Pfahlbauten, Stadtansichten, Militaria und Kulturgeschichte
Die Stadtzürcher Neujahrsblätter auf das Jahr 2004
Antiquarische Gesellschaft
Pfahlbauten - Mythos und Realität
rib. Im Januar 1854 traten im Boden des Zürichsees bei Meilen verkohlte Pfähle und Reste durch Menschen angefertigter Geräte aus Knochen zutage. Unverzüglich setzte der Meilemer Lehrer Johannes Aeppli den Altertumsforscher Ferdinand Keller davon in Kenntnis. Die «Überbleibsel menschlicher Thätigkeit», mutmasste er in einem Brief an ihn, seien «geeignet, über den frühesten Zustand der Bewohner unserer Gegend unerwartetes Licht zu verbreiten». Obschon bereits in den vorangegangenen Jahren am Bielersee ähnliche Siedlungsreste entdeckt worden waren, machten die Funde von der Meilemer Haab Epoche. In einer Reihe von Berichten dokumentierte Keller sie und deutete sie als Überreste einer auf Pfählen erbauten Niederlassung von prähistorischen Siedlern, für die er den Begriff «Pfahlbauer» prägte. Die Antiquarische Gesellschaft widmet ihr diesjähriges Neujahrsblatt dem 150-Jahr-Jubiläum der Entdeckung der Pfahlbauten - ein Unternehmen, das nicht allein deshalb sinnvoll ist, weil Ferdinand Keller langjähriger Präsident der Antiquarischen Gesellschaft war. Das Thema ist auch deshalb von Interesse, weil die Forschung in den letzten Jahrzehnten wichtige neue Erkenntnisse über die Seeufersiedlungen gewonnen - und die Pfahlbauten ihrer mythischen Aura etwas beraubt - hat. Anderseits ist die Pfahlbauforschung des 19. Jahrhunderts wissenschaftsgeschichtlich von grossem Interesse. In elf Beiträgen von neun Autoren steckt der Band das Feld ab - von der Forschungsgeschichte über die Arbeit der damaligen Altertumsforscher und Antiquare und die Darstellung der Pfahlbauzeit auf Welt- und Landesausstellungen bis zur Rezeption in Schule und Literatur. Den Nachwirkungen der Pfahlbauidee in Le Corbusiers Architektur geht Adolf Max Vogt nach und rundet damit eine Textsammlung ab, die sachkundig und unterhaltend in ein Kapitel der Altertumswissenschaft einführt, das im anstehenden Jubiläumsjahr «150 Jahre Pfahlbauforschung in der Schweiz» von besonderem Interesse sein dürfte.
Pfahlbaufieber. Von Antiquaren, Pfahlbaufischern, Altertümerhändlern und Pfahlbaumythen. Beiträge zu «150 Jahre Pfahlbauforschung in der Schweiz» (Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 71). Chronos-Verlag, Zürich 2004. 246 S., zahlreiche Farb.- und Schwarzweissabb. Fr. 50.- (am 2. Januar), danach Fr. 58.-.
Publiziert mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung
Neue Zürcher Zeitung ZÜRCHER KULTUR Mittwoch, 31.12.2003 Nr.303 50
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