Rezension in «LABELETTRES. Les publications des chercheuses et chercheurs de la Faculté des lettres de l'Université de Lausanne»
Bis vor wenigen Jahren traf auf die europäische Aufklärungsforschung jenes Motto zu, unter dem sich die Schweiz 1992 an der Weltausstellung von Sevilla präsentierte: «La Suisse n'existe pas.» Es wurde zwar nie bestritten, dass schweizerische Gelehrte wie Albrecht von Haller, Johann Jakob Bodmer, die Gebrüder Bernoulli, Jean-Jacques Rousseau oder Isaak Iselin an der europäischen Aufklärung wesentlichen Anteil hatten. Je nach dem sprachlich-kulturellen Umfeld, in dem sie wirkten, wurden sie jedoch ganz selbstverständlich der deutschen oder französischen Aufklärung zugerechnet. In diesem Band wird dagegen die These verfolgt, dass die Aufklärung in der Schweiz ihren eigenen Charakter hatte, durch den sie sich von der Aufklärung in den Nachbarländern unterschied. Im Mittelpunkt steht das politische Selbstverständnis der Schweizer Aufklärer, das sich im Spannungsfeld zwischen Kosmopolitismus und Patriotismus entfaltete. Diese sahen sich einerseits als Teil jener europäischen Bewegung, die auf einen universalen Prozess der Zivilisierung und Moralisierung zielte. Andererseits waren sie sich jedoch ihres besonderen politischen Erbes bewusst, das sie zu bewahren versuchten: die republikanische Verfassung.
Der Band bietet in sieben Kapiteln Einblick in zentrale philosophische Debatten der Aufklärung (über die Leibniz-Wolffsche Philosophie, die Schwärmerei, den moralischen Fortschritt der Menschheit, die Zukunft der Religion), in welche die Schweiz involviert war. In einer umfassenden Einleitung werden diese mit der Frage nach dem besonderen Charakter der Schweizer Aufklärung verbunden. Hier wird auch erklärt, warum die Schweiz des 18. Jahrhunderts für die Diskussion um ihre Zukunft im Zeitalter der Globalisierung einen wichtigen Ausgangspunkt bietet.
Rezension in «LABELETTRES. Les publications des chercheuses et chercheurs de la Faculté des lettres de l'Université de Lausanne»
«Schriftsteller und Wissenschafter aus dem Gebiet der heutigen Schweiz richteten sich im 18. Jahrhundert auf Europa und besonders auf Frankreich oder Deutschland aus. Es ist deshalb - und auch wegen des damals nur vage umrissenen Gebildes Schweiz - umstritten, ob es überhaupt eine Schweizer Aufklärung gab. Es gab sie, meint Simone Zurbuchen und stellt in ihrem hier anzuzeigenden Aufsatzband einige Eigenarten dieser Aufklärung vor. In der Einleitung knüpft Zurbuchen an aktuelle Diskussionen über Republikanismus, Patriotismus und Nationalismus an, und die wichtigsten Einzelstudien kreisen dann auch um das ‹politische Selbstverständnis›, in dem sich die Schweizer Aufklärer von ihren deutschen und französischen Kollegen unterschieden hätten. Zentral für dieses Selbstverständnis war, geht man nach Zurbuchens ideengeschichtlich orientierten Aufsätzen, die Ausbildung eines ‹helvetischen Bewusstseins›. Die 1725 von Beat Ludwig von Muralt als einfach, tugendhaft und frei beschriebene Lebensweise der Alpenbewohner sei, so Zurbuchen, im 18. Jahrhundert als ‹Schweizer Nationalcharakter› zum Referenzpunkt des ‹Nationalbewusstseins› und ‹helvetischen Patriotismus› avanciert. So prägte der Alpen- und Freiheitsmythos, wie Zurbuchen exemplarisch vorführt, einige Jahrzehnte nach von Muralt sowohl die Schriften des Republikaners Johann Jakob Bodmer wie auch die des Kosmopoliten Johann Georg Zimmermann, auch wenn dieser im Berliner Exil die monarchische der republikanischen Regierungsform vorzog.»