viel Neues mitteilt, sondern allen, die sich für Sport, Freizeit, Raumaneignung, ja für die Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des Stalinismus interessieren. Zwar schmücken nur wenige Abbildungen den Band, aber er wird vervollständigt durch einen Anhang mit Kartenmaterial, biographischen Informationen zu führenden Alpinisten, Glossar, Bibliographie und Register.»
Beate Fieseler, Osteuropa