Totgesagte leben länger
Jubiläumsbuch über die Winterthurer Musikfestwochen
em. Die Winterthurer Altstadt ist in diesen Tagen Schauplatz der 30. Musikfestwochen. Aus Anlass des Jubiläums hat der Verein Winterthurer Musikfestwochen ein Buch herausgegeben, das die Geschichte des ältesten regelmässig stattfindenden Open-Air-Festivals der Schweiz dokumentiert. Geschrieben hat die Chronik der Winterthurer Journalist Üsé Meyer. Der frühere Schlagzeuger und Musikmanager schildert darin die Höhen und Tiefen der Musikfestwochen, die 1976 von Linksaktivisten als Antwort auf die elitären Luzerner Musikfestwochen gegründet wurden. Neben Musikern kommen im Buch auch einige der zahlreichen freiwilligen Helferinnen und Helfer zu Wort, ohne welche die Durchführung des Festivals nicht möglich wäre.
Das erste, von den Gründervätern Markus Hodel und Daniel Schlatter 1976 in der berüchtigten Africana-Bar an der Neustadtgasse organisierte Festival verfügte über ein bescheidenes Budget von 1500 Franken. Eine Gage erhielten die Bands nicht. Das Ziel der Initianten, zeitgemässe Kultur auf die Strasse zu bringen, konnte drei Jahre später mit dem ersten Festival in der Steinberggasse erreicht werden. Es folgten turbulente Zeiten, und die Musikfestwochen wurden mehr als einmal totgesagt. Neben dem Ringen um Anerkennung und Lärmproblemen machten dem Verein auch interne Querelen zu schaffen, die 1994 in einer «Palastrevolution» gipfelten, bei welcher der langjährige Programmchef Martin Kaiser abgesetzt wurde. Gleichwohl gelang es den Organisatoren dank der Unterstützung durch die Stadt immer wieder, Stars der Rock-, Pop-, Blues- und Jazzszene für Konzerte in der Steinberggasse zu verpflichten.
Inzwischen hat sich das Festival zu einem Grossanlass mit einem Budget von einer Million Franken entwickelt. Die Liste der Stars, die in Winterthur auftraten, ist lang: Aerosmith, Chick Corea, Friedrich Gulda, Rory Gallagher, Herbert Grönemeyer, The Kinks, John McLaughlin, Iggy Pop, Iron Maiden, Myriam Makeba, Nina Hagen und Udo Lindenberg sind nur einige davon. Derartige Top-Acts können sich die Organisatoren heute aus finanziellen Gründen nicht mehr leisten. Trotzdem bietet das Festival, das im Verlaufe der Jahre durch weitere Kultursparten wie Film, Theater, Kleinkunst und Tanz ergänzt wurde, auch heute noch ein facettenreiches Kulturprogramm.
Im Buch mit dem Titel «Festival Fieber!» berichten zahlreiche Protagonisten über ihre Erfahrungen. So erfährt man in einem Interview mit Chris von Rohr, der 1978 mit seiner Band Krokus als Vorgruppe der britischen Boomtown Rats auftrat, dass deren Sänger Bob Geldof seine Gruppe als «allerletzte Lumpenband» bezeichnet habe. Campino, Sänger der deutschen Punkband «Die Toten Hosen», bedauert es noch heute, dass er beim Konzert im Jahre 1992 über die Lautsprechertürme an der Steinberggasse in die Wohnung eines Pfarrers eingedrungen sei und Gegenstände aus dieser im Publikum verteilt habe. Zur Wiedergutmachung habe er der Kirchgemeinde im Nachhinein immerhin an die hundert Bibeln gespendet. Weniger gut an Winterthur und an sein früheres Konzert mit den Stone Temple Pilots erinnern konnte sich der amerikanische Sänger Scott Weiland anlässlich des Auftritts von Velvet Revolver im vergangenen Jahr: Auf die Frage, ob es speziell gewesen sei, mitten in der Altstadt aufzutreten, antwortete er nur mit «Yeah, yeah».
«Festival Fieber! - 30 Jahre Winterthurer Musikfestwochen». Das 156 Seiten umfassende, reich illustrierte Buch ist im Chronos-Verlag erschienen und kostet 30 Franken.
Neue Zürcher Zeitung ZÜRICH UND REGION Donnerstag, 01.09.2005 Nr.203 57
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der NZZ
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