Vitamin C für alle!
Pharmazeutische Produktion, Vermarktung und Gesundheitspolitik (1933–1953)
Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Band 14
Broschur
2009. 280 Seiten, 19 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-0921-8
CHF 38.00 / EUR 24.00 
Vergriffen / Restexemplare beim Verlag (Versand nur innerhalb der Schweiz)
E-Book (pdf)
2022. 280 Seiten, 19 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-5921-3
CHF 28.00 / EUR 18.00 
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1933 begann das künstliche Vitamin C seinen Aufstieg als eine Art Wunderdroge. Heute findet es sich nicht nur in Multivitaminpräparaten, sondern beispielsweise auch zu Konservierungszwecken in verschiedenen Nahrungsmitteln. Das vorliegende Buch zeichnet die fesselnde Geschichte der komplexen Herstellung und der ausgefeilten Vermarktung nach und zeigt auf, wie kulturelle, ökonomische, politische und technische Mechanismen zum Erfolg beitrugen. Zahlreiche Akteure waren an diesem Erfolg beteiligt. Es war jedoch das Basler Pharmaunternehmen Hoffmann-La Roche, das ausgehend von Patentrechten von Tadeus Reichstein eine marktbeherrschende Position im Vitamin-C-Geschäft eroberte. Um dem künstlichen Vitamin C zum Durchbruch zu verhelfen, wurden – im Verbund mit Gesundheitsbehörden – neue Krankheitsbilder geschaffen, welche die Einnahme von Vitamin C als ratsam erscheinen liessen. Der Konsum von Vitamin C wurde im Schatten des Zweiten Weltkriegs zu einer neuen Bürgerpflicht und für die Aufrechterhaltung der Gesundheit in industriellen Gesellschaften als notwendig angesehen. Dabei galt die Sorge nicht mehr nur der individuellen, sondern immer mehr auch der Gesundheit des «Volkswirtschaftskörpers». Das Quellenmaterial stammt aus dem Nachlass des Nobelpreisträgers Reichstein sowie aus dem Historischen Archiv Roche. Es bietet seltene Einblicke in die Funktionsweise wissenschaftlicher Propaganda und in die Entwicklung eines modernen industriellen Verfahrens in der pharmazeutischen Industrie.

Beat Bächi, Dr. sc., studierte Allgemeine Geschichte sowie Soziologie und Philosophie. Er ist Dozent an der ETH Zürich und bearbeitet seit 2007 an der Universität Bielefeld ein Projekt zur regulativen Wissenschaft im Bereich der Gefahrstoffbewertung.


