Herzschatten
Nach dem Tanz an jenem Silvesterabend in Solothurn, 1932, weiss er ihren Blick zu deuten: «Trag Sorge zu mir.» Der 19-jährige Metzgerbursche Hans Meister ist soeben seiner grossen Liebe begegnet, der 24-jährigen Hildi, mit der er 58 gemeinsame Ehejahre verbringen und noch im Alter von 92 Jahren Erinnerungen von erstaunlicher Leuchtkraft, aber auch abgründiger Tragik beschwören wird. Seine in Zürich wohnhafte Enkelin Susanna Schwager, einst Lektorin beim Diogenes-Verlag und «Weltwoche»-Redaktorin, schreibt die Geschichte ihrer Grosseltern fort, hat sie doch bereits in «Fleisch und Blut» (2004) den vitalen Grossvater Hans Meister porträtiert.
Nun rückt seine Gattin Hildi Meister (1908 bis 1992) ins Blickfeld: eine zerbrechliche Frau von liebenswertem Aussehen, die Wert auf modische Garderobe legt und empfänglich für die Freuden des Daseins ist. Am Anfang der Recherche stand für die Enkelin die Frage, «warum aus dieser sinnlichen, sprühenden Frau die Greisin wurde, die an ihren Seelenschmerzen zerbrach». Wenn man den Lebenslinien folgt, so ahnt man erst nicht das Ausmass des Unheils. Einige Anzeichen deuten zwar darauf hin: Hildis Ängste vor dem Wasser und der Höhe, vor fremden Menschen und Orten. Aber die Bestürzung wächst während des Lesens und mündet in jene Fassungslosigkeit, die Susanna Schwager zum Schreiben gedrängt hat. Am Ende glaubt man zwar Bescheid zu wissen: dass hier ein höchst sensibler und herzensguter Mensch, der sich nie zu wehren wusste, immer wieder überfordert wurde, bis er mit massiven Zwangsvorstellungen reagierte.
Doch letztlich rühren die sorgfältigen Erkundungen der Autorin, die keine Schuldzuweisungen vornimmt, nicht an das wehmutsvolle Geheimnis dieser Frau. Susanna Schwager hat den Stoff nicht auf eine Fallgeschichte reduziert. Umso nachdenklicher verweilt man bei jener Szene, an die sich Hildis Mann erinnert, als seine sterbende Frau plötzlich den Kopf hebt: «Sie hatte die Augen offen, und das Leuchten war auf ihrem Gesicht. Sie schaute zum Fenster. Draussen nur finstere Nacht, aber sie schaute hinaus, als würde sie dort etwas sehen. Dann drückte sie ganz wenig meine Hand und flüsterte: »
Der lebensvolle Ehemann ist für sie während der fast zwanzigjährigen Krankheit zum Vater geworden, dessen Schutz sie blind vertraut. In den früheren Jahren aber scheint ein Verständnis von Gemeinschaft auf, das heute fremd und kostbar anmutet. So geraten diese Erinnerungen zu einem Anschauungsbuch, wie Schwierigkeiten fraglos selbstverständlich von Mann und Frau angegangen worden sind. Das Leben dieses Paars war nicht auf Rosen gebettet. Arbeit und nochmals Arbeit – das war die Losung eines Alltags mit ungünstigen Rahmenbedingungen: die Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre und eine Zeit auch des Aktivdienstes, da Hildi, die Fabrikarbeiterin, im solothurnischen Zuchwil allein für die vier Kinder aufkommen musste. Ab 1955 folgte der herausfordernde Aufbau eines eigenen Metzgereigeschäfts an der «Krone» Unterstrass in Zürich. Aus diesen Schilderungen erwächst eine mit Details gesättigte Dokumentation des schweizerischen Alltags ohne Hochglanzfolie.
Getragen wird der Text von der Stimmen-Polyfonie: den immer wieder erstaunlich einsichtsvollen Aussagen des Ehemannes, der Tochter, der jüngsten Schwester, deren Statements in einer lebendig wirkenden Mischsprache von Dialekt und Hochdeutsch wiedergegeben werden. Die Mehrfachperspektive lässt unterschiedliche Deutungen und Nuancen zu und wird die Lesenden zum weiteren Nachdenken über Hildi M. verführen.
«Auch dieser ‹zweite› Band nach ‹Fleisch und Blut› ist eine Lesefreude. Das ist wunderbar gemacht und ergreifend zugleich. Unglaublich, was da alles mitschwimmt von früher, besonders auch für die Leserin.»
Beatrice von Matt an die Autorin
«Eine Zeitreise. Ein Buch über die Liebe, das Leben, zum Lachen und zum Weinen. Da ist alles drin, was ein Buch bieten kann.»
Christine Hubacher, Radio DRS
«So ist eine Lebensgeschichte aus vielen Blickwinkeln entstanden: zart und hart, drastisch und anrührend und immer wieder wunderbar poetisch.»
Wolfgang Bortlik, 20Minuten
«So zieht sich denn auch das Schweigen der Frauen zu unangenehmen Themen wie ein roter Faden durch das unbedingt lesenswerte Buch.»
Solothurner Tagblatt, Berner Zeitung
«Ebenso spannend und eloquent wie das erste Buch. Es erfüllt alle Voraussetzungen, um an ‹Fleisch und Blut› anzuknüpfen. Die wahren Heldinnen sind die Frauen, die über ihre Schatten sprangen, um offen zu sagen, was sich in so manch anderer Familie ebenfalls zugetragen haben könnte.»
Denise Marquard, Tages-Anzeiger
«Schwagers Verdienst ist es, sie [die Frau des Metzgers] als Stellvertreterin jener vielen schweigenden Frauen aus der Zeit vor dem Frauenstimmrecht sicht- und lesbar gemacht zu haben. […] Dass das Lesen von Schwager auch diesmal wieder ein Genuss ist, liegt massgeblich an der Sprache. Säbi Zyt redete man mit Wörtern, die unsereins nur noch im passiven Wortschatz hat.»
Jacqueline Schärli, du
«Es ist eigentlich falsch, von einer Fortsetzung zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine andere Empfindungswelt, die hinter derselben Lebensgeschichte steht. Es entstehen so gewissermassen ‹zwei Wahrheiten›, die des Metzgermeisters und eine weitere seiner Frau Hildi. Das Buch ist weder Anklage, noch bietet es Erklärungen. Der Gesprächsfluss deutet vielmehr an, was die Gefühlswelt von Frauen des letzten Jahrhunderts gewesen sein könnte, von Gewerblerfrauen wie wohl auch von vielen anderen Gattinnen dominierender Partner. Sprache und Aufbau des Buches sind vergleichbar mit dem Kegel eines Scheinwerfers, der über Ereignisse und Personen hinwegstreift. Die harte Realität ist poetisch gebrochen und mit einem melancholischen Lächeln erzählt - die weibliche Sicht.»
Schweizerische Metzgerzeitung
«Eins vorneweg: ‹Die Frau des Metzgers› ist ein wunderbares Buch, ein Paradebeispiel subjektiv erzählter Geschichte ohne grosse Eingriffe der Protokollantin Susanna Schwager, der Enkelin der beiden Hauptpersonen. … Das Buch ist zugleich ein Paradebeispiel dafür, wie absurd mitunter die Mär von den guten alten Zeiten ist, wie sehr das alte Männer/Frauenbild vieles verhindert.»
Koni Loepfe, P.S.