Ist das technische Schaffen eine «Kunst» oder ist es eine Wissenschaft? Diese Frage hat seit Mitte des 19. Jahrhunderts Konstrukteure und Konstruktionswissenschaftler nachhaltig beschäftigt. Sie wurde zu einer Leitfrage der Konstruktionswissenschaft, die die Geschichte des Faches in Forschung, Lehre und Praxis prägte.
Während das Konstruieren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein von handwerklichen Fertigkeiten, praktischen Erfahrungen und individueller Kreativität geprägt war, mehrten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Bemühungen um eine Verwissenschaftlichung der Konstruktion. Vor allem Konstruktionswissenschaftler an den Technischen Hochschulen verfolgten das Ziel, den intuitiv geprägten Vorgang des Konstruierens wissenschaftlich zu durchdringen und zu einem systematischen, durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten geleiteten Prozess zu machen. Die Verwissenschaftlichung der Technik brachte zahllose neue Ansätze und Methoden hervor, beschwor aber auch enorme Konflikte herauf. Ehrgeizige Ambitionen wissenschaftsorientierter Fachvertreter scheiterten wiederholt und provozierte heftige Kritik an der Verwissenschaftlichung durch «kunstorientierte» Konstruktionswissenschaftler.
Die mit dem Spannungsverhältnis zwischen «Kunst» und Wissenschaft verknüpften Entwicklungen und Auseinandersetzungen werden vor allem für den deutschsprachigen Raum untersucht. Das Beispiel der Konstruktionswissenschaft zeigt, dass im Denken und Handeln der Konstruktionswissenschaftler seit Mitte des 19. Jahrhunderts kein einseitiger und eindeutiger Pfad zunehmender Verwissenschaftlichung erkennbar ist. Vielmehr bestand ein fortwährend empfundener und ausgetragener Konflikt zwischen Wissenschaft und «Kunst». Die Geschichte der Konstruktionswissenschaft trägt somit zu einem differenzierteren Bild der Verwissenschaftlichung der Technik im 20. Jahrhundert bei, in dem auch in den Vorstellungen der Fachvertreter «Kunst» nicht durch Wissenschaft vollständig zu ersetzen war, sondern eine entscheidende Rolle im technischen Schaffen spielt.