Aufsätze im Chronos Verlag

Inhalt

I. Einleitung II. Die Geburt von Vitamin C im Labor: Reichstein und Roche Die Genese der Reichstein-Synthese: eine freundschaftliche Arbeitsgemeinschaft und ein produktiver Irrtum - Tadeus Reichstein: zwischen Alchemie und «Kaffee Zaun» - Patentanmeldung und die Suche nach einer «Chemischen Fabrik» Roche und die Vitamine - Das Unternehmen Hoffmann-La Roche - Die ersten Auseinandersetzungen bei Roche um die «hochhängenden sauren Vitamin-Trauben» - 1933: «Nationalsozialistische Revolution», amerikanischer Dollarsturz und Vitamin C Natürliches oder synthetisches Vitamin C? Evaluationen vor und hinter verschlossenen Türen - Verhandlungen und Streitigkeiten in Zürich Die Entwicklung eines chemisch-biotechnologischen Verfahrens - Von der d- zur l-Ascorbinsäure - Der biotechnische Verfahrensschritt: Recycling von Wissen - Haco und Roche werden handelseinig III. Die Politik der Patente Die Publikation der Reichstein-Synthese in den «Helvetica Chimica Acta» Patentrechtliche Evaluationen: nichtintendierte Nebenwirkungen und Apparaturenfragen Verhandlungen zwischen Roche und Chemiegiganten im «Dritten Reich» - Patent- und Lizenzverhandlungen mit Merck - Die IG Farbenindustrie tritt auf den Plan - Neuverhandlungen zwischen Roche und Merck Neuverhandlungen zwischen Haco und Roche Die Erteilung des «Deutschen Reichspatents»: der prekäre Status von Vitamin C zwischen Chemikalie und Arzneimittel - Merck: Vitamin C und die deutsche Wehrmacht - IG Farbenindustrie: Freilizenzen zur Umgehung des «Clearing»-Systems IV. Hochschul- und Industrieforschung: die Anfänge der Biotechnologie bei Roche Biotechnologie als «revolutionäre Methode»? - Vom Flachschicht- zum Tiefgärverfahren - Menschliches und Allzumenschliches im Gärkeller von Roche Die Reichstein-Synthese in Deutschland: Bakterien und Gestapo V. Vom Stoff zur Ware: synthetisches Vitamin C als Functional Food Nestrovit und die Einverleibung der Vitamine in die Lebensmittelgesetzgebung – Nestlés Angst vor den Ärzten Vom künstlichen Vitamin C zum Multivitaminpräparat Wie vermarktet man künstliche Vitaminzusätze in Naturprodukten? Die Schöpfung eines Markenzeichens Nestrovit: ein Nahrungs- oder ein Heilmittel? Die Regulierung der «Vitaminpsychose» Nestrovit kommt auf den Markt Vitamin C als Todesurteil für «Ovomaltine» VI. Wissenschaftliche Propaganda in Aktion: die Erfindung eines neuen Krankheitsbildes Wie man PatientInnen eine neue Krankheit andichtet - Die Lancierung von Redoxon auf dem Forschungsmarkt - Optimale Gesundheit und der statistische Gesundheitsbegriff: von der individuellen zur Gesundheit des Volkskörpers - Diagnostika und die Sichtbarmachung der C-Hypovitaminose Vom Skorbut zum Kampf gegen die Ermüdung: Sportlerkörper als lebende Metaphern - Sportärzte und Sportlerkörper im Fadenkreuz der Vitamin-C-Propaganda - Roche und Versuche mit Vitamin C in Deutschland - Ist Vitamin C ein Dopingmittel? - Die Arbeit an den Metaphern VII. Vitamin C und der Zweite Weltkrieg Entgegnungen: schweizerisches Vitamin C und die Schweizer Armee - Die Kritik des Oberfeldarztes - Versuche mit synthetischem Vitamin C in der Armee - Der Eidgenössische Armeeapotheker meldet sich zu Wort - General Guisan und Vitamin C Die Reichstein-Synthese auf der Landesausstellung 1939: die Renaturierung des kranken «Volkswirtschaftskörpers» - Roche inszeniert die Reichstein-Synthese als schweizerische Grosstechnologie - Migros: mit Hagebutten gegen künstliches Vitamin C - Vitamin C als «ergozymartiger Kunststoff» - Die Renaturierung von Konserven Der Ausbau der Vitamin-C-Produktion im Zweiten Weltkrieg - Mode oder Krieg: Was hat die Reichstein-Synthese mit Russlands Öl- und Weizenfeldern zu tun? - Skalenökonomie: von der Opiate- zur Vitamin-C-Produktion - Eine wissenschaftliche Studienkommission aus dem «Dritten Reich» bei Roche: Vitamin C oder Munition und Zünder? - Roche, Reichstein und das «Dritte Reich» Die Übersetzung von Vitamin C in die Interessen der Gesundheitspolitik - Die Eidgenössische Kommission für Kriegsernährung und der menschliche Instinkt - Die Vitaminisierung von Arbeiterkörpern: Grippe und «Vita-Versicherung» - Der Zweite Weltkrieg als günstiges «climat psychologique» - «Unser tägliches Brot»: Vitamine im Klassenzimmer Die Festschreibung des Vitamin-C-Bedarfs - Die Wahlverwandtschaften zwischen wissenschaftlicher Forschung und Propaganda - Die Aufnahme der Vitamine in die Pharmakopöe und das Schweizerische Vitamin-Institut VIII. Kriegsschäden und die Einpassung von Vitamin C in die Nachkriegszeit Transformationen bei Roche: eine neue «Vitamin-Politik» nach dem Krieg - Biotechnologie und die Reorganisation der Roche-Forschung Auf dem Weg in die Konsumgesellschaft: neue Märkte für Vitamin C in der Nachkriegszeit - Nahrung, Nation und die Materialisierung des statistischen Gesundheitsbegriffs VIII. Epilog: eine Explosion in Basel, das Wunder von Bern und «Golden Powder» 239


Pressestimmen
«Beat Bächi legt mit ‹Vitamin C für alle› eine überaus lesenswerte, durchweg elegant geschriebene Studie vor […]. Dem Autor gelingt eine konzise Darstellung der Allianzen, die den wissenschaftlichen und kommerziellen Erfolg des synthetischen Vitamin C ermöglichen. […] Historiker dürften sie ebenso wie kultur- und wissenschaftshistorisch Interessierte mit grossem Gewinn lesen.» Nils Kessel, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte

«Diese gut geschriebene Geschichte ist ein spannender Einblick in die enge Verquickung von ökonomischem Handeln und wissenschaftlicher Konzeptbildung.» Alexander v. Schwerin, Gen-ethischer Informationsdienst

«Bächis quellenreiche, lesenswerte Studie zeigt am Beispiel der Urmutter aller Nahrungsergänzungsmittel eindrücklich auf, wie Pharmakonzerne Anwendungen für medizinisch nutzlose Produkte (er)finden.» Eric Breitinger, Neues Deutschland

«Insgesamt stellt das Buch eine interessante, auf breiter Quellenbasis fussende, lesenswerte Arzneimittelgeschichte dar, die mit ihrer Ausrichtung auf Marketing, Motive der Forscher und Hersteller viele Anregungen für ähnliche Studien bietet, und nicht nur das Interesse von Pharmazie- und Medizinhistorikern, sondern ebenso von Wirtschafts- und Allgemeinhistorikern verdient.» Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

«Diese Geschichte ist spannend und es ist hervorzuheben, dass Beat Bächi mit Hilfe eines wohltuend knappen, präzisen Schreibstils, der auf manierierte Formulierungen verzichtet, einen gut lesbaren und auf weiten Strecken regelrecht spannenden Text geschrieben hat, der sich aus der Masse der Dissertationen hervorhebt. […] Seine höchst anregende und lesenswerte Arbeit sei hiermit ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.» Ulrike Thoms, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte

«Das Buch beschreibt in flüssigem Stil einen idealtypischen Fall für die gesellschaftliche Konstruktion der Krankheit und empfiehlt sich jedem, der sich für die Medikamentalisierungsprozesse im 20. Jahrhundert interessiert.» Igor Polanski, H-Soz-u-Kult

«Besonders beeindruckend an Bächis Schilderungen ist, dass es ihm scheinbar mühelos gelingt, übergreifende theoretische Anliegen sehr direkt aus den Quellenmaterialien des Firmenalltags bei Roche lebendig werden zu lassen, wobei auch ein Bild einzelner Akteure und gelegentlich sogar ihrer ganz alltäglichen beruflichen Verstrickungen entsteht.[…] Man wünscht Bächis Untersuchungen zur Vitamin C-Synthese eine breite Leserschaft, und der wissenschaftshistorischen Leserschaft solche Bücher.» Nicholas Eschenbruch, NTM, Zeitschrift für Wissenschaften, Technik und Medizin

«Bächi‘s well-written and enjoyable short book might mark a new step in the historiography of biologically active substances, and should be read by everyone who is interested in the archaeology of today‘s certainties about vitamins and health.» Heiko Stoff, Das Historisch-Politische Buch

«Lesenswert ist die Studie von Beat Bächi nicht zuletzt aus zwei Gründen: einerseits weil sie Produktion und Konsum, Forschung und Vermarktung des künstlich hergestellten Vitamin C miteinander verbindet und damit über eine auf Produktionsprobleme fokussierte, rein technik- oder wissenschaftsgeschichtliche Arbeit hinausgeht; andererseits weil hier deutlich wird, wie die für den Verkauf der Produkte notwendigen Indikationen für einen neuen, zunächst umstrittenen Stoff erst geschaffen werden mussten.» Roman Rossfeld, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte

«One thing to add about ‹Vitamin C für alle!› is simply that this book deserves a large readership among historians of science and medicine – and therefore an English translation.» Jean-Paul Gaudillière, ISIS

Die in dieser Reihe erscheinenden Studien untersuchen technische und wissenschaftliche Entwicklungen in der Neuzeit. Sie fragen nach dem historischen Entstehungskontext und gehen der Frage nach, inwiefern verschiedene soziale Gruppen diese technischen Entwicklungen als Möglichkeit sozialen Wandels wahrgenommen, ausgehandelt und bisweilen genutzt oder vergessen haben. Der Ansatz erlaubt es, Innovationen als technisch und gesellschaftlich voraussetzungsreiche Prozesse zu verstehen und zu erklären.